Leipziger Buchmesse

Bücher, Bücher, Bücher

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Während in Rom weißer Rauch über der Sixtinischen Kapelle aufsteigt, feiert die Branche im Leipziger Gewandhaus bei Schnee und Minusgraden die Ankunft des Bücherfrühlings − und mit Klaus-Michael Bogdal einen Geisteswissenschaftler, der sich der Humanisierung des Lebens verschrieben hat.  
Buchmesse-Eröffnung im Gewandhaus − same procedure as every year: Während draußen, passend zum frostiger gewordenen Branchenklima, noch einmal der Winter seine Instrumente zeigt, rückt die festlich gestimmte Gemeinde drinnen enger zusammen: Dass Buchhändler und Verleger in diesen Wochen zum Gesprächsthema geworden sind − wegen eines "international agierenden Online-Händlers, der von Luxemburg aus Bücher anbietet" − lässt Börsenvereins-Vorsteher Gottfried Honnefelder in die Offensive gehen: Die Diskussion rücke immerhin "Aufgaben und Fähigkeiten des Handels ins öffentliche Bewusstsein". Dass es nicht gleichgültig ist, wo man kauft und verkauft, wusste schon Goethes Faust − die Branchen-Kampagne "Vorsicht Buch!" kommt für Honnefelder just in time: "Gibt es für Verlage und Buchhandlungen einen besseren Zeitpunkt als jetzt, zu zeigen was sie können?" 
Werden nun schon weniger Billy-Regale verkauft, wegen der E-Books? Der Referent von Burkhard Jung hat es seinem Chef so in die Buchmesse-Eröffnungsrede geschrieben. Doch der von seinen Leipzigern eben wieder gewählte OBM relativiert mit einem "angeblich". Sicher ist er nicht. Was Umbrüche angeht, ist seine alte Buchstadt allerdings erfahren: "An die großen Verlage erinnern in Leipzig fast nur noch die Straßennamen." Doch jetzt, trotz Schnee und Minusgraden, ist Leipzig im Buchmessefieber. Und da, weiß Jung, helfen nur schwere Medikamente, am besten viel davon: "Bücher. Bücher. Bücher." Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich wirbt um Verständnis für die schätzungsweise 7,5 Millionen Menschen in Deutschland, die weder lesen noch schreiben können, das Gewandhaus-Orchester federt die mahnenden Worte mit einem Klassik-Best-of-Medley aus Wagner, Mozart und Rossini ab.

Feridun Zaimoglu, ein Mann klarer Worte in gesellschaftspolitischen Debatten, hält die Laudatio auf Klaus-Michael Bogdal, der für sein brillant geschriebenes, detailversessen recherchiertes Buch "Europa erfindet die Zigeuner" (Suhrkamp) mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet wird. "Bosheit ist wie Kohle, sie brennt und schwärzt" − in einer performancehaften Verdichtung führt Zaimoglu noch einmal vor, wie die Rede vom "Zigeuner", als gesellschaftliches Konstrukt, durch Legenden, Bilder und Halbwissen über 600 Jahre fest- und weitergeschrieben wurde: die Nachtseite der ach so aufgeklärten Zivilisationshochburg Europa. Um sich schließlich vor der "Menschenliebe" zu verneigen, ohne die sein Freund Bogdal dieses große Buch nicht hätte schreiben können. Eine Rede, die den Geehrten, eigentlich ein "Kopfmensch", sichtlich ans Herz greift.

Bogdal, der Literaturwissenschaftler, begreift die Auszeichnung auch als Ermutigung für ein Fach, dessen Bücher immer mehr in die Kataloge von Spezialsortimenten abgedrängt werden. Viele Schätze sind noch zu heben: "Manches davon glänzt, sobald man es vom Staub und Mehltau des akademischen Autismus befreit." Stellt man sich jetzt noch vor, das solche Schätze auf engagierte Verleger und Buchhändler, auf viele neugierige Leser treffen − die Buchmesse könnte nicht hoffnungsvoller beginnen.   

nk