Martina Bergmanns Kommentar zum Buchhandel in Mössingen

"Und die Kerle weinen"

19. April 2018
von Börsenblatt
Die Geschichte von Pia Ziefles Buchhandlung in Mössingen könne man verschieden erzählen, meint Martina Bergmann, Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzhausen. Hier kommt ihre Fassung.

Die Autorin eines von mir sehr geliebten Buches, von "Suna", eröffnet eine Buchhandlung. Die Mitarbeiterinnen des angestammten Sortimenters wechseln geschlossen zu ihr. Ich muss keine Hintergründe kennen, um zu verstehen, dass sie ein attraktives Angebot macht. Dann werden mir Hintergründe zugestellt, auf Facebook.

Ein Filialist teilt mit, der Standort sei selbst (sic!) für sein Unternehmen nicht attraktiv. Die Lokalzeitung zitiert den älteren Buchhändler, Frau Ziefle hätte sich bei ihm einkaufen mögen. Er müsse nun um seine Rente bangen. Ich lese das, viele hundert Kilometer weit entfernt, und denke: Genau wie hier. Der Plot ist: Frau versorgt drei Kinder und schafft Arbeitsplätze. Arbeitsplätze von Frauen wohlgemerkt, die aufgrund ihres Alters sonst schwer vermittelbar wären. In dem Plot ist von Männern keine Rede. Es geht um Frauen, die etwas wagen. Und die Kerle weinen.

Filialist versus Dorfladen

Es gibt zwei Dinge zu bemerken. Punkt 1, die Rentabilitätserfordernisse größerer Unternehmen sind andere als die des Dorfbuchladens. Damit meine ich nicht, dass der Dorfbuchladen rote Zahlen schreiben soll. Aber er erfüllt seinen Zweck an sich, er muss nicht auch noch Investoren zufriedenstellen. Die Zinsen sind historisch niedrig, und das seit langer Zeit. Sie werden steigen, zwangsläufig. Ich überlege manchmal, was wohl mit den schicken, smarten Mediendienstleistern geschieht, die die Dorfbuchläden ersetzt haben oder ersetzen sollen.

Eine Zinssteigerung um 2 Prozent verteuert die Liquidität eines kleinen Unternehmens. Aber sie stellt sein Geschäftskonzept nicht auf den Kopf. Es gibt meines Wissens kein Konzept für den Fall, dass eine Kette implodiert - man hat es bei Weltbild traurig besichtigen können.

Menschen mit eng gefassten Aufgabenkreisen, deren Handlungsspielraum sich von dem des klassischen Industriearbeiters wenig unterscheidet, sind extrem armutsgefährdet. Der Niedriglohnsektor im Einzelhandel ist in seinen sozialen Konsequenzen nicht besser als der Niedriglohnsektor im Zustellwesen. Er mag etwas schicker daherkommen, aber auch er hält Leute knapp mit Geld und setzt sie unter permanenten Stress. Das ist ungesund und unfair. Ich muss keine Linke sein, um hier Gefahren für die Gesellschaft insgesamt zu sehen.

Altersvorsorge im Buchhandel

Punkt 2, der ältere Kollege und seine Altersvorsorge. Es gab Zeiten, da wurden Buchhandlungen als eine Art Sitz vor Ort verkauft. Aktiva, Passiva, Kundendatei. Aber spätestens seit der Einführung der europaweiten Ausschreibung für Schulbücher und wohl auch infolge des Umsatzknicks durch Amazon ist dieses Modell schwierig zu verhandeln. Dass die Hoffnung einer generösen Ausbezahlung sich bis heute hält, liegt wohl auch am Umgang der Filialisten mit dem billigen Geld.

Ich gönne jedem Kollegen, der seine Buchhandlung geschickt veräußern konnte, diesen Ertrag. Nur: Das ist kein Selbstverständnis, welches man von jüngeren Kollegen einfordern kann. Wenn man aber seine Neigung zum Buch, die Freude an den Inhalten, von der ökonomischen Erwartung trennt, dann scheint mir eine Art emotionales Altenteil der schlüssige Weg. Die neuen Geschäftsmodelle im Sortimentsbuchhandel sind hybrid - ob sie nun als Kleinverlag, als Veranstaltungsbüro oder als Schriftstellerprojekt daherkommen. Und ich meine, sie sind anregend, denn bei uns (und nicht bei den Ketten) findet statt, worauf es gerade ankommt: Nicht weniger, als in einer Umbruchsituation den Berufsstand neu zu erfinden. Es wäre schön, man täte das gemeinsam. Ich könnte mir vorstellen, es macht auch Spaß.


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