Neu im Regal - Lesetipp der Woche

Alles neu!

3. März 2015
von Nils Kahlefendt
Mit Jean-Martin Büttners hinreißendem Band über „Anfänge“ (Echtzeit Verlag) kann das eben beginnende Jahr eigentlich nicht mehr schief gehen.  

Na, gut reingerutscht? „Erster Erster / Ich bin vor mir da / frohes neues Jahr“, singt die wunderbare Band Erdmöbel. Inzwischen sieht das neue Jahr schon wieder ein bisschen gebraucht aus, aber das schöne an den jetzt gefassten Vorsätzen ist ja, dass man sie nicht einhalten muss. Und am nächsten Ersten einfach neue aufstellt.

Auch der Schweizer Journalist Jean-Martin Büttner, Reporter beim Zürcher „Tagesanzeiger“, liebt Anfänge – und hat ihnen ein ganzes Buch gewidmet. „Jeder Anfang“, schreibt Büttner, „betreibt die Beschleunigung des Gewöhnlichen.“ Für den Journalisten gehört der Anfang gewissermaßen zum Tagesgeschäft – ohne ersten Satz kein zweiter. Man muss dabei ja nicht gleich so weit gehen wie die amerikanische Filmfabrik Metro-Goldwyn-Meyer, die ihren Drehbuchautoren empfahl, „mit einem Erdbeben anzufangen und sich dann langsam zu steigern“.

Büttners Buch hat also mit Schreiben und Journalismus zu tun, mit Musik, Komik, Literatur, Film, mit Liebe und Tod, Macht und Politik. Manche Texte nehmen den Anfang – erster Schultag, das erste Stück Popmusik, das man als Kind hört, die erste Annäherung an eine fremde Stadt – nur zum Vorwand, über das Weitere zu berichten, über Vorgänge und Veränderungen. Das reicht vom Nachdenken über Ground Zero als „die Verheißung eines Neuanfangs ohne Geschichte“ bis zu typischen „Männerlisten“: Zehn beste erste Stücke auf LP-Seite Eins, zehn beste Songs für frisch Verlassene.

Im Kapitel „Erste, beste Treffen“ porträtiert Büttner Menschen, denen er begegnet ist. Eine Hebamme erzählt über ihre erste Geburt, ein Bundesrat über das Alt-Bundesrat sein, ein Physiker erklärt seinen Umgang mit der Unendlichkeit. Was man in einem Interview als erstes fragen soll, wird netterweise auch offen gelegt. Wie manch andere kluge Sachen. Dass manche Texte Passagen aufnehmen, die Büttner bereits im „Tagesanzeiger“ publiziert hat, stört null – selten war eine solche Wundertüte weiter von der journalistischen Drittverwertungs-Seuche „Kolumnen-Band“ entfernt. Alles Gute also fürs noch weitgehend von alten Fehlern unberührte Jahr 2015 – das, wir sind sicher, mit der Lektüre dieses Buches kaum noch schief gehen kann. Sein Motto stammt übrigens von John Irving – und der wusste schon, was er schrieb: 

„Man wächst nur dann im Leben, wenn man etwas beendet und etwas anderes beginnt.“  

Jean-Martin Büttner: Anfänge. Und so weiter. Echtzeit Verlag, 168 Seiten, 24 Euro.