Reinhold Neven Du Mont im Interview

"Ich wollte aufmüpfige Bücher"

1. März 2016
von Börsenblatt
In wenigen Tagen erscheinen bei Kiepenheuer &  Witsch die verlegerischen Erinnerungen Reinhold Neven Du Monts. Wir trafen den Mann, der KiWi einst politisch machte, in seinem Haus am Ammersee zum Gespräch über damals und heute.

Wie sind Sie an dieses wunderbare Anwesen gekommen?

Das Haus habe ich vor langen Jahren von Uwe Timm und Dagmar Ploetz gekauft. Deren drei Kindern wurde es hier im abgelegenen Herrsching zu ländlich, als sie älter wurden. Die Familie zog nach München.

Und Sie zog es von Köln aufs Land?

Hergezogen bin ich erst 2007. Ich bin ja halber Bayer, habe einen Kölner Vater und eine Münchner Mutter. Während der Kriegsjahre, als in Köln Bomben fielen, bin ich mit meinen Geschwistern unter der Obhut der Mutter in Bayern aufgewachsen. Ich kann sogar den Dialekt, bin hier zur Volksschule gegangen. Da musste man Bairisch können, sonst durfte man beim Fußball nicht mitmachen.

Warum haben Sie 2001 Kiepenheuer und Witsch verkauft? Sie hätten sich ja als Verleger zurückziehen, als Eigentümer aber weiter an Bord bleiben können.

Ich brauchte irgendeine Form der Alterssicherung. Dem diente der Verkaufserlös. Die Sterne standen sehr günstig. Es gab eine Reihe von Interessenten. Am Ende blieben immerhin Random House und die Holtzbrinck-Gruppe übrig. Die meinten es beide ernst. Das ist für jemanden, der etwas zu verkaufen hat, die ideale Situation.

Die Passagen über die Verhandlungen lesen sich auch so, als hätte Ihnen hier die Erinnerung besondere Freude gemacht. Sie hatten eine hübsche Braut…

Das stimmt. Ich war nicht schüchtern, als es um die Konditionen ging. Ich hatte eine sehr hübsche Braut. Das galt nicht nur in Bezug auf die Bilanzen, die sich sehen lassen konnten. Es gab eine komplette Mannschaft, die bestens aufeinander eingespielt war. Beide Nachfolgerfragen waren geklärt. Neben Helge Malchow als Verleger stand auch Peter Roik, der mittlerweile ausgeschieden ist, als kaufmännischer Geschäftsführer bereit.

Von Alterssicherung abgesehen: Was wollten Sie für den Verlag bei dem Verkauf erreichen?

Ich wollte seine Zukunft sichern. Das gab auch letzten Endes den Ausschlag für die Holtzbrinck-Gruppe. Denn damit war klar, dass Kiepenheuer und Witsch genauso in Köln bleibe würde wie S. Fischer in Frankfurt und wie Rowohlt in Reinbek.

Die Lösung wäre mit den Herren Wechsler und Wössner von Bertelsmann, mit denen Sie parallel verhandelt haben, nicht zu machen gewesen?

Nein, die hatten vorgehabt, den Verlag unter das große Dach von Random House nach München zu holen.

An der Stelle steht in Ihrem Buch der schöne Satz "Das Hauptgericht aßen wir daraufhin schweigend".

(lacht) Ja! Das ging mir contre coeur. Ich wusste doch, welche Konsequenzen das gehabt hätte. Natürlich kann man Bücher unter dem Signet Kiepenheuer und Witsch ebenso in Köln machen wie in München wie in Berlin. Aber wenn Sie mit so einem Gebilde wie einem Verlag umziehen, dann riskieren Sie, dass zentral wichtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mitkommen können. Deshalb war mir der Standort Köln so wichtig.

Also der Menschen wegen. Denn Sie sagen rückblickend selbst, Köln sei literarische Peripherie gewesen.

Köln war absolut Peripherie. Provinz! Das hat sich allerdings in den vergangenen zwei Jahrzehnten grundlegend geändert. Wir haben lange schon ein sehr aktives Literaturhaus mit fast 700 Mitgliedern, wir haben die LitCologne. Was mir an Köln besonders gut gefällt, ist sein dichtes Netz an Buchhandlungen.

