Novitäten Sachbuch

Angst vor dem Kollaps

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Langweilig ist es ja nicht, das Leben im Jahr 2012. Finanzkrise, Fukushima, gewaltige so­ziale Umbrüche in Nordafrika, die Agonie des Euro – überall brodelt es. Sachbuchtitel des Herbstes zu Krisenszenarien.

Der Systemtheoretiker und Komplexitätsforscher John Casti hat jetzt ein Buch geschrieben, das die Ängste bündelt: "Der plötzliche Kollaps von allem" analysiert die Anfälligkeit überkomplexer Gesellschaften gegenüber extremen Ereignissen, sogenannten schwarzen Schwänen.

Unverhofft kommt immer öfter, mit gewaltigen Verstärkungseffekten. Wer hätte es am 10. September 2001 für möglich gehalten, dass zwei Flugzeuge das World Trade Center in Grund und Boden rammen? Angesichts der globalen ­Vernetzungen und Interdependenzen haben Ansteckungsängste und Domino-Theorien Konjunktur. Zerbricht Europa, wenn die Griechen nicht mehr mit Euro ­bezahlen? Der Komplexitätsforscher spielt Katastrophenszenarien durch und erwägt Strategien der Schadensbegrenzung. Gegen Me­teoriten einschläge lässt sich wenig ausrichten, gegen menschengemachte X-Events womöglich schon. Peter Scholl-Latour, Spezialist für turbulente Großwetterlagen, läuft noch einmal groß zu Form als Krisenprophet auf und schildert eine "Welt aus den Fugen". Immer mehr Staaten scheitern, Irak und Afghanistan sind nach Jahren der milliardenteuren Interventionen zerrüttet. Besonders beunruhigend, dass auch die einstigen Garanten von Stabilität, die westlichen Demokratien, die Scholl-Latour allerdings noch nie überschätzt hat, inzwischen selbst ins Wanken geraten sind.

"Neukölln ist überall!" – mit diesem Schlachtruf-Titel wird Heinz Buschkowsky wieder zum Dauer-Talkshowgast. Die Misere des inzwischen oft schön und trendig geredeten Bezirks ist längst nicht vorbei; sie gibt das Muster ab für immer mehr Gemeinwesen, die von prekären Lebensstilen und Überfremdungsängsten geprägt werden. Walter Wüllenwebers Debattenbuch "Die Asozialen" beschreibt, wie die Mittelschicht in die Zange genommen wird: auf der einen Seite eine wachsende Unterschicht, die sich von Arbeitsethos und bürgerlichem Wertekanon verabschiedet hat, auf der anderen eine Geldelite, die sich in eine Parallelwelt zurückzieht. Für die einen gibt es die Finanz-, für die anderen die Hilfsindustrie, beides gefährlich wuchernde Gebilde. 

Wer mehr erfahren möchte über das Schattenreich der Milliardäre, sollte das Buch des Reichtumsforschers Hans-Jürgen Krysmanski lesen: "0,1 %" schildert jene kleine globale Klasse, die das Geld anzieht wie das schwarze Loch die Materie. Mit der neoliberalen Lobbyarbeit der Superreichen in den Vereinigten Staaten beschäftigt sich Thomas Frank in "Arme Milliardäre". Kapital aus der Krise schlagen nur die Kapitalisten – so die Einsicht.

Eine fundierte Dokumentation der gefährlichen Spaltung der (amerikanischen) Gesellschaft in Unersättliche und Habenichtse bietet das neue Buch des Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz, "Der Preis der Ungleichheit". Aus der Balance ist auch das Verhältnis der Geschlechter. In China etwa fehlen bereits 163 Millionen Frauen, was der Gesamtzahl der weiblichen Bevölkerung der USA entspricht. Grund ist die selektive Geburtenkontrolle in vielen Ländern, die mit höherem Entwicklungsstandard keineswegs verschwindet. Vielmehr ermöglicht erst der Einsatz von Ultraschall­geräten die galoppierende demografische Maskulinisierung. Mara Hvistendahl entwirft das Katas­trophenszenario, das uns noch gefehlt hat: "Das Verschwinden der Frauen".  

Ausgewählte Sachbuchnovitäten

➤ Heinz Buschkowsky: Neukölln ist überall! Ullstein, 256 S., 19,99 Euro
➤ John Casti: Der plötzliche Kollaps von allem. Piper, 400 S., 22,99 Euro
➤ Thomas Frank: Arme Milliardäre! Kunstmann, 240 S., 18,95 Euro
➤ Mara Hvistendahl: Das Verschwinden der Frauen. Selektive Geburten-kontrolle und die Folgen. dtv, 420 S., 21,90 Euro
➤ Hans-Jürgen Krysmanski: 0,1 % - Das Imperium der Milliardäre. Westend,
240 S., 19,99 Euro
➤ Peter Scholl-Latour: Die Welt aus den Fugen. Propyläen, 340 S., 24,99 Euro
➤ Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit. Siedler, 450 S., 24,99 Euro
➤ Walter Wüllenweber: Die Asozialen. Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren – und wer davon profitiert. DVA, 220 S., 19,99 Euro

Wolfgang Schneider

Mehr zum Thema lesen Sie im Börsenblatt vom 26. Juli mit dem Extra "Sachbuch".