Publishers’ Forum 2018 in Berlin

"Die Digitalisierung hat erst begonnen"

30. April 2018
von Holger Heimann
Strategien für einen Buchhandel, der immer weniger Käufer hat: Das war neben der Diskussion um die fortschreitende Digitalisierung in der Branche das Top-Thema des Publishers' Forum in Berlin.

Eine Untersuchung des Börsenvereins hat Verleger und Buchhändler in Deutschland – und nicht nur dort – aufgeschreckt. Innerhalb von nur vier Jahren (von 2013 bis 2017) ist die Zahl der deutschen Buchkäufer um 6,4 Millionen gesunken. Was tun? Das fragt man sich seitdem landesweit in Verlagen und Buchhandlungen, in Arbeitsgruppen und auf Konferenzen. 

Das Publishers’ Forum in Berlin (26. bis 27. April) hat ausgehend von der deutschen Entwicklung europäische Trends und globale Zusammenhänge in den Blick genommen. Von Spanien oder Italien aus betrachtet erscheint die deutsche Situation immer noch luxuriös. „Viele wären froh, wenn 42 Prozent der Bevölkerung einmal pro Woche ein Buch in die Hand nehmen und lesen würden“, sagte der Niederländer Michiel Kolman vom Elsevier Verlag und Präsident der International Publishers Association (IPA) zum Auftakt des zweiten Konferenztages. Als Beruhigung wollte Kolman seinen Einwurf jedoch nicht verstanden wissen. Die Buchbranche sei aufgefordert, aktiv zu werden und Antworten auf Fragen zu finden, wie: „Haben wir das digitale Format wirklich verstanden? Nutzen wir die sich neu bietenden Möglichkeiten?“

Für die breitere, nicht nur europäische, sondern globale Perspektive war der Trend Manager Felim McGrath vom Londoner Unternehmen GlobalWebIndex, das die weltweit größte laufende Studie über den digitalen Konsumenten durchführt, zuständig. GlobalWebIndex hat herausgefunden, dass das Smartphone immer wichtiger wird (was keine überraschende Erkenntnis ist) und andere Geräte wie PCs und Tablets mehr und mehr ersetzt. Das gilt vor allem für die „Millennial Book Lovers“. Die von McGrath so bezeichnete Schlüsselgruppe für das Buchbusiness setzt sich aus Internetnutzern zwischen 21 und 34 Jahren zusammen, die angeben, dass sie zugleich großes Interesse an Büchern und am Lesen haben. Diese Gruppe verbringt mittlerweile 3 Stunden online auf ihren Smartphones (2012 waren es noch anderthalb Stunden; in Lateinamerika ist der Sprung noch größer von 2 Stunden auf fast 5 Stunden). Entscheidend für McGrath: 57 Prozent geben an, dass sie während der Zeit mit anderen Nutzern in Kontakt stehen, aber 53 Prozent geht es lediglich darum, die Zeit zu füllen, zunehmend würden Videos und Filme auf den Smartphones geschaut. McGrath leitet aus dem Nutzungsverhalten ab, dass es gute Chancen gibt, die Aufmerksamkeit zurück aufs Buch zu lenken. Überdies: Während Social-Media-Aktivitäten vor allem als Konkurrenz zum Bücherlesen betrachtet wurden und werden, sollten sie von den Verlagen zunehmend als Möglichkeit gesehen werden, um ihre Produkte zu bewerben, zu verkaufen und mehr über die Leser zu erfahren. 

