Literaturagenten zum Machtkampf mit Amazon

"Der einzige Weg des öffentlichkeitswirksamen Protestes ist der über die Autoren"

9. Juli 2014
von Börsenblatt
Amazon ringt mit Verlagen nicht nur um Rabatte, sondern auch um Einfluss bei den Autoren − und die Agenturen stehen mittendrin. Wie Literaturagenten die Lage einschätzen und inwiefern sie sich selbst von Amazon unter Druck gesetzt sehen: boersenblatt.net hat sie befragt.

Amazon beweist bei seinen Konditionenverhandlungen einen langen Atem. Nach wie vor scheint es keine rechte Bewegung im Streit mit Bonnier um E-Book-Rabatte und Lieferboykotte zu geben – stattdessen häufen sich die Fragen: Geht es Amazon wirklich nur um die kurzfristige Rendite? Oder hat der Konzern nicht doch ein größeres Ziel im Blick, nämlich alle Aufgaben entlang der Wertschöpfungskette sukzessive an sich zu ziehen? Verlieren Verlage dabei womöglich ihr größtes Kapital an Amazon: die Autoren, weil der Onlinekonzern im E-Book-Geschäft mit höheren Honoraren locken könnte? boersenblatt.net hat Literaturagenten dazu befragt. Ihre Einschätzungen:

Silke Weniger (Literarische Agentur Silke Weniger)

"Der einzige Weg des öffentlichkeitswirksamen Protestes ist der über die Autoren"

"Wie wir spätestens seit diesem Frühjahr wissen, geht es Amazon um alles: Kunden, Autoren, Inhalte – das heißt nicht mehr nur um die Marktdominanz, sondern um die vollständige Marktkontrolle.

Über kurzfristig attraktive Prozentbeteiligungen (70 Prozent für Selfpublisher auf Createspace) versucht Amazon, Autoren an sich zu binden. Aus Sicht unserer Agentur gehen aber in erster Linie Autoren zu Amazon, die bereits die Bewerbungstour durch die Verlage hinter sich haben.

Amazons Angebote an Autoren sind attraktiv. Sie versprechen für bestimmte Genres echten Erfolg und lukrativen Ertrag. Wir haben nichts gegen Amazons Vorstöße auf diesem Gebiet, sondern betrachten sie als Ergänzung zu den bisherigen Publikationswegen.

Problematisch wird es dort, wo Amazon seine Vertriebsmacht ausnutzt, um Produkte anderer Anbieter zu unterdrücken und gleichzeitig seine eigenen Produkte zu vertreiben. Da die Gesetzgeber mit dieser geballten Form von Interessens- und Rollenüberschneidung überfordert sind, die Verlage sich dem Verdacht von Wirtschaftsabsprachen nicht aussetzen dürfen und Amazon als Vertriebskanal weiter brauchen, ist der einzige Weg des öffentlichkeitswirksamen Protestes über die Autoren.

Die amerikanischen Autoren James Patterson und Douglas Preston machen es vor:  
Patterson wirft Jeff Bezos Wirtschaftskrieg vor ("Spiegel Online" berichtete), Prestons offener Brief in "Publishers Weekly" fordert Autoren und Leser dazu auf, Protestbriefe an Jeff Bezos zu schreiben. Preston hatte gehofft, zwölf "courageous authors" zu finden. Bis letzten Donnerstag hatten bereits 300 Autoren an Bezos geschrieben, darunter Stephen King und Nora Roberts.

Sein Appell hat auch hierzulande Autoren erreicht. So schrieb der deutsche Bestseller-Autor Karl Olsberg an Jeff Bezos. Seiner Meinung nach hat Amazon mit seinen Unterdrückungsversuchen gegenüber klassischen Verlagen erstmals den Bogen überspannt.

Olsberg, sonst ein bekennender Fan von Amazon, schreibt: "Ich möchte die Freiheit haben, selber zu entscheiden, ob ich ein Buch auf die traditionelle Art oder im Selfpublishing veröffentliche. Ich habe kein Interesse daran, die Bildung eines Monopols zu fördern, erst recht nicht, wenn es seine Marktmacht nutzt, um seine Partner zu nötigen." ("I want the freedom to decide whether I publish a book the traditional way or by selfpublishing. I'm not interested in supporting the development of a monopoly in the book industry, even less if it is using its market power to bully its partners.")

Ich werde Autoren, die keinen traditionellen Verlag für ihre Bücher finden, weiterhin raten, Selfpublishing-Portale von Amazon und anderen Anbietern zu nutzen. Für Autoren hingegen, deren Potential die klassischen Verlage besser entwickeln können, ist Amazon ein Weg hinaus aus dem Wahrnehmungshorizont der (klassischen) Buchszene − und damit für viele Talente ins Nichts. Von den Kunden wünsche ich mir, dass sie endlich begreifen, dass ein bei Amazon verlegtes Buch kein Gütesiegel trägt, und dass jedes bei Amazon bestellte Buch dem Buchhändler um die Ecke seine Existenzgrundlage entzieht und zum überall sichtbaren Ladensterben beiträgt."

