Pressekonferenz zur Leipziger Buchmesse 2017

Lesen und lesen lassen

21. Februar 2017
von Nils Kahlefendt
Leipzig liest – und diskutiert, vermutlich so emsig wie noch nie: Die 26. Auflage des Literatur-Marathons verspricht politische Debatten, literarische Entdeckungen und spannende Unterhaltung. Auf dem Messegelände soll ein neues Logistik-Konzept für weniger Staus und mehr Sicherheit sorgen.

"Leipzig liest", der längst zum Markenzeichen der Messe gewordene Literatur-Marathon, hat Statistik-Vollmundigkeiten ja gar nicht nötig. Buchmessedirektor Oliver Zille konnte dennoch für die 26. Auflage neue Rekord-Werte vermelden: 3.400 Veranstaltungen mit 3.300 Akteuren an 571 Orten in fünf Tagen. Nahezu alle wichtigen deutschsprachigen Frühjahrsnovitäten bekommen hier ihre Bühne, dazu freuen sich die Messe-Macher über klangvolle internationale Namen: Das Spektrum reicht von Jostein Gaarder und Martin Suter (die mit Thomas Brussig zum Literatur-Gipfel in die Kongresshalle laden) bis zu Mircea CartarescuClaudio Magris oder den schillernden Neil McGregor. Dazu gibt’s mit der Langen Leipziger Lesenacht (23. März, Moritzbastei) oder der immerhin auch schon zehnten LitPop, zu der die Jugendfunker von MDR Sputnik ins Neue Rathaus einladen, bereits klassisch zu nennende Formate. 

Litauen: Fortsetzung folgt!

Rund 100 Autorinnen und Autoren aus Litauen treten im Rahmen des Schwerpunktland-Programms in Leipzig auf; 26 Neuübersetzungen erscheinen in diesen Wochen in Deutschland und Österreich. Zum Vergleich: Als die drei baltischen Republiken 1997 in den Fokus der Leipziger Buchmesse rückten, steuerte Litauen ganze fünf Novitäten bei. "Der deutsche Markt gilt als Türöffner für die internationale Verbreitung", sagt Aušrinė Žilinskienė, Direktorin des litauischen Kulturinstituts und Kuratorin des Leipzig-Auftritts. "Insofern freuen wir uns, dass die litauische Literatur über unseren Länderauftritt in Leipzig deutlich präsent und unübersehbar ist."

Hier stehe ich, ich kann nicht anders!  

Der auf unprätentiöse Art kluge Eugenijus Ališanka, einer der meistübersetzten Dichter Litauens und eigens zur "Leipzig liest"-Pressekonferenz aus Vilnius eingeflogen, fremdelte damit, dass er in der Sprache des "Brexit-Befürworters Donald Trump" erklären muss, wie er vom Mathe-Studenten zum Poeten geworden ist. Ein Medienvertreter möchte von den Literatur-Kuratoren auf dem Podium wissen, ob man sich aktuell nun vor den Russen oder den Amerikanern fürchten soll. Ein kleiner Vorgeschmack darauf, dass das Lesefestival der Messe, sechs Monate vor der Bundestagswahl, in diesem Jahr wahrscheinlich politisch aufgeladener denn je wird. Eine Art politischer Dauer-Talk-Schleife über fünf Tage? Die "wachsende Anzahl politischer Sachbücher", so Messe-Direktor Oliver Zille, der im Leipziger Frühjahrsaufgalopp auch ein verlässliches "Branchenbarometer" sieht, spiegele sich auch im "Leipzig liest"-Programm wieder. Dazu luthert es – quer durch die Genres – gewaltig; zur Reformation und ihren Auswirkungen haben nun wirklich alle etwas zu sagen, von Feridun Zaimoglu bis Petra Gerster und, ja: Heiner Geißler. In der Alten Handelsbörse gibt’s einen Luther-Slam ("machtWORTE!").

