Markenbewusstsein im Ratgebermarkt

Die Kraft der Marke

11. März 2016
von Cornelia Birr
Gute Ratschläge nimmt man nicht von jedem an. Ratgeberverlage wissen das. Für sie gehören Markenaufbau und -pflege deshalb zu den vornehmsten Aufgaben.

Ob Schokoriegel, Gesichtscreme oder Buch – Marken bieten dem Verbraucher Orientierung im Produktdschungel. Tatsächlich sei gerade bei der Ratgeberliteratur die Marke häufig das Hauptargument bei der Entscheidung für einen Titel, stellt Chris­tian Wagner, Vertriebsleiter Buch bei der Stiftung Warentest, fest. Die Bedeutung, die der Marke im zunehmenden Wettbewerb auf dem Ratgebermarkt zukommt, wächst dabei stetig. Sie stehe für eine "Kompetenzvermittlung über das einzelne Buch hinaus", sagt Birgitta Barlet, Programmleitung Buch im Kosmos Verlag. "Hat der Leser positive Erfahrungen gemacht, lässt er das in die nächste Kaufentscheidung mit einfließen."
Ratgeberverlage sehen sich warengruppenimmanenten Schwierigkeiten ausgesetzt: Oft wird der Informationsbedarf zu einer Fragestellung schon durch ein einziges Buch erfüllt. Un­erlässlich für den Erfolg eines Verlags sei deshalb vor allem auch das Markenbewusstsein der Buchhändler, sagt Tors­ten Hilt, Marketing- und Vertriebsleiter des Humboldt Verlags. Neben der zentralen Einkaufsfunktion erfüllten diese auch eine Opinion-Leader-Funktion: "Ohne Markenstrategie, mindestens im Hinblick auf die Zielgruppe der Buchhändler, muss ein Ratgeberverlag gar nicht erst anfangen."

Starke Marken 
Branchenriese Gräfe und Unzer, Marktführer im Bereich Ratgeber, richtet sich mit seiner Kernmarke GU konsequent am Kunden aus. Die Orientierung an den Bedürfnissen und Wünschen der Zielgruppen sei "Maßstab aller Aktivitäten", betont Programmgeschäftsführer Frank-H. Häger. GU habe im Ratgebermarkt den Status eines Markenartiklers und diene dem Leser als Wegweiser.
Qualitätsinhalte und Zielgruppenkenntnis bilden auch den Markenkern des Kosmos-Ratgeberprogramms. "Bei uns werden die Produkte aus der Zielgruppe für die Zielgruppe entwickelt", sagt Birgitta Barlet. "Das schafft Vertrauen, das direkt in die Marke einfließt."
Kleinere Verlage leben von der Abgrenzung gegen Mitbewerber. "Wir sind klein, wir müssen innovativ sein", meint beispielsweise Antje Wolf, Geschäftsführerin des BLV Buchverlags. Der habe sich von Anfang an auf die Fahne geschrieben, Innovationen zu platzieren. "Uns ist wichtig, dass wir mit unseren Themen die Ersten sind", so Wolf. Die Strategie geht in vielen Fällen auf: Der Titel "Der Biogarten", 1981 veröffent­licht – "damals mutiger als mutig", sagt die Verlegerin –, ist im Februar in 27. Neuauflage erschienen und zumindest für Wolf bis heute "das einzig relevante Buch zum Thema".
Eine Sonderstellung auf dem Markt nimmt die Stiftung Warentest ein. Deren größtes Pfund ist ihre Unabhängigkeit: "Bei uns spielt nicht Geld die erste Rolle, sondern verlässliche Information. Damit sind wir einzigartig auf dem Markt", hebt Programmleiter Niclas ­Dewitz hervor. Aus dem vergleichenden Warentest, seinerzeit Gründungsziel der Stiftung, ergibt sich gleichsam der Kern der Marke: "Wir wissen, was gut ist und was besser sein sollte", so Dewitz.

