Mit der Buchhandlung ist es wie mit dem Buch selbst, ich falle hinein, heraus aus der grausigen Welt, da ist eine Schwelle, der erste Satz oder die Tür, und dann bin ich drin, dann ist es ruhig. Bei Höllrigl besonders, das liegt am Teppich, der die Schritte schluckt, das liegt an den Büchern, die geräuschlos warten, an der Ehrfurcht liegt es auch ein bisschen, man mag nicht herumtönen an einem so stillen, geschichtsträchtigen Ort.
Parallel zur Getreidegasse, mitten im wuseligen Geschehen, befindet sich das Haus, an dessen Gesims die Jahreszahl 1294 steht. Wie alt mag der Stein sein am Gewölbe innen, typisch für die Salzburger Altstadt, die ausschaut wie in den Berg gehauen, Felsenkeller, feuchtes Konglomerat, barbarisch schön? Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, wem die Buchhandlung gehört und wie die Mitarbeiter heißen, sie sind freundlich, wir lächeln uns an, doch wir unterhalten uns nicht.
Ich gehe hierher, um weg zu sein von den Menschen, um bei den Büchern zu sein, und schon gar nicht mag ich mich beraten lassen. Dann sehen sie mich so an, forschend und auffordernd, wollen herausfinden, was mich im Innersten erreicht, und das kann ich nicht aushalten, zu intim ist mir das.
Vielleicht entgehen mir dadurch Bücher, die mich aufbrechen würden und neu zusammensetzen, aber ich hoffe einfach, ich finde sie auch so. In Österreich ist es in Ordnung, nicht reden zu wollen, wir kultivieren und zelebrieren den Grant. Ich liebe diesen Ort auch deshalb, weil man mich hier in Ruhe lässt.
Zum ersten Mal komme ich, als ich anfange zu studieren, 2001, ich bin 18, ich brauche Fachliteratur, es zieht mich die Treppe hinauf zu Stowasser, Kluge, Duden. Das Geländer ist abgeschmirgelt von den Händen der Leser, die hier auf und ab gegangen sind. Am meisten mag ich den kleinen Extraraum oben, voller Reiseführer und Möglichkeiten ist er.
Unten streife ich an den Romanen entlang wie ein lauerndes Tier. Ich brauche sie, kaufe sie, fresse sie, investiere das wenige Geld, das ich habe, in sie. Meine Liebe zu ihnen ist obsessiv, ohne Bücher kann ich nicht sein. Und ich will das auch, denke ich, wenn ich sie da sehe, in den dunklen Höllrigl-Holzregalen, die Hardcover, die neonfarbenen Reclams, die internationalen Taschenbuchbestseller.
Ich will ein Buch schreiben, das dann hier, unter dem Steingewölbe, geräuschlos wartet. Eines Tages, denke ich. Eines Tages gelingt mir das. Ich bin jung, ich habe viel Arbeit vor mir, Stunden des Ringens, des Zweifelns, des Scheiterns, aber das ist mir nicht klar, ich bin optimistisch, zuversichtlich, ein wenig naiv. Der Segen der Jugend, ein schöner Zustand.
Ich stehe auf dem Teppich, der Schritte schluckt, nehme José Saramago, Peter Høeg, Javier Marías, meine Lieblingsautoren zu jener Zeit, ich bezahle und bedanke mich. Sie werden sich nicht erinnern, dass ich da gewesen bin, sie wissen nicht, dass sie mein Refugium ist, diese stille Buchhandlung, ein Schutzraum. Dann muss ich zurück, über die Schwelle, hinaus in die grausige Welt.