Eine aktuelle Studie der Federation of European Publishers (FEP) zeigt, dass sich auch andere europäische Länder mit schrumpfenden oder stagnierenden Buchmärkten konfrontiert sehen. Rüdiger Wischenbart, Organisator des Publishers’ Forums, fasste zusammen: „Deutschland ist keine Ausnahme, nur der chinesische Markt wächst deutlich.“ Besonders hart hat es spanische Verleger und Buchhändler getroffen. Der spanische Markt hat innerhalb der vergangenen zehn Jahre fast ein Viertel seines Volumens verloren. Viele europäische Länder (hier ist Deutschland eine Ausnahme) haben mit einem kontinuierlich höheren Titelausstoß auf die sinkenden Erträge reagiert. Bücher sind obendrein teurer geworden (Media Control errechnete für Deutschland einen Anstieg von 12,46 Euro (2015) auf 13,10 Euro im Vorjahr). Insgesamt aber bleibt die Preissteigerung für Bücher im europäischen Maßstab hinter der für andere Produkte zurück, das belegen die Zahlen der Federation of European Publishers, die der Italiener Enrico Turrin in Berlin vorstellte. Immer mehr Titel auf den Markt zu bringen, hält Wischenbart für eine zweifelhafte Strategie. Denn die europäische Studie zeige auch: „Wir leben in einer The-winner-takes-it-all-economy“. 

Die Zuspitzung auf immer weniger Titel ist ein Trend, der schon länger beklagt wird. Doch auch die Spitzenreiter der Bestsellerlisten schwächeln. Deniz Ulucan von Media Control rechnete vor, dass von den Top-Ten in der Kategorie Belletristik 2016 insgesamt rund 4,4 Millionen Exemplare verkauft wurden, während es 2017 lediglich 3,3 Millionen Exemplare waren. Der Spitzenreiter 2017 „Die Geschichte der Bienen“ brachte es auf 396.000 verkaufte Exemplare; von  „Harry Potter und das verwunschene Kind“ wurden 2016 hingegen noch 915.000 Exemplare verkauft. Obschon ein einzelner starker Titel die Statistik merklich beeinflussen kann und so zuweilen aus einem wirtschaftlich schlechten ein gutes Jahr werden lässt, machen die Zahlen doch deutlich, dass die Buchbranche unter Druck ist. Wischenbart wies überdies darauf hin, dass die einzelnen Märkte zunehmend „weniger konsistent“ seien. Man müsse sich daher angewöhnen, nicht mehr den Markt insgesamt, sondern einzelne Segmente zu betrachten. Man erkennt dann zum Beispiel: Das Kinderbuch hat sich von der Abwärtsbewegung abgekoppelt und wird immer stärker nachgefragt. 

Wie aber sollen breit aufgestellte Publikumsverlage damit umgehen, dass ihnen die erwachsenen Käufer und Leser abhanden kommen? Ralf Biesemeier von readbox sieht heute viel mehr Optionen für die Verlage, die sie nutzen sollten. „Bücher sind ‚native’ E-Commerce“, auf diese Formel bracht er es; soll heißen, Bücher eigenen sich nahezu perfekt und weit besser als viele andere Produkte für den Online-Handel, weil sie sich digital „gut darstellen lassen“. Von den Verlagen verlangt Bieselmeier, dass sie mehr Energie ins B-to-C-Marketing investieren. „Es geht darum, den Leser als Kunden besser zu verstehen und eine Nachfrage zu erzeugen. Es reicht nicht mehr, ein Produkt ins Regal zu stellen und sich darauf zu verlassen, dass der Handel den Job macht.“ Dass die Verlage einiges nachzuholen haben, glaubt auch Michael Döschner-Apostolidis. „Wir müssen den digitalen Vertrieb und die Produktdarstellung verbessern“, sagte der Geschäftsführer von Holtzbrinck ePublishing und Sprecher der IG Digital im Börsenverein. Aber B-to-C-Marketing bedeute auch, maßgeschneiderte Angebote für 1000 verschiedene Zielgruppen zu kreieren und zu bewerben, könne also rasch zur Überforderung werden. Offen blieb, ob die Verlage die passenden Antworten auf die „Disruption der Kunden“ (Jens Klingelhöfer, Bookwire), mithin die großen Veränderungen bei der Mediennutzung, finden, ob sie zu langsam agieren oder durchaus im angemessenen Tempo innovative Konzepte verfolgen. Die Digitalisierung jedenfalls , so Klingelhöfer, habe gerade erst begonnen.