Meinung: Digitalisierung IV

Ohne Kompromisse geht gar nichts

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Urheberrechtsdiskussion muss die wirtschaftliche und politische Realität im Blick behalten. Von Tilman Lüder, Leiter des Referats Urheberrecht bei der Europäischen Kommission.
Das ideale Urheberrecht gibt es nicht. Gesetzgebung auf diesem Gebiet beruht, wie in vielen Bereichen auch, auf Kompromissen. Wer keine Kompromisse eingehen kann wird nie erfolgreich ein Gesetz verabschieden.
Unsere Legislativarbeit wird in Deutschlands Hochschulen oft kritisiert. Vielfach wird uns vorgeworfen, wir regulierten zu sehr im Interesse der Industrien. Dabei käme der Urheber oder der Künstler zu kurz. Dieser Streit hat sich erneut am Projekt der Schutzdauer für Tonträger entzündet. Natürlich wäre es eine tolle Initiative aus Sicht der Künstler, deren Schutzrechte und Vergütungsansprüche von derzeit 50 Jahren auf Lebenszeit aufzustocken. Damit würden Musiker ein ganzes Leben lang Geld aus den gesetzlichen Vergütungsansprüchen erhalten. Die Plattenfirmen gingen leer aus.  
Aber wäre dieser Vorschlag konsensfähig? Glauben die Akademiker wirklich, dass eine reine Künstlerinitiative in der Praxis umsetzbar wäre?  
Nach sorgfältiger Folgenabschätzung war uns das Risiko zu groß. Ein Vorschlag, der die Schutzdauer für den Künstler anhebt, nicht aber jene für den Hersteller hätte zu einer Zersplitterung des bislang einheitlichen Leistungsschutzrechtes geführt. Bei der Wahrnehmung und der Durchsetzung der Rechte hätte eine Aufsplittung der Schutzrechte zu Komplikationen und zu Durchsetzungsdefiziten geführt.
Also eine pragmatische Entscheidung: die Schutzdauer wird einheitlich für Künstler und Produzenten angehoben. Dieses pragmatische Vorgehen sollte uns nicht den Vorwurf der Parteilichkeit oder Lobbyhörigkeit einbringen. Keiner der Beteiligten hat für seine Arbeit an diesem Projekt Geschenke oder andere Vergünstigungen erhalten. Unser Ziel ist es, mit einer Künstlerinitiative Erfolg zu haben. Deshalb müssen wir den Vorschlag in wirtschaftlicher und politischer Realität verankern.
Dies ist mein Kernpunkt: Es darf keinen Grundsatz geben, wonach die Politik von Vorschlägen absehen muss, sobald diese nicht einem akademischen Idealtypus entsprechen. Die große Gefahr für das Urheberrecht ist derzeit nicht legislative Überaktivität, sondern, im Gegenteil, der Stillstand der Rechtsentwicklung.
Sämtliche Themenbereiche im Urheberrecht sind so sensibel, dass es viel einfacher wäre, diese Interessengegensätze zu studieren, darüber zu konsultieren und die Situation dann auf sich beruhen zu lassen. Seit 2005 hat meine Abteilung Urheberrecht nicht weniger als fünf sogenannte Folgenabschätzungsstudien durchgeführt (Verwertungsgesellschaften, Privatkopie, Schutzdauer und Miturheberschaft). Dazu kommen zwei Evaluierungsberichte (Datenbanken und Urheberrecht in der Informationsgesellschaft) und unlängst ein Grünbuch zur Wissensgesellschaft. An der Legislativfront haben diese vielfältigen Studien gerade einmal zu einer »Soft-law«-Maßnahme und einem einzigen Gesetzesvorschlag geführt. Kein Wunder also, wenn das Europäische Parlament etwas mehr Aktivität und politischen Mut anmahnt.
In der nun anstehenden Legis­laturperiode 2009 bis 2014 erwartet das Europäische Parlament einen deutlichen Aktivitätsschub im Bereich des geistigen Eigentums. Studien und Folgen­abschätzung werden nicht mehr ausreichen. Konkrete Maßnahmen stehen nun auf der Tagesordnung. Und hierbei muss es zu Kompromissen kommen.