Kulinarisches Quartett

Lit.Cologne liest den Teller

17. März 2015
von Max Florian Kühlem
Mehr als 100.000 Besucher erwartet die Lit.Cologne in diesem Jahr zu 203 Veranstaltungen an elf Tagen. Das schafft das bewährte Veranstalter-Team natürlich nicht, indem es ein paar Stühle in bewährte Veranstaltungsräume stellt. Große literarische Events in ausgefallenem Ambiente müssen her. Wie das kulinarische Quartett, das am 16. März 941 Besucher ins Theater am Tanzbrunnen lockte.

„Wir befinden uns mitten in der Fastenzeit", bemerkte Moderator Denis Scheck zur Begrüßung von „Den Teller lesen". Das war kein Problem, weil hier ja nur über das Essen geredet und nicht gegessen wurde. Die Menüfolge der Themen war so konzipiert, dass den Besuchern kaum einmal das Wasser im Mund zusammen lief. Es ging um die Verbindung von Lesen und Kochen, die Qualität von Kochbüchern, das Wesen der Gastrokritik und den Weg zu den Sternen.

Neben Denis Scheck, der sonst in „Druckfrisch" literarische Neuerscheinungen verreißt (und manchmal empfiehlt), saßen drei Gäste auf dem Podium, die ihr Leben dem Essen im Wortsinne verschrieben haben: Jürgen Dollase ist Deutschlands führender Gastrokritiker, schreibt für die "FAZ", den "Feinschmecker" und veröffentlicht Bücher. Dieter Müller hat 1997 seinen dritten Michelinstern verliehen bekommen und kocht heute auf dem Kreuzfahrtschiff MS Europa. Léa Linster gewann bereits 1989 den Bocuse d'or in Lyon, eine Art Weltmeisterschaft der Köche.

Hätte man Sterne für die Teilnahme am Lit.Cologne-Podium vergeben müssen, Léa Linster hätte sie alle abgeräumt. Die Luxemburgerin ist dermaßen leidenschaftlich, begeistert, humorvoll und selbstironisch, dass die Besucher im weiten Theaterraum bald an ihren Lippen hingen. Mit einem Ausschnitt aus ihrer Autobiographie „Mein Weg zu den Sternen" erzählte sie vom Gewinn des Bocuse d'or, bei dem sie wegen einer Augenentzündung mit Augenklappe kochen musste. Mit einem Trick hatte sie einen der letzten Plätze in der Menüfolge ergattert. „Das hatte ich vom Grand Prix gelernt", las sie mit überschwänglicher Stimme, „an die ersten Lieder erinnert sich am Ende keiner mehr."

Auch die anderen durften ihre Bücher präsentieren: Dieter Müller erinnerte sich mit seiner Lebensgeschichte „Wie Deutschland genießen lernte" an den Augenblick, als die Michelintester in sein Restaurant kamen und er sicher war, dass sie ihm nun einen Stern wieder aberkennen würden. Doch ihre Aussage war: „Wenn wir Sterne aberkennen, reisen wir nicht extra an." Seitdem weilt Müller auf dem Olymp der Küchengötter.

Tief in den Diskurs um die Lust am Essen und Geschmacksfragen stieg Jürgen Dollase ein. In einem Ausschnitt aus seinem Buch „Himmel und Erde" plädierte er für den äußerst vorsichtigen Einsatz von Salz und Pfeffer und brachte seine Polemik gegen die Sucht nach dem „kräftigen" Geschmack der überwürzten industriellen Nahrungsmittel auf den Punkt, indem er seine Forderung nach „aromatischer Abrüstung" bekräftigte. Die Geschmacksverirrungen der Fertigprodukte sei eine „zivilisatorische Katastrophe". Trotz der markigen Worte plätscherte sein Sprachfluss dabei allerdings so angenehm erzählonkelhaft dahin, dass man wünschte, er würde bald ein Hörbuch einsprechen. Oder seine eigene Idee umsetzen, dass Kochsendungen sich im Radio viel besser machten als im Fernsehen.

Das Erfolgsrezept der Lit.Cologne:

Nicht nur über die Wege der Gastrostars, auch über den der Lit.Cologne zu den Sternen, sagte die Veranstaltung etwas aus: Sie folgte einer Traditionslinie des Festivals, weil sich das kulinarische Quartett hier 2007 schon einmal zusammengefunden hatte. Sie lockte die Menschen auf Umwegen zum literarischen Erlebnis: Indem prominente Namen eher nebenbei auch aus Büchern lasen und mit Denis Scheck ein kluger, gewitzter Moderator die Fäden in der Hand behielt. Indem unwiderstehliche Sympathieträger unwiderstehlich sympathisches sagten: Auf die Frage nach ihrer Henkersmahlzeit antwortete Süßigkeiten-Fan Léa Linster: „Ich würde eine Madeleine essen und dem Henker auch eine geben, dann würde er mich vielleicht gar nicht mehr hängen." Man mochte es sich bildlich vorstellen und ging nach unterhaltsamen, anregenden anderthalb Stunden mit einem Lächeln im Gesicht von dannen.

Die 15. Lit.Cologne läuft noch bis zum 21. März; alle Infos unter Lit.Cologne.de. Zur Halbzeit am Dienstag, 17. März, zählten die Organisatoren etwa 50.000 Besucher. "Wenn es nicht noch zu einer Grippewelle in Köln kommt, erreichen wir die 100.000", sagte Festivalleiter Rainer Osnowski boersenblatt.net auf Nachfrage. Im vergangenen Jahr kamen insgesamt 101.000 Besucher zu den Kölner Literaturtagen.