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Peter S. Fritz (Paul & Peter Fritz AG)

"Ich habe noch keine schlaflose Nacht darüber verbracht, als Agent Autoren an Amazon zu verlieren"

"Amazon führt sich äußerst destruktiv in der Buchbranche auf. Ich kann da weder 'Dekonstruktion' nach Derrida noch eine 'Zerstörung für einen Neuaufbau' nach Schumpeter erkennen – sondern einen überbordenden Machtanspruch eines konkurrenzlosen Unternehmens, welcher vor Nötigung und Erpressung 'à la Putin' nicht zurückschreckt.

Da baut in München Amazon einen Verlag für deutsche Autoren auf und erntet gleichzeitig sehr schlechte Presse, sei es im Umgang mit Mitarbeitern oder mit Lieferanten, den Verlagen. Da ist schon mal was schlecht koordiniert, wie das bei Großunternehmen immer wieder vorkommt. Zudem erfahren wir, dass Amazon in den USA die von Autoren eingestellten Audiotexte nun einseitig schlechter honorieren will. Das wird mit den bei Amazon eingestellten Texten genauso geschehen. Immerhin nett von Amazon, heute schon die Zukunft mit den sich abzeichnenden schlechteren Bedingungen aufzuzeigen.

Ich habe noch keine schlaflose Nacht darüber verbracht, als Agent Autoren an Amazon zu verlieren. Hingegen kommt es vor, dass ich Autoren, welche ich bei herkömmlichen Printverlagen nicht unterbringen kann, den Weg zum E-Selbstverlag empfehle, wobei ich mit Nachdruck rate, sich nicht einer proprietären Plattform wie Amazon auszuliefern. Ich wünsche mir selbstbewusste Verlage, welche sich die Solidarität der Autoren mit guten und fairen Bedingungen erwerben."

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Daniel Graf (Graf & Graf

"Autoren legen nicht nur Wert auf faire Vorschüsse und Honorare, sondern auch auf professionelle Unterstützung"

"Ob Amazon den Verlagen Autoren abspenstig machen möchte? Man könnte auf die Idee kommen, Amazon will ein bisschen mehr als das, zum Beispiel Verlage gleich ganz loswerden, Agenturen auch. Natürlich verschweigt die "Cut-out-the-middleman"-Rhetorik, dass auch dann noch eine Instanz zwischen Autor und Leser wäre: nämlich Amazon, das sämtliche Konditionen diktieren könnte.

Ob die Autoren von traditionellen Verlagen abwandern werden? Manche mit Sicherheit. Aber es gibt eben nicht DIE Autoren, sondern die Bedürfnisse unterscheiden sich von Person zu Person, und dann wieder von Projekt zu Projekt. Mit der Digitalisierung haben sich die Optionen für Autoren enorm erweitert, durch neue Finanzierungs- und Distributionswege, aber auch durch zum Teil hochinteressante Digitalverlage und -imprints.

Unsere Aufgabe als Agentur ist es, für unsere Autorinnen und Autoren jeweils die individuell beste Lösung zu finden. Und hier kann man tendenziell sagen: Der weitaus überwiegende Teil der von uns vertretenen Autor_innen legt nicht nur Wert auf faire Vorschüsse und Honorare, sondern auch auf professionelle Unterstützung bei Textarbeit, PR und Marketing, auf ästhetisch anspruchsvolle Herstellung und nicht zuletzt auf persönlichen Austausch, der sie auch inhaltlich voranbringt. Solchen Autor_innen hat Amazon bislang nicht viel anzubieten."

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Marc Koralnik (Liepman AG

"Langfristig dürfen höhere E-Book-Honorare bei den traditionellen Verlagen kein Tabu mehr sein"  

"Autoren wünschen sich einen Verlag, der sich ab der ersten Manuskriptseite engagiert, oft schon vorher, inhaltlich und programmatisch, mit seinem ganzen Know-how und etablierten Netzwerk, stationär und online – und alle Plattformen bespielt. Mit dem deutschen Verlagsprogramm von Amazon sind wir bisher nicht in Kontakt gekommen und kennen deren Leistungskatalog und -ausweis nicht aus der Praxis. Wir vermuten, dass sich einzelne Autoren allenfalls mit höheren Honoraren von Amazon verlocken lassen − solange Autoren aber von der verlegerischen Kompetenz und der Unternehmenskultur ihrer Verlage profitieren, werden sie die vertrauten Verlagsmenschen und -marken und die Vielfalt des Vertriebs weiterhin bevorzugen. Allerdings dürfen langfristig höhere eBook Honorare bei den traditionellen Verlagen kein Tabu mehr sein.  

