Michael Fürtjes über Nachteile von Einzelkämpfern

Besser gemeinsam?

6. Juli 2017
von Börsenblatt
"Die Zeit des Einzelkämpfertums im Buchhandel geht dem Ende entgegen", ist sich Michael Fürtjes von der Leistungsgemeinschaft Buchhandel eG angesichts rückläufiger Kundenfrequenz sicher. Er untermauert seine Argumentation mit Schillers "Wilhelm Tell".

Der Einzelhandel und mit ihm der Sortimentsbuchhandel ist seit Jahren einem sich mehr und mehr beschleunigendem Wandel unterworfen, der mitten im Weihnachtsgeschäft 2016 eine verschärfte Dramatik erfuhr. Vielerorts wurde plötzlich ein unerwarteter Rückgang der Kundenfrequenz festgestellt. Das wurde im neuen Jahr zunächst nicht besser. In den ersten Monaten des Jahres stellten sich viele Einzelhändler die Frage, ob die Menschen in Deutschland tatsächlich weniger als noch im vergleichbaren Vorjahreszeitraum einkaufen oder ob sich Umsätze plötzlich sprunghaft mehr als zuvor ins Internet verlagern. Letzteres schien nicht in dem Maße der Fall zu sein, wie die Umsätze in den Läden zurückgingen.

Ab Mai 2017 stellt sich an vielen Orten eine schrittweise Erholung ein. Die Frage nach der Kaufzurückhaltung ist damit jedoch nicht obsolet geworden. Sie wirft vielmehr eine weitere Frage auf, die Frage, wie der Umsatz der Buchhandlungen zu stabilisieren und dann zu steigern ist?
Wer diese Frage so zu beantworten wüsste, dass die Antwort für alle oder doch für die meisten Buchhandlungen eine Lösung böte, wäre preiswürdig und der gefragteste Berater weit und breit. Leider ist die Realität des Einzelhandels erheblich komplexer, als dass die Frage pauschal gültig zu beantworten ist.

Zunächst gilt es festzustellen, dass es selbst bei einem Trend wie dem der Kaufzurückhaltung nicht wenige Fälle gibt, die diesem Trend nicht entsprechen, hier und da sogar gegenläufig sind. Selbst dann, wenn sie dem Trend entsprechen, müssen die Ursachen für die Kaufzurückhaltung nicht zwingend dieselben sein.

Es lohnt sich, den Einzelfall zu betrachten; für den Unternehmer ist dies ohnehin unerlässlich. Nur aus der sorgfältigen Analyse seiner eigenen Lage kann er eine Strategie entwickeln, deren Maßnahmen für sein Unternehmen erfolgversprechend sind. Das bedeutet freilich nicht, dass ihm der Vergleich mit anderen nicht nützlich wäre. Im Gegenteil kann der Unternehmer seine Strategie oft im Vergleich mit anderen präzisieren.

Die Frage "allein oder besser gemeinsam" findet sich in einer bekannten literarischen Szene implizit gestellt, nämlich in der 4. Szene des ersten Aktes von Friedrich Schillers "Wilhelm Tell". Tell und Stauffacher überlegen, wie es am besten gelingt, sich von der Macht des Fronvogts zu befreien. Sie vertreten gegensätzliche Positionen. "Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst", sagt Tell und pointiert seine Meinung noch: "Der Starke ist am mächtigsten allein." Stauffacher hingegen argumentiert geradezu genossenschaftlich, wenn er antwortet: "Verbunden werden auch die Schwachen mächtig."

Einzelkämpfer oder gemeinsam im Verbund?

Zunächst ist dies eine Frage des Naturells. Danach ist es die Frage nach der Wahrscheinlichkeit des Erfolgs. Und schließlich ist es eine Frage der Organisation und nicht zuletzt die sozialer Verantwortung.

Risiken und Chancen

Je unübersichtlicher und komplexer die Verhältnisse werden, desto stärker gewinnt der Einzelkämpfer an Kontur, entweder im Sinne der Selbstüberschätzung oder im Sinne der − nicht immer sofort erkennbaren − Resignation. Wer im gemeinschaftlichen Austausch steht, mag sich mit anderen in Sicherheit wiegen; es kann miteinander zu narkotischer Ausblendung von Fragen und Problemen kommen. Doch diese Gefahr erscheint mir verschwindend gering zu sein im Vergleich zu den Chancen, die der Austausch untereinander bietet. Gerade für diejenigen, die sich schwerer als andere tun, den Wandel in der Branche für sich selbst aktiv zu gestalten, ist das Miteinander eine große Hilfe, ganz im Sinne des Stauffacherschen Arguments.
Dies wird auch der Einzelkämpfer nachvollziehen, doch wird er deshalb nicht unbedingt das Einzelkämpfertum aufgeben. Das kostet Überwindung.

Zu welchem Kompromiss führt Schiller die Diskutierenden? Kann Stauffacher also nicht auf Tell zählen? Doch. Wenn es darauf ankommt, ist Tell dabei. Er ist zwar Einzelgänger, aber er ist sich seiner sozialen und politischen Verantwortung bewusst und zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt.

Nun geht es im gegenwärtigen Buchhandel nicht um eine einzelne, heroische Aktion. Insofern hinkt der Vergleich mit "Wilhelm Tell" ein wenig. Es geht aber sehr wohl um die Frage des Miteinanders. Es geht darum, den Nöten der einzelnen, die die Nöte vieler sind, mehr Aufmerksamkeit und Gewicht innerhalb der Branche, gegenüber den Handelspartnern zu verleihen. Es geht um den Prozess der Entwicklung von Ideen, deren Umsetzung vielen Vorteile verschafft. Es geht um die Zukunft des Buchhandels und sicher für eine Reihe von Buchhandlungen ums Überleben.

Dialog auf Augenhöhe

Längst gibt es verschiedene Formen des Miteinanders im Buchhandel, lose Verbindungen, branchenpolitische Interessenvertretungen, Erfa-Gruppen und Verbünde. Sie alle bieten mit je eigenen Akzentsetzungen die Möglichkeit, sich untereinander zu beraten, sich auszutauschen, voneinander zu lernen. Verbünde halten darüber hinaus einen Strauß von Angeboten bereit, die den Mitgliedern wirtschaftliche Vorteile ermöglichen, die sie ohne den Verbund in dieser Form nicht hätten. Das hilft − nicht nur in schwierigen Zeiten, dann aber besonders. Die Beratungsleistung, die in Verbünden den Mitgliedern zur Verfügung steht, wird ihnen nicht aufgedrängt, sondern angeboten. Es ist der freundschaftliche, aber kritische Blick von außen, der das getrübte Auge der täglichen Betriebsamkeit wieder schärfen kann. So entsteht ein Dialog auf Augenhöhe, nicht durch Besserwisserei oder Mansplaining oder Womansplaining.

Die Zeit des Einzelkämpfertums im Buchhandel geht schnell dem Ende entgegen. Die Zeit des Miteinanders hat längst begonnen.