Meinung: Verlegen

Unaufhaltbar

12. Oktober 2011
von Börsenblatt
Macht es in E-Book-Zeiten noch Spaß, Verleger zu sein? Auch wenn Vertrautes verschwindet: Für die Neugierigen dieser Welt arbeitet man gern, meint Rainer Weiss von weissbooks in Frankfurt am Main.

Es war einmal: Ich sitze an einem Swimmingpool in Südfrankreich, um den herum deutsche Urlauber in ihren Liegestühlen liegen. Alle lesen: Die Männer "Auto Motor und Sport",  das "ADAC Reisemagazin" oder "Focus", die Frauen – alle! – Bücher. Es war schön, um den Pool zu gehen und ein Auge auf Umschläge zu werfen; man erkannte sogleich, welche Verlage die richtigen Urlaubstitel auf dem Markt hatten, und ich freute mich, wenn ein Buch "meines" Verlags dabei war. Es war einmal.

Das gleiche Szenario heute: Trotz Sonnenlicht und Gegenwind sitzen drei Menschen – nun auch mal ein Mann – um den Pool und blicken konzentriert in einen Reader. Es scheinen andere Menschen zu sein als damals. Andere Gesichter. Den Gang um den Pool kann ich mir sparen, ich erkenne nicht, wer hier was liest. Und ich kann auch nicht, wie schön war das doch, die Frage stellen: Sagen Sie, was finden Sie denn so toll an Ildiko von Kürthy? Man fragt ja nicht: Was haben Sie da in Ihrem Reader vor sich? Ein Spaß weniger. Ein Verlust mehr. Vertrautes verschwindet. Eine klimatische Veränderung. Es ist etwas weniger mollig.

Als alles anfing mit den E-Books, sprach man, wenn man über die E-Reader sprach, von "Lesegeräten". Gefragt nach einem "Gerät", hätte ich den Fragenden eher an ein Sanitätsgeschäft verwiesen denn an etwas, was "bei uns" zu Hause ist. Ich persönlich hoffte darauf, der elektronischen Verlegerei und Leserei angesichts meines Alters entkommen zu können, aber ich war im eigenen Haus konfrontiert mit einer Begeisterten, einer Frau, die – wieder ein Lob der Frau! – die Chance sah, die sich uns bot: mit unseren Inhalten neue Märkte zu erschließen. Ich erinnere mich, wie Anya Schutzbach und Hubert Spiegel, der sich seinerzeit auch sofort für die Kindlemania interessierte, in einem lebhaften Gespräch vor einem Frankfurter Lokal standen, während mir die Füße kälter wurden.

Das Vergnügen am E-Book ist heute nicht mehr aufzuhalten – immer mehr Menschen, darunter viele meiner Freunde (und Altersgenossen) fragen bei jeder Neuerscheinung mehr oder weniger reflexhaft: Ist das auch als E-Book zu haben? Weil das neue Medium etwas Besonderes hat, etwas, was jedes Neue auszeichnet: eine spezifische Verführungskraft, eine fast schon magische Anziehungskraft – für die Neugierigen dieser Welt.

Und für die Neugierigen arbeitet man gern – insofern macht es in Zeiten von E-Book Spaß, Verleger zu sein, Spaß, zu sehen, dass etliche Titel des eigenen Programms E-Books geworden sind und im Verkauf eine Kurve nach oben beschreiben. Eine im Übrigen stabil erfolgversprechende Kurve. Wo haben wir das denn in unserem Geschäftsmodell?

Dass ein neuer Markt immer auch ein Stück des alten Markts verdrängt, ist eine Binse, wie die Schweizer sagen. Aber so bleibt man denn auch, indem man sich vor den E-Books und -Readers nicht duckt, in der Zeit, in unserer Zeit, und es macht mir mehr Freude, die Lebenskraft eines E-Books zu beobachten als den raschen Alterungsprozess eines »normalen« Buchs, welches das (gar nicht so seltene) Pech hat, weder den Handel noch die Kritik und dann die Leser zu erreichen. Doch, es macht Spaß, auch in diesen Zeiten Verleger zu sein. Klagen habe ich nie attraktiv gefunden.