Menschen

Ruth Klinkenberg – ein Geburtstagsglückwunsch

3. November 2007
von Börsenblatt
Die Berliner Buchhändlerin wird heute 60 – und stellt Transit-Verleger Rainer Nitsche vor zeitliche Rätsel.
Etwas Wunderbares wohnt unserer Branche inne, ein Jugendelixier, vermutlich, nein, ganz sicher: ein Zauber. Wenn jemand angeblich 60 Jahre alt wird, sieht sie/er aus wie gerade mal 40. Woraus dieser Zauber sich speist? Am wachsenden Reichtum kann es natürlich nicht liegen, da fehlen uns die Grundlagen. An heimlichen Besuchen in Bräunungs- oder Fitnessanstalten auch nicht, dafür fehlt die Zeit. Also was sorgt für rote Backen, federnden Schritt, energische Blicke, fröhlichen Auftritt auch im reiferen Alter? Sie ahnen es: die immer neuen Bücher, die immer wieder jungen Autorinnen und Autoren, die Verlockung und das Geheimnis der Wörter - unser Beruf selbst ist ein sprudelnder Jungbrunnen. Wer in die Biographie der Jungbuchhändlerin Ruth Klinkenberg eintaucht, erlebt ein schönes Stück Buchhandelsgeschichte. In Mülheim an der Ruhr aufgewachsen und dort als Buchhändlerin ausgebildet, zog es sie Ende der 60er Jahre ins hektische West-Berlin ( was da dem Landesverband NRW verlorenging!) und landete schließlich bei der besten Adresse, die der Berliner Buchhandel damals zu vergeben hatte: Bücherstube Marga Schoeller am Kurfürstendamm. Diese Buchhandlung wurde nicht nur von einer sehr energischen, eindrucksvollen und auch etwas theatralisch begabten Prinzipalin geführt, sondern verfügte über ein Personal, das geradezu beängstigend informiert, belesen und dazu noch eloquent war – eine Mischung, die viele junge Leute damals beim Betreten des Ladens in helle Aufregung oder gar leichte Verschüchterung versetzte. Ruth Klinkenberg war damals für ihr Fachgebiet Kinder- und Jugendliteratur eingestellt worden, konnte sich bei Schoeller (die Abteilung lag etwas versteckt im 1. Stock) also noch nicht direkt in die vorderste Linie stellen, fand aber einen produktiven Umweg, um dies auf andere Weise zu erreichen: sie wurde in der damaligen Gewerkschaft HBV, Fachgruppe Buchhandel, schnell zu einer der Aktivsten, war in den 70er Jahren an zahlreichen innergewerkschaftlichen Scharmützeln beteiligt, gründete mit anderen Buchhändlern eine unabhängige Arbeitsgruppe »Leserlich«, die sich auf die Empfehlung guter Kinder- und Jugendbücher konzentrierte, und nutzte ihre gewerkschaftlichen Auftritte als willkommenes rhetorisches und strategisches Training für spätere Aufgaben im Buchladen und im Börsenverein. Nach dem erzwungenen Abschied der Bücherstube vom Kurfürstendamm und nach dem Tod von Marga Schoeller gründeten die Mitarbeiter eine eigene GmbH, die mit einer komplizierten Satzung für erstaunlich viele Mitarbeitersitzungen sorgte, auf denen Ruth Klinkenberg nun auf der anderen, der Arbeitgeberseite nämlich, als Geschäftsführerin der GmbH (neben Thomas Rodig), ihr gewerkschaftlich erworbenes Rüstzeug verfeinern konnte. Wie viele Buchhandlungen hatte Schoeller in den 80er und 90er Jahren mit großen und kleinen Krisen zu kämpfen, hielt sich aber durch eine Vielzahl von Lesungen, durch ein feines und spezielles Sortiment und vor allem auch durch die traditionell kompetente Beratung einen festen Kundenstamm. Bis heute ist es mir ein zeitliches Rätsel, wie Ruth Klinkenberg und ihre sehr geschätzten Kollegen die vielen besonderen Bücher nicht nur bestellen, sondern sie auch lesen und deshalb auch gezielt empfehlen können. Neben die berufliche Seite ihrer Biographie schob sich eine unglaubliche Zahl von ehrenamtlichen Engagements innerhalb des Börsenvereins, angefangen von Landesverbandsaufgaben (bis zum Vorsitz 1991-1997) bis hin zur gewaltigen Kette von überregionalen Aufgaben im anfangs noch äußerst mißtrauisch betrachteten »Frankfurt«. Diese Kette reicht von der Abgeordnetenversammlung (deren Vorsitzende sie 1998 bis 2004 war und die sie so liebte, daß sie deren Abschaffung durch die Verbandsreform beinahe als persönliche Beleidigung empfand) über den Sortimenterausschuß, Wahlausschuß, Ehrenausschuß bis zum Bundesvorstand. Das Besondere ihrer ehrenamtlichen Arbeit besteht aber nicht in dieser rekordverdächtig langen Liste, sondern in der streitlustigen Hartnäckigkeit, mit der sie dort ihre Ziele, nämlich die Sicherung der Interessen kleinerer und mittlerer Buchhandlungen, die Unabhängigkeit der Landesverbände und die demokratische Verfaßtheit des Börsenvereins auf allen Ebenen verfolgte (und verfolgt). Aus meiner Sicht die wichtigste Aufgabe (und die, für die sie auch ganz besonders qualifiziert war) bestand in ihrer sechsjährigen, intensiven Mitarbeit im Stiftungsrat Friedenspreis, dem Gremium, das nach vielen Sitzungen, vielen Gesprächen und unzähligen Lektürestunden die jeweiligen Träger des Friedenspreises bestimmt – ein Gremium, das eher im Hintergrund arbeitet, aber Jahr für Jahr dafür sorgt, dass sich mit dem Friedenspreis unsere gesamte Branche geehrt fühlen kann. Zurück zum angeblichen Alter. Noch jünger wird unsere Jubilarin, wenn sie mal ihre Pflichten völlig vergißt: beim Rhum sour im Rhum trader, eine feine Zigarre in der Hand, oder an einem Sonntagnachmittag, nach einer Matinée, im Kreise von Autoren, Kollegen und/oder Freunden, bei einem oder doch eher mehreren Glas Wein: da wird auf höchstem Niveau gelästert, gealbert, gescherzt und gelacht, daß es allen eine Freude ist. Bei allem Respekt vor ihrer Arbeit als Buchhändlerin und Vereinsaktivistin: für diese etwas frivole Seite ihres Lebens sollte sie sich in Zukunft mehr Zeit nehmen – und erst dann wäre ich auch geneigt zu glauben, dass sie sich allmächlich dem 60. Lebensjahr nähert. Gratulation, Ruth!