Novitäten kritischer Denker

Informieren statt ignorieren

9. Mai 2018
von Sabine Schmidt
Das Leben von heute ist schnell und komplex. Kritische Denker treten auf die Bremse – und stellen das Argument der "Alternativlosigkeit" infrage. In ihren Büchern geht es um Ökonomie und Gerechtigkeit, um Digitalisierung und Ignoranz, um Arbeit und Politik.

Gegen Meinungsmache

Die Beiträge des Internetportals NachDenk­Seiten (www.nachdenkseiten.de) sind kritisch, bewusst abgesetzt vom Medien-Mainstream, werden viel gelesen und sind nicht unumstritten. Eine Auswahl ist Jahr für Jahr in gedruckter Form nachzulesen, in der sich die aus Sicht der Herausgeber wichtigsten politischen und ökonomischen Entwicklungen spiegeln. Der aktuelle Band steigt mit Donald Trump und dem Treffen der G20 in Hamburg ein. Für den nächsten Band kündigt der Verlag an, dass er den ersten umfassenden Überblick des parlamentarischen Auftretens der AfD in Bundestag und Landtagen bieten werde.

Albrecht Müller, Jens Berger: "Nachdenken über Deutschland. Das kritische Jahrbuch 2018/2019", Westend, Oktober, 256 S., 16 €

Die Bedeutung von Arbeit

Arbeit hat viele Facetten: Sie kann belastend sein, langweilig, begeisternd, sie kann Halt geben oder durch Karriereschritte persönliche Defizite kompensieren. Aber ist sie immer nur ein Lebensaspekt unter vielen – und um diesen größeren Kontext geht es Harald Pichler. Der Autor, 15 Jahre lang als Manager und heute als Unternehmensberater und Coach tätig, legt den Fokus auf die Sinnfrage: Wozu lebe ich, wozu arbeite ich – und welcher Mensch will ich einmal gewesen sein? Was muss man hinnehmen, weil es nicht zu ändern ist, und was kann man gestalten? Pichlers Buch liefert spannende Antworten. Basis seiner Erkenntnisse sind die Lehren des Wiener Neurologen und Psychiaters Viktor E. Frankl.
  
Harald Pichler: "Arbeit. Sinn und Motivation", Braumüller, 120 S., 17 €

Ein anderes Finanzsystem

Nach der Finanzkrise von 2007/2008 sind die Banken in Verruf geraten, doch die Strukturen blieben im Kern unverändert. Das sagen die beiden Autoren, die hinter dem Pseudonym Jonathan McMillan stehen: Jürg Müller, Wirtschaftsredakteur der »NZZ«, und ein Finanzexperte, der für eine internationale Großbank arbeitet und anonym bleiben will. These des Duos: Das Bankwesen ist durch die digitale Revolution außer Kontrolle geraten, da Informationstechnologien eine wirksame Regulierung unmöglich machen. Nach Ansicht der Autoren werden Banken (im Sinne von Geldschöpfung aus Kredit) heute nicht mehr gebraucht. Sie sind davon überzeugt, dass die Informationstechnologien ein alternatives Finanzsystem ermöglichen, das einfacher und fairer ist. Der Buchtitel ist Programm: Die Autoren wollen Schluss machen mit dem Finanzsektor, wie er heute ist.

Jonathan McMillan: "Das Ende der Banken. Warum wir sie nicht brauchen", Campus, 272 S., 26 €

Fataler Wachstumsglaube

Immerhin, bis zum französischen Präsidenten hat es sich herumgesprochen: "There is no planet B", sagte Emmanuel Macron vor dem US-Kongress und bekam Standing Ovations. Dennoch: Das Wissen darum, dass insbesondere der reiche Westen die Erde und ihr Klima beschädigt, und dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Reichtum der einen und der Armut der anderen, wird in der Regel ignoriert. Die Studenteninitiative Oikos aber nimmt Themen wie Ungerechtigkeit und Ausbeutung in den Fokus, in der Hoffnung, Einsichten in Wirtschaft und Politik vermitteln zu können. Jetzt hat die Leipziger Gruppe Vorträge aus ihrem Veranstaltungsprogramm in einem Buch zusammen­geführt – im Fokus steht der ökonomische Wachstumsgedanke.

