LCB-Sommerfest

Mit Suhrkamp zum Wannsee

4. September 2017
von Nils Kahlefendt
Die letzten schönen Tage: Beim Sommerfest des Literarische Colloquiums Berlin (LCB) groovt sich der Betrieb auf den literarischen Herbst ein. Diesmal waren Suhrkamp und Insel Gastgeber.  

Vor wenigen Tagen noch prognostizierten sämtliche Wetter-Orakel fürs erste Berliner September-Wochenende sibirische Kälte und fiesen Regen. Die Survival-Agenten des LCB hatten wacker Partyzelte installiert, die im Sintflutfall immerhin ein paar Unermüdlichen Schutz gewährt hätten.

Doch es kam anders: Beim LCB-Sommerfest am vergangenen Samstag (2. September) zeigte sich der Himmel über Berlin von seiner besten Seite; Suhrkamp und Insel haben – liegt’s am Verlag der Weltreligionen? – offensichtlich einen guten Draht zu den Göttern. Zahlreiche Besucher enterten bereits ab dem frühen Nachmittag die Villa mit dem genialen Wannsee-Blick, am Ende kamen um die 1.200 Gäste – darunter viele Autoren, Kritiker und befreundete Branchen-Kollegen, auch rund 60 Buchhändler rissen sich von der heimischen Ladenkasse los.

Dazu diverse Hauptstadtkulturprominenz und, natürlich: Leser über Leser, die das temporäre Angebot von Schleichers Buchhandlung ebenso goutierten wie das von Cara Nicolettis Weltliteratur-Rezepten ("Yummy Books", erschienen bei Insel) inspirierte Tages-Menü. Beim Wechselverhältnis von 2 Portionen Kichererbsencurry gleich 1 Hardcover-Roman hätte man glatt eine Diskussion über die Angemessenheit von Buchpreisen lostreten können – wäre in diesem Moment nicht die MS "Heiterkeit" durchs Wannsee-Postkartenbild getuckert.  

"Da läuft ein Schwein" 

Im Halbstundentakt gab es zwischen Terrasse und Rotunde am See literarische Duette, dabei waren mit Sasha Marianna Salzmann ("Außer sich"), Marion Poschmann ("Die Kieferninseln") und Robert Menasse ("Die Hauptstadt") gleich drei Kandidaten für den Deutschen Buchpreis zu erleben. Der Wiener Menasse lieferte bei der Lesung aus seinem neuen Roman den coolsten ersten Satz ab: "Da läuft ein Schwein."

Die nun als Romanautorin debütierende Salzmann, Hausautorin am Berliner Maxim-Gorki-Theater und bislang eher für ihre Stücke bekannt, hätte mit dem eigens für die Sommer-Sause eingerichteten "Chor der TheaterautorInnen" wiederum beste Chancen auf den Elfriede-Jelinek-Ähnlichkeitswettbewerb: ein Dutzend Suhrkamp-Dramatiker*innen live on stage im Textflächen-Großeinsatz. 

Wie anschaulich sind Zündkerzen? 

Zwei Lyrik-Duette boten spannende Paarungen der deutschen Gegenwarts-Lyrik. In der Rotunde traf Jürgen Becker ("Graugänse über Toronto") auf Durs Grünbein ("Zündkerzen"). Steckt im modern-technoiden Titel von Grünbeins neuesten Gedichtband, der so gar nicht nach Arkadien klingt, ein neues poetologisches Programm? Ach was, bitte nicht so hoch hängen, meint der Dichter, der, statt komplett auf Abstraktion zu setzen, große Stücke auf Anschaulichkeit hält.

Die neuen Texte von Becker wie Grünbein pendeln zwischen unmittelbar wahrgenommenen Gegenwartsmomenten und ausschwingender Erinnerung. So gesehen, ist der Wannsee nicht nur Postkarten-Idyll; "jeder weiß, was da beschlossen wurde", sagt Grünbein, "in diesem Feld stehen wir und das bilden Gedichte ab".  

Lyrik-Dream-Team

1983 haben Lutz Seiler und Thomas Kunst beim FDJ-Poetenseminar in Schwerin noch unter "Geli, Geli!"-Rufen zum Blues und Soul der Angelika-Weiz-Band getanzt, später mit anderen Autoren die Zeitschrift "Moosbrand" herausgegeben, lange bevor sie in Gerhard Wolfs Januspress erschien. Als 1995 Seilers Lyrik-Debüt im Oberbaum Verlag kam, moderierte, klar doch: natürlich Kunst die Buchtaufe – er selbst hatte damals schon drei Bände am Start. Eine Dichterfreundschaft, die den anderen ernst und seismografisch genau wahrnimmt, auch wenn nicht jeder die Ratschläge des anderen befolgen mag.

Das von Doris Plöschberger moderierte Gespräch gehörte zu den Highlights des Fests; mit Kostproben aus Seilers "Im Felderlatein", 2010, also noch vorm Roman-Erfolg "Kruso" erschienen, und Thomas Kunsts druckfrischem Gedichtband "Kolonien und Manschettenknöpfe" spielten die alten Freunde groß auf. Inzwischen war die Sonne in den Wannsee gestürzt. 

Suhrkamp-Krimi-Culture

Das leidenschaftlichste Loblied, nein: eine sich in immer höhere Höhen schaukelnde Huldigung auf die Arbeit des Verlags erscholl zur Prime-Time aus der Rotunde am See. Eigentlich sollte dort eine Krimi-Session unter der lockeren thematischen Klammer "Rache" über die Bühne gehen. Am Tatort: Andreas Pflüger ("Niemals"), Simone Buchholz ("Beton Rouge") und Friedrich Ani ("Ermordung des Glücks"), der dann grundsätzlich wurde: "Wir drei", meinte Ani, "schreiben ja Bücher, wo man sagt: Hey? Ist das jetzt echt Suhrkamp? Ich liebe diesen Verlag dafür, dass er sich entschieden hat, so genannte Genre-Literatur zu machen. Wir drei und viele anderen Kollegen, die in diesem Programm sind, haben unheimlich davon profitiert." – "Im Grunde ist das betreutes Schreiben, was wir hier machen", sekundierte Andreas Pflüger.

Währenddessen wurde oben im Saal Lenins Frage "Was tun?" bereits unter Anleitung der Bolschewistischen Kurkapelle mit viel Blech und Punk, Brecht/Weils "Solidaritätslied", Gilbert Bécaud, Hilde Knef und Ideal beantwortet:

"Rot wie Feuer, glühend heiß, / 
jung und saftig, schon gebremst, / 
Schönheit 1980, / 
blutrot geht der Playboy auf."

Und dann? Übernehmen an den Turntables die DJs Thomas Meinecke und Sivan Ben Yishai. Der Betrieb ist ordentlich eingegroovt. Der literarische Herbst kann kommen.