Regelmäßige Relaunches 
Zu einer starken Marke gehört Offenheit für Variation und Anpassung. Dabei sei wichtig, "mit Augenmaß vorzugehen und nicht mit dem Holzhammer", merkt Antje Wolf an. "Manch einer nimmt massive Veränderungen vor und wird nicht mehr erkannt." Dinge, die der Verlag Eugen Ulmer beherzigt: Tatsächlich seien die Grundideen und Prinzipien des Verlags seit fast 150 Jahren unverändert, so Geschäftsführer Matthias ­Ulmer. "Unser Gründer Eugen Ulmer würde über viele der heutigen Themen staunen, die Art des Verlegens und die Haltung dahinter kämen ihm ausgesprochen familiär vor." Nach einem Redesign im Jahr 2004 steht 2017 / 18 das nächste ins Haus.
BLV, Marktführer im Bereich Garten, setzte in seinen letzten beiden Relaunches neben der Neudefinierung der Zielgruppe – immerhin hat diese sich durch Phänomene wie Urban Gardening enorm verjüngt – auch auf eine Lockerung des Layouts: Es sei erwiesen, so Wolf, dass Ratgeberleser zunehmend Probleme mit großen Textblöcken hätten. Zu seinem 70. Geburtstag in diesem Jahr hat der Verlag ein spezielles Logo entwickelt – "Love BLV" steht da vor einem roten Herz. Auf allen Medien taucht die Kennung im Jubiläumsjahr auf und zeigt, zu welch "emotionalem Vergnügen" sich Ratgeber in den letzten Jahren entwickelt haben: "Das wäre früher undenkbar gewesen", ist sich Wolf ­sicher.
Die Stiftung Warentest beschreitet seit ihrem letzten Relaunch vor etwa einem Jahr den entgegengesetzten Weg und setzt wieder auf längere Lesestücke. "Kleine Häppchen gibt es woanders", sagt Niclas Dewitz. Auch Bilder gebe es im Überfluss. Deshalb arbeite man bevorzugt mit exklusiven Infografiken. Der mittlerweile fast 200-jährige Kosmos Verlag hat mit seinem jüngsten Redesign im Herbst 2015 die zuvor umgesetzte optische Trennung zwischen Büchern für Einsteiger und Fortgeschrittene wieder subtiler gestaltet. Zugleich wurde ein ­Gesamtmarkenkonzept präsentiert, das Altbekanntes wie die Farbcodes beibehalten und Neues hinzugefügt hat: Ein Qualitätssiegel soll auf Tradition und Kompetenz des Hauses hinweisen, eine angedeutete Bauchbinde auf die entsprechende Erfindung der Franckhschen Verlagsbuchhandlung, aus der der Verlag hervorgegangen ist. Erster Ratgebertitel im neuen Kleid: der Naturführer-Klassiker "Was blüht denn da?", der 2015 seinen 80. Geburtstag feierte.

Zweiter Frühling 
Zwei Traditionsverlage warten derweil mit einem kompletten Neustart auf. So bringt Urania nach Jahren als Herder-Imprint im Frühjahr 2016 ein eigenes Programm auf den Markt. Zentraler Gedanke der Neukonzeption: "klassische Grundwerte wie das gute Familienleben", sagt Claudia Oelkuch. Das Urania-Logo mit Stern wird beibehalten, das Layout präsentiert sich komplett überarbeitet. Verbindendes Element ist ein farbiger Rand auf dem Cover. Besonderes Augenmerk liege auf der gestalterischen Komposition von ­Cover und Innenteil, so Oelkuch: "Wir zielen auf das Premiumsegment im Ratgeberbereich."
Nach einer vorläufigen Verjüngungskur 2013 / 14 hat sich im vergangenen Jahr auch die Ratgebermarke der Schlüterschen Verlagsgesellschaft neu erfunden. Mit dem Frühjahrsprogramm 2015 wurden die Gesundheitsratgeber der Schlüterschen in die Marke Humboldt integriert. Der Claim "Humboldt … bringt es auf den Punkt" manifestiere den Markenkern, so Programmleiter Mark Wachsmann. Bei der Neuausrichtung verfolgt das Haus mit Corporate Communications und Corporate Beha­viour einen ganzheitlichen Ansatz. Das Unterfangen lässt sich gut an: "Wir sind auf vieles stolz, das die Marke Humboldt wieder mit Leben gefüllt hat", freut sich Marketing- und Vertriebsleiter Torsten Hilt. Jüngster Bucherfolg: Mit dem Titel "Hochsensibel durch den Tag" hat der Verlag Lebensgefühl und Probleme von Hochsensiblen offenbar so genau getroffen, dass er "in deren sozialen Netzwerken bejubelt" werde.

