Kurt-Wolff-Preis

Gefährdetes Paradies

6. Juli 2015
von Nils Kahlefendt

Zum 13. Mal wurde in Leipzig der Kurt-Wolff-Preis verliehen. Die Feier wurde, deutlicher als je, zum Statement für den Erhalt einer vielfältigen Literatur- und Verlagsszene. Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap sorgte mit einer eindrucksvollen Rede zur vertrackten Beziehungskiste zwischen Autor und Verlag für ein Glanzlicht der Messe.

„Verglichen mit uns lebt ihr im Paradies“, hörte Stefan Weidle von einem russischen Kollegen, als er letzten Dezember für die Kurt-Wolff-Stiftung an einer Moskauer Tagung zur Situation unabhängiger Verlage teilnahm. Das es ein Paradies auf Zeit sein könnte, machte Weidle mit Verve in seiner Rede am Rande der Kurt-Wolff-Preisverleihung im überfüllten „Berliner Zimmer“ klar: „Einige unserer Mitbewohner haben sich am Baum der Habgier gelabt.“

Weidle zeichnete ein schonungsloses Bild vom wachsenden Ungleichgewicht zwischen Filialisten und unabhängigem Sortiment – eine Schieflage, die sich noch vergrößere, wenn das e-Book-Geschäft („mit dem Tolino als Außenbordmotor auf dem Weg zu neuen Ufern“) künftig weitgehend am inhabergeführten Sortiment vorbeilaufe. Wenn die gewachsene Buchhandels-Struktur zusammenbreche, so Weidle, seien es am Ende die Indie-Verlage, die „zuerst über den bergischen Styx“, vulgo die Wupper, gehen. Die Zustände seien so alarmierend, das man die aktuelle Branchen-Kampagne auch anders, nämlich mit warnendem Unterton, aussprechen könne: „Vorsicht, Buch!“ Beunruhigend etwa, dass die Anzahl der Auszubildenden im Buchhandel zuletzt um ein Drittel geschrumpft ist.  

Auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann nutzte sein Grußwort, um für die kleinen, unabhängigen Sortimente und Verlage Flagge zu zeigen. Er beließ es nicht bei Lippenbekenntnissen, setzte aber aus seiner Sicht Machbares von frommen Wünschen deutlich ab. Die Gesetzeslücke beim grenzüberschreitenden Handel mit e-Books („Das Internet kennt keine Staatsgrenzen“) möchte Neumann – möglichst noch in der laufenden Legislaturperiode – schließen und eine Regelung analog der bei gedruckten Büchern herbeiführen: „Es dürfen keine Schlupflöcher bleiben.“

Schwieriger die Situation bei den Bemühungen um einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf elektronische Produkte, wie er etwa in Frankreich oder Luxemburg erhoben wird – gerade hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Neumann fährt hier, auch mit Blick auf die angespannte Haushaltslage, einen abwartenden Kurs. Und hält es schon für einen Erfolg, dass die jetzt geltenden Regelungen für gedruckte Bücher beibehalten werden konnten.

Die nicht zuletzt von der Kurt-Wolff-Stiftung mit Blick auf die Kino-Förderung immer wieder vehement geforderte staatliche Unterstützung für inhabergeführte Buchhandlungen nimmt Neumann ernst – auch dies sei jedoch ein Problemkreis, der „europapolitische Fragen“ aufwerfe. Der Staatsminister lud die Verleger dazu ein, in engem Kontakt mit den Fachleuten seines Hauses an durchsetzungsfähigen Vorlagen mitzuarbeiten.   

Dass die kulturpolitischen und gesetzgeberischen Rahmenbedingungen des Handels mit dem vertrackten Kulturgut Buch dergestalt im Fokus einer eigentlich als Preisverleihung annoncierten Veranstaltung standen, ist angesichts einer latent gefährdeten Buchhandelslandschaft nur zu verständlich. Es war Maja Haderlap, die mit ihrer Laudatio auf den Göttinger Wallstein Verlag und den Träger des Anerkennungspreises, den jungen Berliner binooki Verlag, daran erinnerte, warum man sich eigentlich versammelt hatte – und dass es auch in für die Branche stürmischen Zeiten Grund zum Feiern gibt.

Wie wird man von der Autorin zur Laudatorin für einen Verlag? Die Bachmann-Preisträgerin entwickelte aus dieser sehr persönlichen Sicht grundlegende Überlegungen zum nicht immer komplikationsfreien Verhältnis zwischen Autor und Verlag – ironisch, warmherzig, voller Poesie. Es war, um es kurz zu machen, eine der schönsten Lobreden in der an rhetorischen Sternstunden nicht eben armen 13jährigen Geschichte des Preises (die Rede im Wortlaut hier).

Thedel von Wallmoden reichte das Lob kurzerhand an seine Autoren, seine Göttinger Mannschaft, allen voran Thorsten Ahrend, weiter: „Ohne euren Ideenreichtum, eure Arbeit im Bergwerk der Sprache, eure Ausdauer in der Wissenschaft gäbe es diesen Verlag nicht.“ Für ihn ist der Preis „die schönste Bestätigung für das, was wir seit 27 Jahren vorrantreiben – und was uns vorrantreibt.“  

Kurt Wolff, dem Independent-Übervater, der seinen Verlag am 15. Februar 1913 ins Leipziger Handelsregister eintragen ließ, hätte all das gut gefallen. Die Ausstellung „100 Jahre Kurt Wolff Verlag, Leipzig“ ist im Literaturforum (Halle 5) zu sehen.