Als Sie das Literaturhaus an den Start bringen wollten, überzeugten Sie die Stadtoberen mit einem Trick. Sie hielten denen die Gefahr vor Augen, dass Düsseldorf Köln zuvorkommen könnte.

Na ja, Sie kennen Köln. Da gibt es ein Opernhaus, Städtische Bühnen, zahlreiche hochrangige Museen. Aber der Stadtverwaltung war nicht beizubringen, dass es nun auch ein Literaturhaus braucht. In solch einer Situation steigert man die Chancen, wenn man auf die simple Idee verfällt, dass Düsseldorf einem hier die Butter vom Brot nehmen könnte.

In einer Stadt, in der man so verfahren muss, gibt es da überhaupt Hoffnung auf genügend literarisches Leben?

Gute Frage. Aber wie jedes Leben muss auch das literarische Leben erst einmal hergestellt werden. Und dann muss man es am Leben halten. Von nichts kommt nichts. Sie kennen das ambivalente Verhältnis, das Heinrich Böll zu seiner Heimatstadt hatte. Er liebte die Stadt und überzog sie doch immer wieder mit Kritik. Er sah das deutliche Manko.

Hatten Sie bei Ihrem Abschied aus dem Verlag auch gemischte Gefühlte?

Na klar, die wurden vor allem durch gute Freunde stimuliert, die mich über die Jahre und Jahrzehnte nur als Verleger von Kiepenheuer und Witsch kannten. Die hatten natürlich mitbekommen, mit welchem Vergnügen ich das machte. Und nun sagten sie, pass auf, dass du nicht in ein tiefes schwarzes Melancholieloch fällst, gib dein Verlegerdasein doch nicht freiwillig auf, reduziere es doch einfach nur!

Sprach auch vieles dafür, oder?

Ja, man kann es auch so machen. Es gibt kein Rezept. Nur für mich wäre das kein gangbarer Weg gewesen. Aber natürlich gab es Momente, in denen ich an meinem eigenen Entschluss zweifelte.

Was kam, als für Sie der selbstverständlich gewordene Verlagsrahmen im Alltag wegfiel?

Ich habe in all meinen Verlegerjahren in der Nähe von Köln gewohnt, in Forsbach bei Rösrath. Jeden Morgen, den Gott werden ließ, fuhr ich um neun Uhr los, war um zwanzig nach im Verlag, hatte abends häufig noch Verpflichtungen und kam dann spät wieder nach Hause. Das war ein eingeübter Rhythmus, daran hatte ich mich gewöhnt. Und nun musste ich erst einmal dieses äußere Korsett verlassen, ich musste aus dem Haus raus, weil ich mir vorstellte, dass das schwierig geworden wäre – neun Uhr, und man fährt nicht mehr. Ja, was macht man denn dann!

In den Garten gehen?

Das hätte eben nicht funktioniert. Ich wollte ins Ausland, nach Südfrankreich, mein Französisch verbessern. Ich wollte aber auch eine deutliche Distanz legen zwischen dem Neuen und dem Alten.

Vermissten Sie das Gewohnte, die Routinen?

Nein, im Gegenteil. Ich war zwar immer der Überzeugung, dass ich meinen Idealberuf gefunden hatte. Und doch, als ich 60 wurde und das Ziel meines Abschieds schon vor Augen hatte, spürte ich den Routineteil meiner Arbeit stärker: Ach, schon wieder die Vertreter, die Messen, schon wieder nach Frankfurt ins Getümmel, dieser starke Jahresrhythmus der Branche – wissen Sie: Ich konnte es, ich konnte es wohl ein bisschen zu gut. Das Neue, das Prickelnde fehlte mir zunehmend. Routinen helfen bei vielem, aber im Verlegerberuf eher in geringem Umfang. Was bei dem Buch X richtig war, muss bei dem Buch Y überhaupt nicht richtig sein.

Gehen wir zu den Anfängen Ihrer Verlegerzeit zurück: Joseph Caspar Witsch, Ihr Schwiegervater, starb 1967. Die Erbengemeinschaft war der Ansicht, der Job als Verleger sei nichts für Sie. Wie fühlten Sie sich in der Situation?

