Mehr Sichtbarkeit für Introvertierte

Stille Wasser sind tief

18. Februar 2016
von Sabine Schmidt
Man muss nicht unbedingt ins Rampenlicht drängen: Die Beraterin Sylvia Löhken gibt Tipps, wie Introvertierte auf ihre zurückhaltende Art Gehör finden.

Viele Trainer sind sich einig – man soll ordentlich trommeln, um sicht- und hörbar zu sein, für den Chef wie für den Kunden, nach dem Motto: Wer laut ist, hat Recht und bekommt mehr Gehalt und mehr Aufträge. Natürlich lässt sich das üben, aber niemand kann sich komplett umkrempeln, wie Sylvia Löhken aus eigener Erfahrung weiß. Sie ist nicht nur Coach, sondern auch bekennende Introvertierte, eine der ­vielen Stillen im Land, die sich anstrengen müssen, um sichtbar zu sein. Aber sie empfiehlt anderen nicht, auf den Putz zu hauen, sondern auf ihre Weise dafür zu sorgen, dass sie Gehör finden.
Was aber heißt das überhaupt: introvertiert? Längst nicht in jedem Fall schüchtern, sagt die Trainerin. Viele Introvertierte haben keine Angst vor Menschen und keine Probleme, auf andere zuzugehen. Sie meiden aber lieber große Gruppen und laute Partys, spielen sich bei Besprechungen nicht in den Vordergrund, denken nach, bevor sie reden und können gut zuhören. Mancher Trommler und Partylöwe findet sie eher langweilig. Die stillen Wasser sind aber tatsächlich tief und haben einiges zu bieten, meint Löhken – nur eben nicht auf den ersten Blick.
Vorschläge dafür, was sie tun können, damit Vorgesetzte und Kunden ein zweites Mal hinschauen, macht sie in "Leise Menschen – starke Wirkung" und erklärt hier auch, warum Extro- und Introvertierte unterschiedlich ticken (Piper, 288 S., 12,99 Euro; oder auch "Intros und Extros", Gabal, 360 Seiten, 24,90 Euro). Ein entscheidender Unterschied ist, dass die einen neue Energie bekommen, wenn sie unter Menschen sind, die anderen dagegen den Rückzug brauchen, um aufzutanken. "Hirnforscher können nachweisen, dass introvertierte Menschen mit ihrer Hirnaktivität mehr Energie als extrovertierte Personen aufwenden", sagt Löhken. "Bei ihnen lässt sich eine höhere Dosis elektrische Energie messen – und zwar ständig, nicht nur bei besonderen mentalen Herausforderungen."
Deshalb empfiehlt sie "Intros", ökonomisch mit ihrer inneren Kraft umzugehen. Auf Konferenzen sollten sie sich die Ruhephasen gönnen, die sie brauchen, morgens allein joggen oder sich für eine Stunde ins Hotelzimmer zurückziehen, um dann mit neuer Kraft an ihren Netzwerken zu weben. Aber auf ihre Art: Statt zu versuchen, in einer großen Gruppe die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, entspricht es ihnen mehr, einzelne Teilnehmer anzusprechen.
Auch für den Berufsalltag sollten sie sich Strategien überlegen, damit sie ausreichend und angemessen sichtbar sind. "Intros werden unterschätzt, obwohl sie mit ihren Stärken oft Leistungen erbringen, die die Teamleistung erheblich steigern", sagt die Autorin. Sie rät zum Beispiel, regelmäßig einen kurzen Sachstand über laufende Projekte an den Vorgesetzten zu schicken. So weiß er, dass die Arbeit läuft, und nimmt zudem den stillen Mitarbeiter wahr.
Wer nach Tipps dieser Art sucht, nach Unterstützung dafür, Gehör zu finden, ohne sich verbiegen zu müssen, findet in Löhken eine gute Begleiterin. Sie empfiehlt auch, beide Persönlichkeitstypen in Teams zusammenzubringen, weil sie sich gut ergänzen: "Extros bieten energische Impulse, spontanes Handeln, Motivation; Intros bieten kluges Innehalten, tiefe Beziehungen, Reflexion und ein offenes Ohr."

Den größten Stellenmarkt der Branche finden Sie auf boersenblatt.net!