Meinung: Unabhängiger Buchhandel

Zur Gegenmacht werden

1. Oktober 2009
von Börsenblatt
Warum die Kleinen, wenn sie sich verbünden, mehr können als die Filialisten. Von Hermann Römer, Buchhändler in Bad Nauheim.

Der Traum, die Branchenriesen könnten eines schönen Tages an ihren eigenen inneren Widersprüchen zugrunde gehen und die Buchhandelswelt wäre wieder bequem wie einst, wird ein Traum bleiben. Zugrunde gehen werden stattdessen weiterhin kleinere und mitt­lere Buchhandlungen. Und das ­zumindest so lange, bis es dem eigenständigen Buchhandel gelingt, auch für sich das Potenzial nutzbar zu ­machen, das derzeit den eigentlichen und entscheidenden Marktvorteil der Branchenriesen ausmacht.

Viele meinen noch immer, es seien die besseren Konditionen, die die Filialisten den Verlagen nebst einer Reihe weiterer Leistungen, von denen der eigenständige Buchhandel nicht einmal zu träumen wagt, abtrotzen können. Der Konditionenschacher aber findet seine natürliche Grenze in der Leistungs- und Leidensfähigkeit der Verlage, und beides dürfte annähernd erreicht sein.

Nahezu unbegrenzt ist indessen ein anderes Renditepotenzial, und dieses konsequent zu nutzen, macht die wahre, die eigentliche Marktüberlegenheit der Buchhandelsriesen aus. Es ist die strukturelle Fähigkeit zur immer perfekteren Prozessoptimierung. Warenbeschaffung, Werbung und Marketing, Administration etc. werden immer stärker vereinheitlicht und zentralisiert, wodurch zum einen vor Ort eine Entlastung von verkaufsfernen Aufgaben eintritt und zum anderen durch die Rationalisierungseffekte und den gebündelten und geschlossenen Marktauftritt eine gewaltige Macht entfaltet werden kann. Das Rationalisierungspotenzial ist nahezu unerschöpflich.

Keine Hoffnung also für den inhabergeführten kleinen und mittleren Buchhandel? Aber ja doch! Kräfte bündeln, gemeinsam handeln, verkaufsferne Aufgaben auslagern, gemeinsam einen starken Marktauftritt organisieren – warum sollten das nicht eigenständige unabhängige Buchhandlungen auch hinbekommen? Und besser – denn bei den Filialisten gibt es ein Problem, das bei einer freiwilligen Zusammenarbeit von selbstständigen Buchhandlungen vermieden werden kann: die Herrschaft der Zentrale über die Filialen. Die Zentrale ist nicht Dienstleister für die Filialen, sondern Weisungsgeber, der mit jedem neuen Rationalisierungs- und Zentralisierungsschritt auch mehr Kompetenzen an sich zieht, mit peniblen Vorgaben die Eigeninitiative der Geschäftsstellen einengt und parallel dazu fast zwangsläufig den bürokratischen Aufwand immer mehr erhöhen und den Kontrollaufwand verstärken muss.

Und nun stellen Sie sich vor: 100 oder 200 inhabergeführte Buchhandlungen quer durch die Republik beschließen eine Reihe gemeinsamer Aktionen. Sie beauftragen einen qualifizierten Dienstleister, unter einem gemeinsamen Label, das jede der beteiligten Buchhandlungen in ihr eigenes Firmenlogo integrieren kann, einen professionellen Werbeauftritt zu entwickeln, mit dem dann regelmäßig alle Beteiligten gleichzeitig denselben Titel bundesweit bewerben und anbieten. Dann wird das ein Renner, und die Verlage erhalten einen deutlichen Wink, dass nicht nur die Großbuchhandlungen in der Lage sind, ihre Spitzentitel wirkungsvoll zu »pushen«. Oder die selbstständigen Buchhandlungen erledigen ihren Buchhaltungskram nicht mehr jede für sich alleine, sondern schaffen sich in ihrem Verbund eine Stelle, die das rationeller und günstiger abwickelt. Das ganze Geheimnis besteht darin, viel mehr Geld in die Hand nehmen zu können, als ein Einzelner sich leisten kann, und dann gemeinsam das Ergebnis zu nutzen.

Und das alles kann in gegenseitiger Abstimmung – also demokratisch – erfolgen, keine Zentrale, der man sich unterordnen muss – allenfalls ein selbst gewähltes Gremium aus Gleichgesinnten – und kein Quäntchen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit geht verloren. Der eigentliche Marktvorteil der Großfilialisten ist ­also weitgehend für kleine und mittlere Buchhandlungen nutzbar. Wenn sie nur erst den Willen aufbringen, sich in einem starken Verbund zusammenzuschließen und ihre Kräfte zu bündeln. Dann könnten sie tatsächlich zur Gegenmacht werden. Was können jene, das diese nicht auch können?