In Frage gestellt. Ich hatte 1963 bei Kiepenheuer und Witsch angefangen. Witsch hatte mich in den Verlag geholt. Nur – als ich dann vor der Tür stand, wusste er nicht, was er mit mir machen soll. Da hat er mich in eine kleine Kammer unters Dach gesetzt und mit Aufgaben betraut, die eigentlich nicht lösbar waren. Ich empfand meine Lage als ambivalent. Auf der einen Seite war ich mir der Chance bewusst, von ihm viel lernen zu können. Auf der anderen Seite habe ich unter diesem Patriarchen auch gelitten. Mir war klar: Solange er an der Spitze ist, kann aus mir nichts werden.

Sie haben, als Sie in Verantwortung kamen, ein anderes Modell der Führung etabliert: Partizipation und Teamspiel. Ihr Gegenentwurf zur Ära Witsch?

Ja. Und das war goldrichtig. Von meinem Naturell, meinen literarischen Interessen und auch meiner politischen Ausrichtung her war ich vollkommen anders gestrickt als Witsch. Eines der ersten Bücher, das ich machte, waren die "13 unerwünschten Reportagen" von Günter Wallraff. Genau so etwas wollte ich, es wäre unter meinem Vorgänger undenkbar gewesen.

Worauf genau zielten Sie mit Büchern wie denen von Wallraff ab?

Mein Start als Verleger fiel in die Zeit der Studentenrevolte. Die Umstände empfand ich als glücklich. Das Gefühl war ein anderes als zehn Jahre zuvor in der bleiernen Adenauer-Ära, wo sich das Nachkriegsdeutschland schon wieder etabliert hatte. Mit der Studentenrevolte wurden die Fenster aufgerissen, um Frischluft nicht nur in die Hörsäle der Universitäten, sondern eben auch in die Theater und die Verlagshäuser zu lassen. Das gelang unterschiedlich gut. Die alten Herren – ob es der alte Piper war, der alte Hanser oder andere – haben an den Gepflogenheiten festgehalten. Ich wollte etwas Neues. Ich wollte das Spannende, denn ich stand selber unter Spannung. Deshalb habe ich in jenen Jahren nicht nur Wallraff, sondern eine ganze Reihe aufmüpfiger Bücher gemacht.

Sind solche verlegerischen Ambitionen heute noch der Normalfall?

Nicht mehr in der Deutlichkeit. Meine Ausgangssituation in den späten Sechzigern war allerdings eine ganz andere. Zwar stand damals wie heute ein Verlag vor der Aufgabe, seine Bücher zu verkaufen. Aber das war nicht das Entscheidende. Sondern es lief umgekehrt: Man suchte nach brisanten Themen. Für die brisanten Themen suchte man dann den kompetenten Autor. Und wenn das Buch zum richtigen Zeitpunkt kam, war man fest davon überzeugt, dass es sich auch verkauft.

Was ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten passiert, dass dieses Vertrauen auf Qualität und Relevanz vielleicht erschüttert wurde?

Ich weiß es nicht. Aber aus der Perspektive eines Beobachters frage ich mich auch: Woran liegt die Zögerlichkeit heute, vielleicht sogar die Ängstlichkeit? Woher kommt die Dominanz des merkantilen, auf die Verkaufszahlen gerichteten Interesses? Ein Unterschied zwischen damals und heute ist, dass es in den siebziger Jahren Nachholbedarf inhaltlicher Art gab, sowohl im Sachbuch als auch im literarischen Bereich. Nehmen Sie die "Hundert Jahre Einsamkeit" von García Márquez: Dieses Buch schlug ein wie eine Bombe. Der Kolumbianer García Márquez bedeutete –neben der Begeisterung für seine meisterhafte Erzählkunst – auch die Entdeckung eines weißen Fleckens auf der literarischen Landkarte. Mittel- und südamerikanische Literatur war noch unerforschtes Gelände.

Solche Entdeckungsmöglichkeiten haben Sie heute kaum noch…

Nein. Autoren kann man immer noch entdecken, aber eben nicht mehr gleich einen ganzen Subkontinent. Die Welt ist so gesehen kleiner geworden. Ich frage mich manchmal, wie es einer ambitionierten Lektorin oder einem Lektor heute damit geht?

Wird Entdeckerfreude heute auch durch die diversen Bedrohungen gedämpft, mit denen die Branche sich zu befassen hat: mit einer Krise der VG Wort, dem Urhebervertragsrecht, Amazon, stagnierenden Märkten, und dergleichen mehr?

