Next Generation: Self-Publishing Area

"Ich stand da wie im Urwald"

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Zahl der Autoren, die ihre Bücher selbst publizieren, nimmt stetig zu. Welchen Effekt hat diese Entwicklung auf die Verlage? Werden diese gar überflüssig? Darüber wurde heute Mittag auf der Bühne der Self-Publishing Area der Frankfurter Buchmesse diskutiert.

Vor dem Podium hatten sich mehr als 100 Zuhörer versammelt, die noch in mehreren Reihen hinter den wenigen Sitzenden standen. Die lebhafte Diskussion zum Thema "Selfpublishing: Braucht man einen Verlag?" auf dem Podium bestritten die Self-Publishingautoren Emily Bold, Annelie Wendeberg und Matthias Matting, von Verlagsseite der KiWi-Cheflektor Lutz Dursthoff und Johannes Monse, der Geschäftsführer des Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat. Hinzu kam Hanna Kaufhold, die an der Uni Flensburg eine "Studie zum Einfluss von Self-Publishing auf klassische Publikumsverlage" verfasst hat.

Eingangs stellte die Börsenblatt-Redakteurin Tamara Weise, die die Runde moderierte, die drei Autoren vor, die unterschiedliche Genres bedienen: Historische Liebesromane, Krimis sowie Fach- und Sachbücher. Emily Bold veröffentlichte ihren Erstling "Gefährliche Intrigen" 2011 über Kindle Direct Publishing ("Amazon has changed my life"), insgesamt hat sie inzwischen zehn Titel per Amazon veröffentlicht. Dabei wollte Bold zunächst nur für die "eigene Schublade" schreiben. Eine Lektorin, die einen Fehldruck per Zufall in die Hand bekam, empfahl die Publikation. Self-Publishing war für den Anfang der richtige Weg, ist sich die junge Autorin sicher. Sie hatte "keinen langen Atem", so Bold, um den Weg über einen Verlag zu versuchen. Der Online-Erfolg habe sie dann quasi "überrollt".

Annelie Wendeberg, im Hauptberuf Wissenschaftlerin am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, schreibt nebenbei Krimis – auf Englisch. Ihr Debüt "The Devils Grin" erschien 2012 ebenfalls via Amazon. Eine weitere Parallele zu Bold: Auch Wendeberg war "zu ungeduldig", um es über einen traditionellen Verlag zu versuchen. "Ich stand da wie im Urwald“, berichtet die Autorin über ihren Start als Self-Publisherin. Immerhin: "Man lernt eine ganze Menge darüber, wie eine Buchproduktion läuft."

Der Vielschreiber Matthias Matting ist auch für seinen Blog "Self-Publisher-Bibel" bekannt. Mattings Feder sind seit 2011 zwischen 40 und 50 Sach- und Fachbücher entsprungen, die genaue Zahl hatte selbst er nicht parat. Für seine Publikationen nutzt er Amazon, Kobo und ePubli. Einige statistische Zahlen konnte er nennen: In einer Umfrage auf seinem Blog nahmen 500 Autoren teil, davon hätten lediglich rund 5 Prozent angeben, nicht zu einem Verlag gehen zu wollen. Was hält die anderen davon ab? Die meisten wollen sich den "langen Weg ersparen", wiederholte er das bereits gehörte Argument.

Manchmal kommt es auch anders: KiWi-Cheflektor Lutz Dursthoff arbeitete im Zuge der Herstellung eines Schätzing-Buches mit der Wissenschaftlerin Wendeberg. Diese wies ihn auf ihren Krimi hin – 2014 kommt er nun auf Deutsch als "Teufelsgrinsen" bei Kiepenheuer & Witsch heraus. Durch die "bunte, weite Welt" des Self-Publishing, so Dursthoff, würden sich die Chancen erhöhen, Autoren zu entdecken. Bei KiWi würde man Online-Plattformen gezielt beobachten. Insofern plädierte er eher für ein Miteinander. Betonte aber die Bedeutung der Verlage: "Wichtig ist, dass Verlage mit ihren Autoren in die Gesellschaft hineinwirken."

Hanna Kaufhold, die ihre Forschungsergebnisse nur anreißen konnte, nannte den Selbstverlag eine "Spielwiese" – und erntete dafür entschiedenen Widerspruch. Johannes Monse (bei dem Nele Neuhaus ihre ersten vier Bücher machte) entgegnete, dass auch ein selbst publiziertes Buch handwerklich gut gemacht sein muss, um im "digitalen Schaufenster" zu reüssieren. Hier stimmten die drei Self-Publisher einhellig zu. "Wann kommt das nächste Buch?", sollten ihre Leser nach der Lektüre fragen, wünschte sich Bold. Zudem gibt es laut Monse, der als Verleger und SP-Dienstleister arbeitet, Bücher die einen Verlag brauchen, andere dagegen nicht. Ein Szenario für die Zukunft? Fließende Übergänge zwischen Self-Publishing und traditionellen Verlagen inbegriffen. Eine schöne neue, flexible Welt? In der etwa einzelne Dienstleistungen für die Self-Publisher durch Verlage übernommen werden. Das knappe Zeitbudget der teils nebenberuflichen Autoren käme dem entgegen.

Ein Thema waren auch die E-Book-Preise. "99-Cent-Titel verkaufen sich bei mir besser", verriet Bold. Ob das einen Verdrängungsprozess zur Folge hat, darüber war man uneins. "Wenn die Bücher billiger sind, kaufe ich auch mehr", behauptete Wendeberg. Und wie sieht es mit den Verdienstmöglichkeiten für Selbstverleger aus. Den Durchschnittwert von 300 Euro pro Monat, den Matting in seiner Umfrage ermittelt hat, hielten schätzten die beiden Autorinnen als zu hoch ein.

Obwohl zufrieden mit ihrer Freiheit, sehen die Self-Publisher noch Defizite in der Vermarktung ihrer Bücher – und damit im möglichen kommerziellen Erfolg. Emily Bold etwa wünscht sich eine bessere Verbreitung im traditionellen Buchhandel. Hier kommen wieder die Verlage mit ihren Vertriebsmöglichkeiten ins Spiel. Aber momentan seien die "Angebote der Verlage nicht zeitgemäß", betont Bold.

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