Denk-Raum für die Gesellschaft von morgen

Der von Esra Küçük (Gorki Theater, Berlin) kuratierte, von Messe und Robert-Bosch-Stiftung ausgerichtete Programmschwerpunkt Europa21 steht in seiner zweiten Auflage unter dem Motto WIR in Europa – wofür wollen wir einstehen? In sechs Salongesprächen melden sich kritische Stimmen zur künftigen Ausgestaltung Europas zu Wort. Dazu gehören die von der nationalkonservativen PiS-Regierung abgesetzte ehemalige Direktorin des Polnischen Instituts in Berlin Katarzyna Wielga-Skolimowska ebenso wie Martin Roth, der aus Protest gegen den Brexit zurückgetretene Direktor des Victoria & Albert Museums London. In der Programmreihe Im Brennpunkt, die die Messe zusammen mit dem LCB und dem Auswärtigen Amt vorbereitet, diskutieren Autoren aus sechs Ländern über erstarkenden Populismus, schwierige Nachbarschaften im Baltikum oder den hundertsten Jahrestag der Oktoberrevolution. Eminent politisch dürfte wohl bereits die Eröffnung der Buchmesse ausfallen, in deren Rahmen der Franzose Mathias Enard ("Kompass") mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung geehrt wird. Aus der Türkei wird die jüngst aus der Haft entlassene Schriftstellerin Asli Erdogan erwartet.

 

Digital ist besser

In Zeiten, da das nächste Buch nur einen Mausklick entfernt ist, Algorithmen das lebendige Gegenüber ersetzen, nimmt der Wunsch nach realen, nicht nur virtuell vermittelten Begegnungen zu. Der Erfolg von "Leipzig liest" zeigt, dass das gesprochene Autoren-Wort auch in digitalen Zeiten nicht an Strahlkraft verloren hat und eine wichtige Säule des Buchmarketings ist. Aber wie wird diese Kultur in die Zukunft geführt? Die Buchmesse beginnt nun mit zwei digitalen Pilotprojekten, ihre Literaturvermittlung auf 365 Tage im Jahr auszuweiten: So bietet die Messe etwa mit dem Leipziger Startup A. R. S. Autoren und Verlagen ein transmediales Erzählprojekt an, was Inhalte über diverse Altagsmedien direkt an registrierte User bringt. Zusätzlich startet die Buchmesse einen ersten Piloten zum Aufbau einer Autoren-Community mit der Social-Media-Kampagne Autoren-Shelfie mit deinem Buch. Bis zum 2. April können Autoren, Blogger oder Zeichner ihr Foto vor einer Bücherwand hochladen und Votes sammeln. Den Gewinnern winken Gutscheine für die Messeteilnahme als Aussteller der Leipziger Buchmesse 2018, Wildcards für die 6. Leipziger Autorenrunde 2018 oder eine Dauerkarte für die Leipziger Buchmesse 2018 und Sachpreise wie Notebooks, Smartphones oder Tabletts.

 

Neue Logistik: Schnellstraße statt Glasröhren-Stau?

Zum Schluss noch die gute Botschaft für alle, die schon mal – gern an einem besucherrekordverdächtigen Buchmessesamstagnachmittag, bei gefühlten 40 Grad Celsius – in einer der Glasröhren stecken geblieben sind: Die Buchmesse hat in ihre Logistik investiert, die Besucherführung erweitert und ihr Sicherheitskonzept angepasst. "Man wird die Nord-Süd-Tangente auch ohne die Glasröhre benutzen können", verspricht Oliver Zille. Zusätzliche Eingänge zu den Hallen sollen das ermöglichen. Erstmals erfolgt der Zutritt zum Gelände über Sicherheitsbereiche, die den Eingängen vorgelagert sind – dort werden Taschen und Gepäckstücke stichprobenartig kontrolliert. Diese Kontrollen soll es auch – Journalisten, aufgemerkt! - am Übergang vom Pressezentrum nach Halle 1 geben. "Aussteller gelangen über eine Fastlane schnell und pünktlich an ihre Stände", versprechen die Messe-Organisatoren in einer Pressemitteilung. Wer daran zweifelt, ist vermutlich gut beraten, frühzeitig zu erscheinen. Oder seine Uhr vorzustellen – ganz so, wie es der Schriftsteller Peter Kurzeck zeitlebens tat. 


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Programmschwerpunkt Europa21