Meinung

Das Leben geht weiter

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Honorarstreit schwelt zwar weiter. Trotzdem ist das Verhältnis zwischen Verlagen und Übersetzern deshalb keineswegs zerrüttet. Von Nikolaus Hansen.
Wie mag es ihnen in diesen Tagen gehen, den Übersetzern? Das neue Jahr ist noch jung, ich mache einen Deichspaziergang, versenke die Turbulenzen der vergangenen Monate im Meer und orakele mit verhaltenem Optimismus darüber, ob die Finanzkrise und ihre Folgen nicht eigentlich eine fabelhafte Chance für das Buch sein könnten, denn wer ob der allgemeinen Lage auf den Kauf eines neuen SUV verzichtet, müsste doch jede Menge Geld für das eine oder andere gute Druckwerk übrighaben. Und ein gewisser Nachholbedarf an beschaulicher Lektüre oder gar moralischer Erbauung dürfte nach den Jahren der sozialen Herzlosigkeiten zweifellos bestehen. Natürlich kenne ich auch die Hiobsnachrichten aus den USA, doch seien wir ehrlich: Was bei Harcourt oder bei Doubleday im Schutz der Krise vonstatten geht, ist doch vermutlich gar nicht durch die Krise verursacht … Wir kennen sie ja, unsere amerikanischen Pappenheimer – siehe GM, Chrysler und Konsorten. Es ist etwas anderes, was sich immer wieder unschön ins Bild schiebt: In unserer zauberhaften Branche, in der die Konzentration im Handel unvermindert fortschreitet, in der die Titelflut mitnichten eingedämmt werden konnte während der vergangenen Jahre, in der der Tanz auf dem Vulkan ungeachtet aller Erdstöße eher einem rasenden Beat folgt als den verhaltenen Klängen des Wiener Walzers – in dieser unserer zauberhaften Branche macht nur ein ungelöster Konflikt mir wirklich Sorgen: der Übersetzerstreit. Tja, wie mag es ihnen gehen eingedenk des oben skizzierten Szenarios, den Übersetzern? Zugegeben, legt man ihre durchschnittlichen Bezüge zugrunde, wird sich der Verlust ihrer Aktienwerte in Grenzen gehalten haben. Aber man stelle sich das vor, die schlaflosen Nächte angesichts der Auftragslage, angesichts der vertrauten existenziellen Klagelieder der Verleger, angesichts des vielleicht nicht gänzlich gerechtfertigten Selbstbewusstseins jener Kollegen, die einen von ihren Vertretern ausgehandelten Kompromiss auf der Mitgliederversammlung zurückweisen – es ist zum Haareraufen. Ist es? Vielleicht geht hier die Empathie mit mir durch, denn wenn ich es mir recht überlege, hat sich die Lage in den vergangenen Monaten so dargestellt: Gute Übersetzer, die wir für die Mitarbeit an unseren neuen Verlagsprogrammen gewinnen wollten, waren meist auf Monate ausgebucht; die Seitenhonorare sind weiter auf einem moderaten Weg nach oben; und Varianten des Münchner Modells oder andere Beteiligungsmodelle werden allenthalben von Verlagen und Übersetzern in erstaunlicher Eintracht praktiziert. Das Leben geht also weiter – ganz konkret. Dass dem so ist, hängt eng zusammen mit dem traditionell guten Verhältnis zwischen Übersetzern auf der einen Seite und den Verlagen (und hier namentlich den Lektoren) auf der anderen – das ist hinlänglich bekannt. Aber etwas anderes wird in diesem Zusammenhang häufig übersehen: Es gibt eine Reihe von Stipendien und Preisen, die von Verlagen finanziert und an Übersetzer vergeben werden; und es gibt die Übersetzer-Barke, mit der die Übersetzer unter anderem, man glaubt es kaum, Verleger auszeichnen – beides handfeste Zeichen für gegenseitige Wertschätzung und auch dafür, dass der Dialog zwischen den offiziell Verzankten nicht abbrechen wird. Mein harmonischer Jahresausblick scheint also gerettet, wenn … ja, wenn da nicht die Konzentration im Handel wäre, die Titelflut, die Papierpreise, das E-Book – zum Haareraufen … Das gute Miteinander im Alltag oder der Honorarstreit: Was gibt den Ton an?