Autor als Marke 
Gute Autoren sind für die Markenstrategie von Verlagen grundlegend. Große Namen lieferten ­jedoch nicht automatisch die besten Inhalte, gibt Wachsmann zu bedenken. Wichtig sei vielmehr, dass die Autoren bei den Zielgruppen bekannt seien. Humboldt konzentrierte sich deshalb auf junge, frische Stimmen: "Nina Deißler als populärster deutscher Flirtcoach, Benjamin Jaworskyj als YouTube-Star zum Thema Fotografie, Sven Bach als TV-Ernährungsexperte – die Liste unserer Zielgruppenstars ist lang", so Wachsmann. Andere Verlage setzen auf die Klassiker – BLV unter anderem auf den "Biogarten" von Marie-Luise Kreuter, Urania auf John Seymours "Gartenbuch für die Familie".

Digitales Zeitalter 
Mit dem Internet ist die Präsentation von Marken vielschichtiger, die Kommunikations­arbeit komplexer geworden. Um möglichst nah an den Bedürfnissen der Leser zu sein, gehören Auftritte auf Social-Media-Portalen wie Facebook, Twitter und Instagram deshalb in allen Verlagen zum Pflichtprogramm. Auch zielgruppenorientierte Newsletter seien Standard, sagt Torsten Hilt. Humboldt be­ziehe zudem thematisch passende Onlineportale ein. Aktuell arbeitet der Verlag am Relaunch seiner Webseite.
Kosmos bietet zu ausgewählten Titeln Apps zum Kauf an. Über die kostenlose Kosmos Plus App sind weitere Zusatz­inhalte verfügbar. Darüber hinaus ist die Einführung eines Kundenmagazins geplant. Auch BLV geht mit der Zeit: Der Verlag arbeitet eng mit Bloggern zusammen, QR-Codes zum Scannen führen zu Praxis-Videos im Netz. Demnächst will Antje Wolf einen eigenen Buchhändlerblog aufbauen. Ulmer bietet Apps sowie zahlreiche themenspezifische Newsletter und Fachwebseiten und wird seinem Claim "Ganz nah dran" unter anderem mit einem Gartenforum für die Community gerecht.

Visibility 
Für seine erst kürzlich eingeführten Bastelratgeber kooperiert GU mit der Do-it-yourself-Plattform Dawanda (aktuell 3,8 Millionen Nutzer), auf der die Marke ihren eigenen Auftritt hat. Auch Humboldt setzt auf Allianzen, arbeitet unter anderem mit dem Partnerschaftsportal Elitepartner und mit fotocommunity.de zusammen, während Ulmer sich als Medienpartner diverser landwirtschaftlicher Verbände präsentiert. BLV hat sich mit der preisgekrönten Initiative "Meine Ernte" zusammengetan. Zudem sorgte der Verlag im letzten Jahr mit einer erfrischend unvorhersehbaren Aktion für Aufmerksamkeit: Mit dem "Radieschenmörder" erschien ein Kriminalroman, der in einer Schrebergartenkolonie spielt. Zumindest so viel sei verraten: Der Mörder war nicht der Gärtner.

Buchhändlerumfrage

Welche Rolle spielt der Verlag für die Kaufentscheidung bei Ratgebern? Ist die Verlagsmarke bei Ratgebern generell wichtiger als bei anderen Büchern? Die Meinungen im Sortiment gehen bei diesen Fragen auseinander.

Alice Eckermann, Buchhandlung Eckermann, Jever: 
"Bei GU sind die Kunden wirklich auf den Verlag fixiert. Die Marke steht für gut verständliche und qualitativ hochwertige Ratgeber. Bei anderen Verlagen, aber auch in anderen Bereichen, ist das bei uns weniger der Fall."

Jörg Stübing, Büchers Best, Dresden:
"Gerade die Binnenreihen der Verlage spielen eine wichtige Rolle bei den Ratgebern. Aber in der Regel ist die konkrete Gestaltung wichtiger als der Verlag als Marke. In anderen Bereichen des Sortiments sind die Leute mehr auf Marken fixiert."

