Meinung: Digitalisierung III

Wahre Freunde sollt ihr sein!

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Warum Urheber und Verwerter keine Konkurrenten, sondern Verbündete sind. Von Hinrich Schmidt-Henkel, Vorsitzender des Übersetzerverbands (VdÜ).
Aus Sicht der Literaturübersetzer dient das Urheberrecht dazu, die Rechte derer zu schützen, die ihre kreativen Leistungen nicht selbst verwerten und verbreiten können und ihr geistiges Eigentum daher weitergeben: Verlage und andere Verwerter sollen unsere Rechte als Treuhänder nutzen.
Es ist bemerkenswert und nicht wenig befremdlich, wenn dieser Urgrund des Urheberrechts von Fachleuten – Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlern – mittlerweile als "historischer Ballast" angesehen werden kann, wie kürzlich auf einer vom Bundesjustizministerium ausgerichteten internationalen Konferenz zum Urheberrecht zu hören war.
Dort wurde aus einer Haltung, die ganz und gar den selbstregulierenden Kräften des Marktes vertraut (und das heute!), das Urheberrecht nur noch als Verwertungshemmnis betrachtet. Kein Wunder, dass aus dieser Perspektive auch von einer Konkurrenz von Urhebern und Verwertern die Rede war.
Diesem Konkurrenzgedanken zu folgen, ist tatsächlich das Dümmste, was man tun kann. Gerade angesichts der Unsicherheiten, aber auch Möglichkeiten, die durch neue digitale Verwertungsformen aufkommen, ist es wesentlich, das gemeinsame Interesse von Verwertern und Urhebern im Blick zu behalten. Dafür, wie wichtig das ist, ist das sogenannte Google-Settlement ein hübsches Lehrstück.
Übrigens führe man sich einmal vor Augen, was der Casus Google im Kern bedeutet: Ein Konzern begeht einen Rechtsbruch und will ihn im Nachwege gerichtlich sanktionieren und weltweit verbindlich machen lassen. Nationales und internationales Recht sollen ausgehebelt und durch ein »Eigenrecht« ersetzt werden, das für die speziellen Unternehmenszwecke maßgeschneidert ist, zum Nutzen und Frommen des Börsenwerts. Dafür investiert man schon mal ein paar Millionen unter anderem an Anwaltskosten. Wenn Google nicht doch noch von Gerichten oder der Politik gestoppt wird, liegt ein bemerkenswerter Fall von funktionierender Kleptokratie und der Übernahme der Legislative durch die Wirtschaft vor – etwas zivilisatorisch höchst Bedenkliches. Das kommt davon, wenn man das Urheberrecht als geradezu inexistent behandelt.
Dennoch wäre es eine fatale Folge, wenn das notwendige Misstrauen gegenüber »Verbreitern« wie Google generell zu Misstrauen zwischen Verwertern und Urhebern führen würde. Die sollten doch gemeinsam an allen Verwertungsmöglichkeiten interessiert sein.
Notabene: Diese Gemeinsamkeit kann natürlich nur dort gelten, wo der Verwerter erstens die ihm übertragenen Rechte tatsächlich nutzen kann und auch nutzt (andernfalls muss gelten: use it or lose it) und zweitens den Urheber am wirtschaftlichen Erfolg partizipieren lässt, und zwar nicht nur symbolisch. Das ist auch der größte Unterschied zwischen solchen Verwertern, wie die Verlage es für die Übersetzer sein soll(t)en, Treuhänder nämlich, die zum eigenen Nutzen und dem des Urhebers wirken, und wirtschaftsdarwinistischen Verbreitern wie Google, denen Rechte wie Rechte­inhaber schnuppe sind.
Freilich muss das Urheberrecht nicht nur so ausgestaltet sein, dass es den gemeinsamen Nutzungsinteressen von Verwertern und Urhebern entspricht, sondern das Binnenverhältnis zwischen beiden – hier: der Übersetzungsvertrag – muss die Urheber angemessen beteiligen. Bei den Literaturübersetzern ist das immer noch nicht der Fall.