Krimitagung in Berlin

Perlen statt läppischer Schnitzelkost

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Wie steht es um den deutschen Krimi? Ist der große Boom vorüber? Und wo bleiben die literarischen Ansprüche? Darum und um viele weitere, auch für die Praxis wichtige Aspekte ging es auf der Tagung "Krimis machen. Der Krimi in Deutschland – Cashcow oder Literatur?", die am 12. und 13. April im Literaturforum im Brecht-Haus in Berlin stattfand.

Es war eine Premiere, wie Tobias Gohlis,Literaturkritiker und Sprecher der KrimiZeit-Jury, sagte: Erstmals trafen sich Autoren, Verleger, Kritiker, Agenten, Buchhändler und Journalisten, um zwei Tage lang über die Situation und die Perspektiven des deutschsprachigen Krimis zu sprechen. Der Veranstaltungsraum des Literaturforums im Brecht-Haus, direkt neben dem Dorotheenstädtischen Friedhof, war bis auf den letzten Platz besetzt.

Der Ort war nicht zufällig gewählt: Bertolt Brecht war ein Theoretiker des Kriminalromans und nannte ihn einmal „eine vergnügliche Art, sich mit den Bedingungen des Gesellschaftsgefüges zu beschäftigen“, wie Christian Hippe für die Gastgeber sagte.

Initiiert und gemeinsam mit dem Literaturforum organisiert hatten die Tagung die Krimi-Experten Tobias Gohlis und Thomas Wörtche, der die Reihe PENSER PULP bei diaphanes leitet und früher im Unions-Verlag die Metro-Reihe herausgegeben hatte. Unterstützt haben das Projekt mehrere Verlage – darunter  Droemer /Knaur, Ullstein, Kiepenheuer & Witsch sowie Hoffmann und Campe – sowie die Krimibuchhandlung Hammett.

"BDSM-Softporno rettet Buchhandel"

Tobias Gohlis stellte zu Beginn einige Thesen auf: das Krimisegment habe nach Jahren des Zuwachses 2012 leichte Einbußen hinnehmen müssen, den Buchhandel im vergangenen Jahr gerettet hätte ein „BDSM-Softporno“. Vieles, was unter der Flagge des Spannungssegments segele, sei „leichte, läppische Schnitzelkost“. Welche Überlebenschancen habe da „gute Kriminalliteratur“? Und sind Konzernverlage strukturell in der Lage, „Perlen heranzuzüchten“.

Diesen und weiteren Fragen gingen in einer ersten Diskussionsrunde Marcus Nägele, Programmleiter Heyne-Taschenbuch und Heyne Hardcore, Grafit-Verlegerin Ulrike Rodi, Else Laudan (Verlegerin Ariadne / Argument), Frank Nowatzki (Verleger Pulp Master) und Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen nach – wobei von vornherein Fragen aus dem Publikum erwünscht waren.

Marcus Nägele sagte, es habe in jüngster Zeit schon eine „Flurbereinigung“ in den Programmen gegeben. Es sei zu viel produziert worden, und die Anforderungen an neue Produktionen seien heute wesentlich größer und vielfältiger als früher – auch bei Marketing und Vertrieb. Ganz wichtig sei ihm die „Nachhaltigkeit“: Autoren zu gewinnen, deren zweites Buch auch noch gelesen wird, und das dritte und vierte möglichst auch.

Bei der Etablierung eines Autors spielt auch der unabhängige Buchhandel mit seiner literarischen Erfahrung und seiner Kundennähe eine wichtige Rolle. Große Versandhändler orderten Titel häufig erst in größerem Umfang, wenn sie im stationären Buchhandel erfolgreich seien.

"Wir setzen nur noch auf Texte, die was Besonderes sind"

Ulrike Rodi engagiert sich bei Grafit seit mehr als 20 Jahren für ein Qualitätsprogramm. Ihr Verlag habe zwar mit den Eifel-Krimis von Jacques Berndorf (heute KBV Verlag) das Regionalthema im deutschen Krimimarkt angestoßen, verstehe sich aber „nicht als Regionalverlag“. Schon vor dem Skandinavien-Boom habe man nordische Autoren im Programm gehabt, vor allem aus Finnland. Inzwischen setze sie nur noch auf Texte, die „etwas Besonderes sind“.

Angesichts des allgemeinen Runs auf den Mainstream sei es aber die Frage, so ein Teilnehmer aus dem Publikum, wie „man gute Krimiliteratur an den Leser bringe“. „Halt“, warf Krimi-Autor Frank Göhre ein, „was sind denn überhaupt die Kriterien für einen guten Krimi?“ Eine Frage, über die sich nicht ohne Weiteres ein Konsens herstellen lässt, - dazu ist das Spektrum der Spannungsliteratur zu breit und sich die Ansprüche zu verschieden. Bücher, die gut unterhalten und die Leser intellektuell fordern – auf diese Formel brachte Rodi es.

Für Else Laudan, die mit dem Ariadne-Programm deutsche Krimiautorinnen wie Monika Geier und Merle Kröger aufgebaut und internationale Schriftstellerinnen wie Dominique Manotti in Deutschland bekannt gemacht hat, spielt das gesellschaftskritische Engagement des Krimis eine Rolle – ähnlich wie bei Brecht oder später, in den 70er Jahren, beim schwedischen Autorenduo Sjöwall / Wahlöö. Der Hamburger Verlegerin geht es um „Aufklärung“, und ihr Eindruck sei, dass „der Krimi, der hinguckt, im Aufwind“ sei.

"Cooler Independent-Verlag"

Dass man sich auch mit einem unkonventionellen Programm, das Experimente nicht scheut, über Jahrzehnte behaupten kann, zeigt der „coole Independent“-Verlag Pulp Master. Verleger Frank Nowatzki hat immer wieder Autoren akquiriert, die ungewöhnlich schreiben und nicht selten Grenzgänger zu anderen Genres sind. Um Autoren in größerem Maßstab durchzusetzen, ist er immer wieder Kooperationen eingegangen, oder hat er Rechte an große Taschenbuchverlage verkauft.

In der zweiten Diskussionsrunde (Motto: „National, international, scheißegal – entwickelt sich der Krimi in Deutschland zur Provinzposse?“) ging es um die Programmkultur in den Verlagen. Hejo Emons (Verleger Emons Verlag) und Peter Hammans (Droemer / Knaur) diskutierten über den anhaltenden Trend zum Regionalkrimi, über die zunehmende Ausdifferenzierung des Spannungssegments und die Zwänge, unter denen heute in den Verlagen Programme gemacht und Titel im Markt platziert werden.

Der erste Tag von „Krimis machen“ klang mit einer Lesung von Zoe Beck, D.B. Blettenberg und Gerhard Seyfried aus. Tag 2 stand im Zeichen der Praxis: In drei Runden erörterten Verleger, Buchhändler, Agenten und Kritiker, wie Marketing, das Verhältnis zu den Übersetzern und die Literaturkritik in der Kriminalliteratur verbessert werden kann.