Paul Philippi, Der Buchladen, Saarbrücken:
"Wenn man mit einem Titel eines Verlags gute Erfahrungen gemacht und einem die Aufmachung gefallen hat, nimmt man beim gleichen Verlag auch Titel zu anderen Themen – weil man weiß, was einen erwartet."

Thomas Mäurer, Buchhandlung Backhaus, Aachen:
"Der Verlag spielt bei uns vor allem ein Rolle, wenn wir Empfehlungen aussprechen. Da gibt einem der Verlag bei bestimmten Themen gute Anhaltspunkte für die Qualität des Titels. Bei den Kunden sind die Autoren wichtiger als die Verlagsnamen."

Ulrike Schmidt-Huber, Buchhandlung Schmidt, Schwäbisch Gmünd:
"Bei Kinderbüchern und literarischen Titeln spielen Verlage bei uns eine größere Rolle als bei den Ratgebern. Dort geht es vor allem um das Thema, das der Autor behandelt, und weniger um die Marke Verlag."

Martina Lange-Heidenreich, Buchhandlung Blume, Oerlinghausen:
"Bei Ratgebern wird mehr auf den Verlag geachtet. Das gilt zum Beispiel für Kosmos (Natur) und Delius Klasing (Wassersport). Es gibt aber auch Verlage, wie Trias, die uns als Qualitätsmerkmal wichtig sind bei der Beratung."

Interview mit Sabine Melchert, Programmleiterin beim Buchverlag für die Frau, der in diesem Jahr 70. Geburtstag feiert

Welche Rolle spielt die Marke für Ihren Verlag?
Eine große Rolle. Erster glücklicher Umstand für uns: Unser Verlagsname ist selbst die Marke, zumindest im ostdeutschen Buchhandel und bei unseren Lesern, die uns mit Attributen wie "zuverlässig", "praktikabel", "erprobt" oder "schön" versehen. Da gibt es eine unglaublich starke, fast liebevolle Anbindung. Zweiter glücklicher Umstand: In den letzten Jahrzehnten ist es uns gelungen, auch Autoren und Bücher zu Marken aufzubauen. Ein Beispiel ist der Titel "Wir kochen gut", der 1962 zum ersten Mal erschienen ist und den wir seitdem mehr als fünf Millionen Mal verkauft haben. Oder unsere Autorin Gudrun Dietze, deren Name mittlerweile selbst zur Marke geworden ist.

Wie hält man eine Marke lebendig? 
Indem man seine Autoren pflegt, ihnen zuhört. Ein Auge für die Details hat. Und, fast noch wichtiger: Indem man den Kontakt zu den Lesern nicht verliert, viele Veranstaltungen im Buchhandel anbietet. Es ist existenziell, dass man nicht nur vom Vergangenen zehrt, sondern immer wieder stark auftritt, um zu zeigen: Wir sind hier, wir machen immer noch gute Bücher, die zu Recht in eurem Bücherschrank stehen.

Worauf muss man bei der Weiterentwicklung einer Marke achten?
Die größte Herausforderung ist sicherlich, die positiven Dinge, die der Verlag aus seiner Vergangenheit mitbringt, zu bewahren – ohne dabei altbacken zu wirken. Und gleichzeitig neue Leser zu gewinnen, indem man Programmsegmente vorsichtig erweitert, neue Titel zulässt, neue Themen, eine neue Gestaltung – ohne sich selbst untreu zu werden. Das ist ein Balanceakt, der uns immer wieder beschäftigt.

Muss man investieren, um interessant zu bleiben?
Investieren muss man vor allem Liebe, Zeit und Energie: In Ideen und Autoren, in Herstellungsprozesse, ins Lektorat. Nur so gelingt es auf Dauer, gute Bücher zu machen und damit auch die Marke Buchverlag für die Frau in die Zukunft zu tragen. Wichtig: Man muss nicht nur interessant bleiben, man muss auch gut bleiben. Die interessantesten und schicksten Bücher taugen nichts, wenn ihr Inhalt nichts taugt.