Presseschau

Jungenliteratur, Raul Hilberg

7. August 2007
von Börsenblatt
"Lesende Jungen sind inzwischen fast seltener als boxende Mädchen", schreibt die "Stuttgarter Zeitung" in einem Beitrag zum Thema Leseverhalten. Ebenfalls Thema: der Holocaust-Forscher Raul Hilberg.
"Beziehungsgeflüster und Kampfgetümmel" - die "Stuttgarter Zeitung" schreibt über das Leseverhalten von Jungen: Die Pisastudie für Deutschland hat schon im Jahr 2000 ergeben, dass der männliche Nachwuchs in der Lesekompetenz weit zurückfällt. Buben stellen die Mehrzahl der Legastheniker und sagen am Ende der Grundschulzeit zu 55 Prozent, sie läsen nie zum Vergnügen, also außerhalb der Schule. Bei den Mädchen sagen das nur 29 Prozent. "Lesen gilt heute unter männlichen Jugendlichen als weibisch", haben Leseforscher herausgefunden, eine Erkenntnis, die Pädagogen wie Kinder- und Jugendbuchverlage gleichermaßen aufgeschreckt hat. Dabei ist seit langem ersichtlich, dass Jungen männliche Vorbilder fehlen, die Bücher lieben, dass all die vorlesenden Mütter, Lehrerinnen, Bibliothekarinnen auf Jungen in der Vorpubertät, der Zeit der Selbstfindung, abschreckend wirken können. Bei den meisten Buben absorbieren, oft nach dem Vorbild des Erzeugers, elektronische Medien viel Energie - neben dem Fernsehen vor allem Gameboys, Videokonsolen- und Computerspiele. Energie, die Mädchen zum Lesen aufwenden. Wer schon im Kindesalter in Sekundenschnelle in virtuellen Welten Abenteuer bestehen, Kämpfe führen und Leben vernichten kann, das weisen Hirnforscher und Psychologen nach, dessen Gehirn ist für den mühseligen Weg des Lesenlernens, des Entschlüsselns und Interpretierens von Texten häufig schon verloren. "Das ganze Deutschland" - im Nachruf von Arno Widmann in der "Frankfurter Rundschau" heißt es über Raul Hilberg: Hilberg ging es nicht ums Verurteilen - das verstand sich von selbst. Hilberg wollte begreifen. Er wollte die Untaten verstehen. Er wollte wissen, wie sie funktionierten. Seines Lehrers Franz Neumann "Behemoth", dessen - wenn man es so paradox formulieren darf - analytischer Blick aufs Ganze hatte Hilberg stark geprägt. Aber Hilberg interessierte sich nicht nur für die Tat, sondern auch für die Täter. Zu jeder Unterschrift eines jeden die Judenvernichtung befördernden Verwaltungsaktes suchte er den vollen Namen, ja das Gesicht des Unterzeichners.... Man hat Hilberg immer wieder "Kälte" vorgeworfen. Das können nur Menschen tun, die von den Erregungen des Verstandes noch niemals ergriffen wurden. Hilbergs knapper, trockener Stil ist das Gegenteil von Empfindungslosigkeit. Es ist der Stil eines Menschen, der es verabscheut, die Schilderung der Ermordung von Millionen Menschen durch geschickten Einsatz von Adjektiven aufzuheizen. Wer Hilbergs "Unerbetene Erinnerung" liest, dem wird klar, dass Hilberg ein von Hitler in die Geschichtsschreibung vertriebener Künstler war.