Wie sich bei Amazon die Honorargestaltung langfristig entwickeln wird, ist derzeit nicht abzusehen. Aber einmal "locked-in", ist nicht auszuschließen, dass Amazon-Autoren unter ähnlichen Druck geraten könnten wie aktuell Bonnier und wohl auch andere Verlage, damit der Internetriese seinen erwarteten Gewinn irgendwann realisieren kann."

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Ernst Piper (Literaturagentur Ernst Piper):

"Amazon zögert keine Sekunde, seine Machtkämpfe auf dem Rücken der Autoren auszutragen"

"Mir ist kein einziger Autor bekannt, der zu Amazon wechseln möchte. Amazon wird immer dann attraktiv, wenn ein Autor keinen Verlag findet, oder aber, wenn der Verlag seine Bücher aus dem Programm nimmt. Dann ist der Kindle der Strohhalm, der dem Autor bleibt, um weiterhin Zugang zu seinen Lesern zu finden. Aber es bleibt das Problem, dass der Autor sich damit in die Fänge eines proprietären Systems begibt und – ob er will oder nicht – die Position eines Unternehmens stärkt, dessen Marktmacht schon heute viel zu groß ist.

Die aktuellen Auseinandersetzungen, bei denen Amazon versucht, so bedeutende Verlagsgruppen wie Hachette und Bonnier in die Knie zu zwingen, zeigen, dass der Händler keine Sekunde zögert, seine Machtkämpfe auf dem Rücken der Autoren auszutragen, wenn das seinen Interessen dient. Amazon kennt für sein Handeln nur einen einzigen Maßstab, das ist die Rendite. Dafür nimmt Amazon jeden Flurschaden in Kauf. Gleichzeitig profitiert das Unternehmen in gewaltigem Maß von der Buchpreisbindung und bezahlt andererseits in Deutschland kaum Steuern.

Die Agenten haben bis heute immer die Linie vertreten, dass digitale und Printrechte in einer Hand sein sollen. Die Verlage sollten aus den ihnen übertragenen Rechten aber auch etwas machen, sich für ihre Autoren und deren Werke engagieren und ihnen einen angemessenen Anteil an den Erlösen einräumen. Dann wird auch ein Großhändler wie Amazon ihre überlegene Kompetenz bei der Betreuung von Autoren nicht in Frage stellen können."

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Bastian Schlück (Literaturagentur Thomas Schlück)

"Anlagen, die die meiste Verzinsung versprechen, sind häufig mit Risiken verbunden"

"Professionelle Autoren werden immer gerne mit Partnern zusammenarbeiten, denen sie vertrauen können und die ihnen – auf lange Sicht – die besten Chancen für ihre Karriere bieten. Ob Amazon dieser langfristige Verlagspartner sein kann darf zumindest bezweifelt werden, vor allem wenn man sich die aktuelle Verhandlung über die Konditionen mit den Verlagen anschaut.

Selbstverständlich darf jeder Markteilnehmer versuchen, für sich die bestmöglichen Parameter zu verhandeln, aber ist dies wirklich eine Verhandlung auf Augenhöhe? Und wenn Amazon an diesem Punkt erfolgreich ist, was sind die nächsten Schritte? Man kann als Autor auf Amazon als Verlagspartner setzen – aber ein Blick auf Geld-Investitionen zeigt auch, dass Anlagen, die die meiste Verzinsung versprechen, häufig mit Risiken verbunden sind."

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Georg Simader (Copywrite)

"Amazon hat Nachholbedarf, die Verträge entsprechen nicht den deutschen Standards, die Vermarktungsstrategie erschließt sich nicht"

"Amazon publishing, die ja im Juni ihren ersten Titel in Deutschland auf den Markt gebracht haben, werden sich nicht leicht dabei tun, Autoren an sich zu binden. Zwar gibt es hohe Absatzbeteiligungen, aber ansonsten hat der Konzern Nachholbedarf.

Die Verträge entsprechen nicht den deutschen Standards, die Vermarktungsstrategie erschließt sich nicht, es gibt keine durchschaubaren Verlagsstrukturen. Was viele Autoren zudem reizt: Eine Heimat zu haben. Sprich: vor Ort mit ihrem Lektor sprechen zu können, ihre Bücher in Buchhandlungen wahrzunehmen, durch den Verlag veranstaltete Lesungen vermittelt zu bekommen. Denn Schreiben ist ein einsames Geschäft − Internetpräsenz ist nicht alles.

Und wenn wir über die Selfpublisher reden? Die ihre Manuskripte hochladen, oftmals unlektoriert und mit fragwürdigen Covern? Arrivierte Autoren werden wohl kaum zusammen mit den meisten dieser Autoren in einer Liga spielen wollen. Das ist eine Frage der Ehre und des guten Geschmacks. Noch."