Martina Bergmann über ihr Marketing-Konzept

Wie man sich ins Gespräch bringt

11. November 2016
von Börsenblatt
"Sie steht schon wieder in der Zeitung" - Martina Bergmann hat für boersenblatt.net ihr Marketing-Konzept aufgeschrieben, fünf Tipps zum Nachmachen inklusive. Wie sie mit ihrer Buchhandlung im Gespräch bleibt, ist Teil zwei einer zehnteiligen Serie der Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzhausen.

Mein wichtigstes Medium ist das "Haller Kreisblatt". Das ganze Internet ersetzt nicht die Tageszeitung, und darin steht auch noch die Wahrheit. Wenn die Lokalseite für Borgholzhausen meldet, es gibt da jetzt eine Buchhandlung, dann ist das so. Ich kann mich gut erinnern, dass im Eröffnungs-Artikel vermerkt war: Man kann dort im Fenster sitzen, weil Frau Bergmann das aus Berlin so kennt, wo sie nämlich mal studiert hat. Ich weiß nicht mehr, was ich in dem Interview tatsächlich gesagt habe, aber die Botschaft war klar. Interessante Fensterbänke. Fakten-Check: So, Frau Bergmann. Wir wollten mal ausprobieren, wie man in so einem Fenster rumsitzt. Und wo sind die Polster? Holzklasse oder was? Hahaha. Lektion gelernt. Fakten laut "Haller Kreisblatt" sind Fakten, und lustig ist, was Kunden Freude macht. Man kann diese Provinzialität belächeln, gerade als Buchhändler. Aber das wäre nicht nur unhöflich, das wäre auch wirtschaftlich höchst ungeschickt.

Büchermädchen in dem Bücherlädchen

Natürlich hat man sich seine Gedanken zum Sortiment gemacht, hat literarische und ästhetische Vorlieben – allein, es fehlt meistens das Publikum. Ich würde verhungern, folgte ich nur meiner eigenen Agenda. Aber ich wollte andererseits auch nicht das Büchermädchen in dem Bücherlädchen sein, zu dem sie mich hier schnell zu machen drohten. Schublade auf, Büchermädchen rein. Und immer schön nachfragen – Spende für den Laternenumzug, Vorlesen im Kindergarten, im Altenheim, bei den Heimatvertriebenen und Rotariern. Spätestens da war klar: Ich brauche eine Strategie. Ich brauche ein Konzept nicht nur für Wareneinkauf und Dekoration, ich muss auch mich selbst vermarkten. Ich muss ein Image herstellen, das zwischen Selbst- und Fremdsicht vermittelt, das ein Profil insofern pflegt, als dass ich unverwechselbar werde. Noch ein Beispiel:


Buchhändler haben immer Presse

Das "Haller Kreisblatt" berichtet über eine Stadtratssitzung, in der ein Herr vom Kreisarchiv anmerkt, die agile junge Buchhändlerin müsse unterstützt werden. Kunden verstehen: Frau Bergmann kooperiert für uns mit dem Kreisarchiv. Hilfe! Wer ist der Typ, wo ist das Archiv, und überhaupt: Was hab ich damit zu tun? Sprechen die von mir oder von einer Vorstellung des Buchhandels, die sie dem größeren Rauschen im überregionalen Blätterwald entnommen haben? Denn es ist ja so: Buchhändler haben immer Presse, und leider meistens keine gute. In die Jahre meiner Existenzgründung fallen der gar nicht mehr aufzuhaltende Aufstieg von Amazon, diverse Krisen verschiedener Filialisten, etliche Schließungen auch renommierter Buchhandlungen, es gehören Phänomene wie Buy Local und Vorsicht Buch dazu. Diese Themen betreffen mich nicht, aber zu jedem muss ich eine Meinung haben. Die Leute fragen ja. Boah, Frau Bergmann. Thalia schließt in Bielefeld. Und wenn das denen schon so geht, da mag ich an Sie ja gar nicht denken. Ich konnte x-mal sagen, Thalia hatte zwei Häuser, und eins wurde geschlossen. Sinnvolle Entscheidung. Bei Kunden kam an: Oweia. Dem Buchhandel geht's schlecht. Besser zu Weihnachten Douglas-Gutscheine verschenken, besser keine Bücherschecks.


Innovation führt zu Widerspruch

Ein medialer Dauerbrenner ist die Dorfkultur. Ich meine, hier ist ein Einzelhandelsunternehmen, das Bücher anbietet. Wir sind als Verlagsbuchhandlung sogar Monopolist. Gerade deswegen ist hier nicht auch noch der Ersatz für kommunales Kino, die Bühne für Laienspielgruppen, der Ort, wo wöchentlich Dichter Verse lesen. Unsere Kunden sind in der vorteilhaften Situation, dass eine Mitbewerberin sich im Veranstalten profiliert hat. Sie macht das gut. Unsere Kunden sollen da ruhig zwölf oder fünfzehn Euro Eintritt für Entertainment bezahlen. Aber hier gibt's das nicht. Hier ist nicht Platz für hundert Leute, und ich habe keine Lust, meine Ordnungsgewohnheiten dem Standard anzupassen.

