Luis Omer Džananović gewinnt das Finale des 55. Vorlesewettbewerbs

Stöhnen, Zischen und Bilder im Kopf erzeugen

3. März 2015
von Börsenblatt
Ein vollbesetztes Studio A des Rundfunks Berlin Brandenburg: In Berlin lesen im Augenblick die 16 Landessieger des Vorlesewettbewerbs, die sich aus rund 575.000 Sechstklässlern qualifiziert haben. Bemerkenswert: Es lesen deutlich mehr Jungs als Mädchen. Bundessieger 2014 wurde Luis Omer Džananović (Mecklenburg-Vorpommern).

"Das wird einer meiner liebsten Termine im Bücherjahr!", hatte Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller zu Beginn der Veranstaltung gesagt. "Vorlesen kann nach meiner Erfahrung nur gelingen, wenn man Spaß daran hat" - bereits im Vorfeld hatte Deutschlands oberster Buchhändler im lockeren Gespräch mit den Schülern bemerkt, wie interessiert sie an den Lesestoffen waren. "Ich war als Kind regelrecht süchtig nach Büchern und ihren Geschichten - an Lesestoff hat es mir glücklicherweise nie gefehlt, meine Eltern hatte ja eine Buchhandlung..."

Riethmüller erinnerte an seine Lieblingsgeschichte als Kind, Michael Endes "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer": "Wie man Angst und Aufgeregtheit umgehen kann, zeigt der Scheinriese Tutur, der sich bei näherem Hinsehen als gar nicht mehr groß herausstellt." Der Vorjahressieger Tom Niesporek riet den 16 Kandidaten, "sich auf gar keinen Fall zu verstellen und so vorzulesen, wie man es sich in seinem Kopf vorstellt. "Versprecher sind überhaupt nicht schlimm, das kann man technisch regeln - wichtig ist, dass man die Bilder vor Augen hat und mit der Stimme rüberbringt" pflichtete Jurymitglied Angelika Schaack, Verlegerin der Hoercompany, bei.

Mehr Raum für die Juroren
"Nichts schöner als das Rascheln von bedrucktem Papier", meinte Dagmar Reim, Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, der das Bundesfinale aufzeichnet und die Sendung "quergelesen - Die besten Vorleser Deutschlands" am 11. Oktober um 16.50 Uhr auf KiKa und am 18. Oktober um 7.35 Uhr im RBB Fernsehen ausstrahlt. Neu im Fernsehformat: Nach jedem Vorlesebeitrag können die Juroren ähnlich wie Castingshows einen Kommentar zum Können des Kandidaten abgeben, am differenziertesten von Verlegerin Angelika Schaack, der man das jahrzehntelange genaue Zuhören und die Regie bei Hörbüchern anmerkt. Der Jury gehören in diesem Jahr Vorjahressieger Tom Niesporek, Moderatorin Sina Gätgens, Schauspieler David Kross, Hörbuch-Verlegerin Angelika Schaack und Sprecher Rainer Strecker an. Von der Dramaturgie der Veranstaltung wurde die in den Vorjahren weitgehend unsichtbar wirkende Jury in den Vordergrund geholt: Häufig befragte der durch das Finale führende Moderator Marc Langebeck die Juroren nach persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen.

Dessen ungeachtet standen die Vorleser im Mittelpunkt: In diesem Jahr überwiegen die Jungs - 10 zu 6 ist das Verhältnis, und Vorleseergebnisse zeigen, wie stark Jungs lesen können. Die Unterschiede der Stimmen sind von Klang und Timbre her groß: Während Nils Löffler (Baden-Württemberg) glockenhell und Johann Hendrik Langschmidt (Hamburg)einfühlsam mit den Protagonisten des Texts mitbangt und -sehnt, brachte Luis Omer Džananović (Mecklenburg-Vorpommern) rauh mit liebenswert norddeutschem Akzent das Publikum zum Schmunzeln oder hielt der Berliner Louiz El-Hosri mit gekonnten Pausen die Spannung und drückte in entsprechenden Passagen das Zittern aus. Aufgeregt lebte der jüngste Teilnehmer, der zehnjährige Bremer Fabian Pohlemann die Stimmungen in seinem Text mit. Katharina Döring (Bayern), Lea Winsel (NRW) und Katharina Stühn (Hessen) akzentuierten stark mit kräftiger deutlicher Stimme und meist aufsteigender Satzmelodie, Jacob Dag (Brandenburg) prononcierte überdeutlich, stöhnte, keuchte, ließ den Atem zischen: Applaus.

Elaiza als unterhaltsamer Showact
Während sich die Jury zweimal zur Beratung zurückgezogen hatte, sang die Band Elaiza, die Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten hat, ihren Erfolgssong »Is It Right« und weitere Lieder. Gute Laune hatten auch viele der vorlesenden Schüler: Sichtlich Spaß beim Lesen hatte Jonathan Knewitz (Rheinland-Pfalz); er zauberte sein eigenes Lächeln auf die Gesichter des Publikums und brachte das Absurde in Tom Llewellyns „Das Haus, in dem es schräge Böden, sprechende Tiere und Wachstumspulver gibt“ (Thienemann) gekonnt „rüber“. Vergnügt auch das Mienenspiel von Eddie Ringwelski (Thüringen), der das Publikum in „Fantastische Ferien im Paradies“ (dtv) entführte.

Immer wieder wurde in Passagen auch Stimmakrobatik eingesetzt, Juna Robin Zakawitz (Niedersachsen) ließ es grummeln und brummeln, mit verschiedenen Stimmen trieb Philipp Lau (Sachsen-Anhalt) dramatisch den Text nach vorn, Nathalie Weber (Saarland) ließ ihre Stimme nach oben entsetzt wegkippen und funkelte das Publikum im Sinne des Textes beschwörend an: „Haben Sie diesen unheimlichen Blick gesehen?“ meinte Moderator Marc Langebeck.

Eine Stecknadel fallen hätte man hören können bei Hannah Repenthins (Schleswig-Holstein) Vortrag aus Tom Averys „Der Schatten meines Bruders“ (Beltz & Gelberg). Verblüffend: Vincent Koch (Sachsen) las ungemein ähnlich wie Vorjahressieger Tom Niesporek im vergangenen Jahr, ging empathisch mit dem Text mit, staunte, seufzte.

„Die Leistungen der Vorleser haben mich vom Hocker gerissen“, meinte Staatssekretärin Caren Marks, die die Grüße von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig übermittelte. Nur einer der 16 Profis konnte aber gewinnen: Die Jury überzeugte  Luis Omer Džananović aus Gutow (Regionale Schule in Zehna) am stärksten.

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