Das mag sein. Bedrohungen gab es allerdings schon in früheren Jahrzehnten. Mal waren es die Raubdrucke, dann war es die Gefährdung der Buchpreisbindung. Es gab immer beunruhigende Tendenzen, zumindest beunruhigte Stimmen. Aber dem stand auch etwas gegenüber: nämlich ein inhaltliches Wollen.

Fehlt das heute?

Das ist meine Befürchtung. Wenn wir uns in den Siebzigern in Lektorenkreisen trafen, dachten wir, wir könnten die Welt verbessern, wir könnten auf Ungerechtigkeiten und skandalöse Verhältnisse aufmerksam machen. Man muss natürlich dazusagen, dass das Spektrum, in dem wir uns umgesehen haben, damals im Wesentlichen die Bundesrepublik war. Heute kommen die beunruhigenden Nachrichten beinahe täglich aus allen Ecken der Welt. In dem kleineren Zirkel konnte sich eher das Gefühl einstellen, mit Büchern etwas zu bewirken.

In Ihren Erinnerungen schreiben Sie von Gesprächen, in denen Sie immer mal Rat suchten. Ihr älterer Bruder Alfred gehörte offenbar nicht zu den Menschen, mit denen Sie sich besprachen. Warum nicht?

Wir waren zwar leibliche Brüder, aber doch in vielem sehr unterschiedlich. Für mich wäre es nie eine Option gewesen, zum Beispiel unter Alfred Neven Chefredakteur des Stadt-Anzeigers zu werden. Ich hatte ein sicheres Gefühl, dass es gut ist, wenn wir uns auf getrennten Feldern tummeln. Wir waren uns durchaus auch nah, aber diese Form der Unabhängigkeit war mir wichtig. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Alfred, viele Jahre, nachdem ich Kiepenheuer und Witsch gekauft hatte, da sagte ich ihm: "Du, wir haben gerade zwei neue Leute eingestellt und sind jetzt bei 40 Mitarbeitern." Da guckte er mich ganz erstaunt an und sagte: "Weißt du, wie viele bei mir arbeiten? 1900!" 40 Mitarbeiter – das war für ihn eine so kleine Einheit, dass er sie gar nicht wahrnehmen konnte oder wollte.

Als es dann ums Verkaufen des Verlages ging, kam aber überraschend auch ein Angebot Ihres Bruders. Ein viel zu niedriges, wie Sie schreiben.

Ja, das war einfach zu wenig. Da staunte er und sagte: "Was! So viel ist Kiepenheuer und Witsch wert!" In dem Moment stieg ich in seiner Achtung. Das hat ihm imponiert.

Die Bücher, die Sie gemacht haben, imponierten ihm nicht?

Doch, die auch. Er hat Bücher gelesen und natürlich das ein oder andere von mir bekommen. Dann gab es immer ein Feedback. Er war schon literarisch interessiert.

Alles, was Sie in Ihrem Buch berichten, mussten Sie aus Ihrer Erinnerung holen. Denn das Historische Archiv in Köln, wo Ihre gesamte Korrespondenz, die Protokolle, die Verlagsverträge lagen, war ja 2009 eingestürzt. Hätten Sie ohne jene Katastrophe ein anderes Buch geschrieben?

Ich weiß es nicht. Sie stellen eine hypothetische Frage. Unmittelbar nach dem Einsturz dachte ich jedenfalls: Jetzt ist ein solches Erinnerungsbuch ein für alle Mal unmöglich geworden. Es war schon eine seltsame Ausgangssituation, als ich dann doch noch einmal gedrängt wurde von Helge Malchow. Ich musste mich nun auf mein Gedächtnis verlassen, abgesehen vom Internet, wo auch manches recherchiert werden konnte. Und unser Gedächtnis ist bekanntlich trügerisch…

…es schreibt Geschichten weiter, vielleicht auch um.

Erst einmal war natürlich vieles verdeckt oder überlagert, so wie das mit Erinnerungen ist. Manche Details mussten wieder gehoben werden, das war ein mühsamer Prozess, auch nicht immer angenehm. Aber ich habe mich auf das Abenteuer eingelassen und stehe jetzt zu dieser Subjektivität.

Reinhold Neven Du Mont (79), promovierter Soziologe, übernahm 1969 im Alter von 33 Jahren den Verlag Kiepenheuer & Witsch als damals jüngster Buchverleger der Bundesrepublik. Er führte das Kölner Haus 32 Jahre lang.