Ich meine eher, Vielfalt entsteht durch Verschiedenheit. So ein Kulturverständnis ist ein Bruch mit Normen und der Tradition; klar. Und Innovation führt, gerade in dem hochemotionalen Bereich von Literatur und Kunst, zu Widerspruch. Muss das sein? Können Sie nicht einmal sein wie Herr X und Frau Y? Das läuft da doch, bei denen. Und warum müssen Sie schon wieder aus der Reihe tanzen? Der Kulturverein ist nicht mit Ihnen einverstanden, aber wirklich nicht. Sei's drum. Der Ertrag all dieser kleinen Schlachten, die Beute jedes einzelnen Bildersturms: Der Lohn ist ein Bekanntheitsgrad weit über den Ort hinaus. Ich kann auch in Bielefeld nicht mehr unerkannt einkaufen gehen. Die Leute wissen – das ist die mit den Büchern. Also nicht die mit den Veranstaltungen, die andere. Die auch Bücher macht.

Und so soll es ja sein. Es soll sich in den Köpfen festsetzen, dass es funktionierende Buchhandlungen gibt. Es ist egal, ob sie ihre PR als Veranstalter, als lokaler Kulturfunktionär, als Stadtrat oder was auch immer inszenieren. Es ist nur wichtig, der Öffentlichkeit zu sagen – hier ist Leben, hier ist kein Einzelhandelselend, kein Verzagen. Sortimentsbuchhandel insgesamt hat sehr viel mehr zu bieten als die Leute glauben. Und meiner allzumal.

 

Fünf Überlegungen will ich gerne weitergeben. Alles einfach umzusetzen, das meiste kostenlos. Probieren Sie es aus: 

1. Welches Thema hat Ihre Buchhandlung? Kein Laden ist nur allgemein, wenigstens kein guter. Ist das Thema Kultur oder Heimat oder Kulinarik oder Kinderbuch oder, oder? Dieses Thema würde ich mindestens einmal im Quartal öffentlich machen. Pressegespräch, Event, Streuartikel – egal. Aber die Leute sollen wissen, darum geht es hier.

2. Wer steht für das Thema? Wie wollen Sie wiedererkannt werden? Meine Lieblingsfarbe ist rot. Also habe ich bei allen wichtigen Terminen eine rote Jacke an. Das prägt sich ein. Die mit den roten Sachen mit den Büchern, die aus Borgholzhausen mit den roten Büchern, die jedenfalls mit den Büchern, die da.

3. Professionalität! Nicht jeder Dorfschreiber macht gute Fotos. Ich rate sehr zu Pressefotos. Das ist alle drei oder vier Jahre eine Investition von etwa 200 Euro, die sich wirklich rechnet. Man möchte nicht mit Triefaugen bei den Leuten abgespeichert sein. Die mit den Triefaugen auf dem Gruppenfoto beim Heimatverein, wo sowieso alle aussehen, als müssten sie gleich zum Spucken nach draußen rennen.

4. Noch mehr Professionalität! Nicht alle Schreiber hören aufmerksam zu, und manchmal redet man auch selber unsortiert. Es bietet sich an, die wichtigen Daten zu einem Pressegespräch vorab per Mail zu schicken. Ich war mal angekündigt mit der Freitagabendveranstaltung – Liebesbriefe von Frau Bergmann. Es war schön voll, aber es ging dann (leider doch) um die Liebesbriefe von Brigitte Reimann. Brigitte Reimann hatte sicher nie in Ostwestfalen so viel Zulauf wie an diesem Abend.

5. Steter Tropfen höhlt den Stein. Ich kann mich manchmal selber nicht mehr reden hören. Ja, tatsächlich fast alles über Nacht. Portofrei. 450 000 Artikel beim Großhändler. Ja, das ist wirklich fast so gut wie in der Apotheke, das ist auch schneller als bei Amazon. Sie können ja morgens um sieben mal zuschauen, wenn der Fahrer von KV hier anliefert. Nein, ich bin dann noch nicht da, der hat einen Schlüssel. Ich koch dem keinen Kaffee, und Ihnen auch nicht. Nicht morgens um sieben. Aber ich finde es total gut, dass Sie da mal für mich aufgepasst haben. Und wenn es viertel nach sieben war, dann ist es auch nicht so schlimm. Sie müssen sich nicht in meinem Namen bei KV beschweren. Man kann Kunden ziemlich lange damit beschäftigen, die Standards unserer Branche zu beschreiben. Sie sind meistens beeindruckt, denn dass so viel Service Standard ist – undsoweiter, undsofort. Bleiben Sie dran. Bleiben Sie im Gespräch.

Bereits erschienen:
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