Meinung: BGH-Urteil zur Übersetzervergütung

In Gottes Hand

27. Januar 2011
von Börsenblatt
Die Richter in Karlsruhe haben schlecht gearbeitet, meint Dirk Stempel. Der Leiter für Rechte und Lizenzen bei Hanser kommentiert das aktuelle Urteil des Bundesgerichtshofs zum Honorar von Übersetzern.

Vor Gericht und auf hoher See sind wir allein in Gottes Hand, wussten schon die alten Römer
zu sagen, die Urväter unserer heutigen Rechtsordnung. Was wir von der Willkür auf See zu halten haben, lesen wir zurzeit täglich in den Berichten über seemännische Rituale auf der Gorch Fock, die jetzt ohne ihren Kapitän in der Karibik dümpelt.

Viel näher ist uns da Karlsruhe, ehemals Haupt- und Residenzstadt des Landes Baden, seit 1950/51 Sitz des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts, die Stadt mit der Versprechung "Fidelitas" im Stadtwappen und dem Kosenamen "Residenz des Rechts".

Wer sich einmal so richtig in Gottes Hand fühlen will, dem sei der Weg nach Karlsruhe empfohlen, denn vor allem die Kantine des Bundesgerichtshofes ist eine Reise wert. Wahrhaft göttliche Speisen und Getränke werden dort aufgetischt, Punkt 15 Uhr.

Wer noch nie dort war, hat jetzt vielleicht Schwierigkeiten, den Sinn dieser Mitteilung zu verstehen; darum für die Nichteingeweihten: Nicht der Ruf des Muezzin, nicht die große Glocke von Sankt Anna, nicht das Stundenglas des Sensenmannes teilt die Zeit am Hof des Höchsten Gerichts – es ist die Kantine, die ultimo bis 15 Uhr zu betreten hat, wer der Speisung bedarf, und wer bitte bedarf dieser nicht. Das bedeutet im Klartext: Was bis 15 Uhr nicht verhandelt und vorgetragen wird, hat sich von selbst erledigt. Wie sympathisch!

So war es, als am 9. September des Jahres 2010 das Höchste Gericht mit eineinhalbstündiger Verspätung zusammenfand, um über sechs weitere Übersetzerklagen zu befinden. Um 13 Uhr 30 betrat der in Violett gewandete Hohe Senat den Saal, um 14 Uhr 59 verließ er ihn. Dazwischen fanden die Plädoyers der Bundesanwälte statt. Bedauerlicherweise war dann keine Zeit mehr vorhanden für eingehendere Erörterungen oder Verhandlungen. Die Zeit war um.

Macht ja nichts, sagte unsereiner. Schließlich hatten die streitenden Parteien bis dahin Hunderte von Seiten mit Argumenten gefüllt, hatten Gutachten und Statistiken zitiert, hatten zuvor Landgerichte und Oberlandesgerichte in jahrelangen Prozessen bemüht. Es war im Grunde längst alles gesagt und mehrfach vorgetragen worden.

Zurück in Gottes Hand. Bis zum 20. Januar dieses Jahres kreißte der Berg. Die Urteilsverkündung beschränkte sich auf die Bestätigung des eigenen BGH-Urteils, das ein Jahr zuvor gesprochen worden war, und auf die Korrektur eines wesentlichen Details: Lizenzerlöse sind nicht mehr mit dem Übersetzer hälftig zu teilen, sondern er erhält 20 Prozent von dem, was der Autor bekommt, aber nicht mehr als der Verlag.
Diese in allen sechs Fällen gleichen Urteile ignorieren die Ungleichheit der Fälle: Es werden diese, in denen die Verlage eine eigene Taschenbuchauswertung vorgenommen haben, mit jenen, die das Taschenbuch lizenziert haben, gleichgesetzt.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass die lizenzgebenden Verlage den Übersetzern dreimal mehr zahlen müssen als die Verlage mit eigenem Taschenbuch. Ist das gerecht? Im Ergebnis bedeutet das Urteil für die Verlage, dass sie Nachforderungen befürchten müssen, die bis ins Jahr 2002 zurückreichen und sie wirtschaftlich oftmals überfordern werden. Kollateralschäden. Ist das angemessen?

Es kommt hinzu, dass der BGH mit diesem normierenden Urteil seine Kompetenz überschritten hat. Er hat ausschließlich individuelle Fälle zu beurteilen und individuell zu entscheiden. Dieses Urteil ignoriert alle gravierenden Ungleichheiten der vorliegenden Fälle und versucht, eine Norm zu schaffen, was nur dem Gesetzgeber oder den Tarifpartnern zusteht, nicht aber dem Bundesgerichtshof.
Schlecht gearbeitet haben die Hohen Herren in Karlsruhe! Hätte ich einen Wunsch frei, würde ich den Kantinenpächter bitten, eine mobile Speisung einzuführen. Das würde Gott gefallen und uns nicht schaden.