Mathilda Reinecke, Maximilian Becker (Hrsg.): "Anders wachsen! Von der Krise der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft und Ansätzen einer Transformation", Oekom, 304 S., 19 €

Mit diesem Themenkomplex befasst sich auch Jason Hickel. Er hat sein Buch den Verdammten dieser Erde gewidmet – die Zielrichtung ist also klar. Das derzeitige Wirtschaftswachstum zerstöre Lebensgrundlagen, ökologisch wie ökonomisch, sagt der britische Anthropologe. Allein das Klima verändere sich dramatisch, und die Kluft zwischen Arm und Reich werde nicht kleiner, wie viele gehofft haben, sondern größer. Das alles sei keine Naturkatastrophe, sondern werde vielmehr von Menschen verursacht. Das bedeute zugleich, dass man etwas dagegen tun könne – wenn der politische Wille da sei, Wachstum anders zu gestalten.

Jason Hickel: "Die Tyrannei des Wachstums. Wie globale Ungleichheit die Welt spaltet und was
dagegen zu tun ist", dtv, 432 S., 28 €

Distanz statt Daumen hoch

Propaganda und Lügen sind uralte Kulturtechniken. Neu ist dagegen das Ausmaß der Manipulationsmöglichkeiten, die das Internet bietet, die Bilder­fluten, das Wortrauschen, die Emotionalität, die sich mit den sozialen Medien noch einmal verstärkt hat. Kritische Distanz und Reflexion sind Mangelware, werden aber dringend gebraucht – und hier setzen die Autoren dieses Grundkurses an, der sich insbesondere an junge Mediennutzer richtet. In dem Buch geht es um die Arbeitsweise von Zeitungen, um Cybermobbing und darum, wie man Fake News erkennen kann. Ein engagierter Appell für den kritischen Umgang mit Medien, gespickt mit ganz konkreten Praxistipps.

Nina Horaczek und Sebastian Wiese: "Informiert euch! Wie du auf dem Laufenden bleibst, ohne manipuliert zu werden", Czernin, 256 S., 19 €

Daniel Levitin verfolgt mit seinem Buch ein ähnliches Anliegen – konzentriert sich dabei aber nicht auf die junge Zielgruppe. Er steigt mit einem krassen Beispiel ein: Der 28-jährige Edgar M. Welch nahm die Falschmeldung ernst, dass der Pizzaladen Comet Ping Pong unter Führung von Hillary Clinton verdeckt Sexsklaven halte. Die via Internet verbreitete Lüge verleitete Welch im Dezember 2016 dazu, mit seiner halbautomatischen Waffe in der Pizzeria um sich zu feuern. Sicher ein extremer Fall – aber leider nur eines von vielen Beispielen, welche Folgen Fake News haben können. Es werde verschleiert, erfunden, gelogen, was das Zeug hält, bilanziert Levitin. Er plädiert für Skepsis ebenso wie für Bildung und erklärt er ganz konkret, was man tun kann, um Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.

Daniel Levitin: "Kritisch denken im Zeitalter der Lügen. Fake News, Halbwahrheiten und Pseudo-Fakten entlarven", Redline, 272 S., 19,99 €

Neue Formen des Kapitalismus

Der Dienst ist kostenlos, dennoch ist Facebook keineswegs eine Initiative wohlmeinender Menschen, die andere einfach nur zusammenbringen wollen. Ebenso wenig hilft Google aus Freundlichkeit bei Internetrecherchen. Nick Snircek macht deutlich, dass diese Unternehmen – so wie alle anderen auch – Gewinn erwirtschaften wollen. Der Autor durchleuchtet Onlineplattformen und Monopolisierungstendenzen, Neugründungen und Traditionsunternehmen, die sich grundlegend wandeln, indem sie sich ans Internet anpassen. Kurzum: In diesem Buch geht es um neue Formen des Kapitalismus, die es erst einmal zu verstehen gilt, bevor man sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen kann.

Nick Snircek: "Plattform-Kapitalismus", Hamburger Edition, 144 S., 12 €