Seemann Henschel

"Wir wollten einfach nicht hier weg"

27. März 2013
von Nils Kahlefendt
Sie halten der Buchstadt Leipzig die Treue, pflegen aber ein bundesweites Netzwerk: Seit zehn Jahren führen Bernd Kolf und Jürgen A. Bach die Verlagsgruppe Seemann Henschel durch die Untiefen des Marktes. Ein Interview über E-Books, Kooperationen und das Geheimnis einer guten Geschäftsbeziehung.

Herr Bach, überall spricht man von Synergien - auch wenn gerade wieder mal Zeitungsredaktionen zusammengespart werden. Was bedeutet das Wort aus Sicht einer kleinen Verlagsgruppe?

Bach: Je überschaubarer das Konglomerat, desto wichtiger ist es, die Kapazitäten zu bündeln. Das kann man "Synergie" nennen, aber auch einfach: effektiv wirtschaften. Habe ich vier Verlage, dann braucht nicht jeder einen Herstellungsleiter oder eine Pressestelle. Das sind Effekte, die wir erzielt haben - auch, als wir vor einigen Jahren Henschel aus Berlin nach Leipzig geholt haben.

Sie haben auch den Vertrieb umgebaut...

Bach: Seit 2003 hat sich die Situation im Handel unglaublich zugespitzt. Unsere Vertreter sind weniger und weniger zu den Filialisten durchgedrungen, es wurde zunehmend selektiv eingekauft. Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir mit unseren Vertriebsstrukturen bei den Großen nicht landen konnten. Um da wieder eine Chance zu haben, brauchte es eine Grundorganisation, die es ermöglicht, die Programme aus unterschiedlichen kleineren Verlagen in einer kundigen Hand zusammenzufassen und zu präsentieren. Das war die Entscheidung für Artfolio, wo wir gewisser Maßen ein Gründungsmitglied sind. Heute sind das zehn Verlage aus dem Kunst- und Kulturbereich, die - wenn die Programme stimmen - auch bei den Großen wieder wahrgenommen werden. Beispielgebend war der Esoterik-Zusammenschluss Aurora. Das bedingt natürlich, dass alle Verlage eine gemeinsame Auslieferung haben - in unserem Fall ist das LKG.

Sie hätten Seemann Henschel auch in Berlin konzentrieren können, wo Henschel ja 2003 schon saß. Warum Leipzig?

Bach: Wir wollten einfach nicht hier weg! Es ist ja bemerkenswert, wenn wir mit unseren zwei Milliönchen in dieser ehemals blühenden Verlagshauptstadt nach einem Stuttgarter Schulbuchverlag die Nummer Zwei sind! Schön für uns. Aber das heißt ja auch, dass hier eine Tradition abgebrochen ist. Es spielt also auch eine gewisse Emotionalität mit hinein. Wir haben ja gesehen, mit welchem Herzblut hier Verlage gemacht wurden, wie um sie gekämpft wurde. Manchmal auch vergeblich...

Emotionen sind wichtig, letztlich muss aber die Rechnung aufgehen - Sie sind Kaufleute.

Bach: Richtig. Wenn es so wäre, dass ein Verbleiben in Leipzig ein Nachteil wäre, dann könnte man's nicht machen. Aber es ist absolut keiner. Im Gegenteil: Es ist hier bedeutend leichter, guten Nachwuchs zu finden, als in vielen anderen Städten der Republik. Auch aus diesem "Nachwuchstopf" leben wir hier.

Sie haben hin und wieder die Standortpolitik der Kommune kritisch hinterfragt. Könnte man mehr für Verlage tun? 

Bach: Ich bin ja schon lange in der Branche unterwegs und kenne viele Städte - es war nirgendwo so, dass die Politik rudelweise vor der Tür stand und fragte: Wie können wir euch helfen? Das Hemd ist überall kurz: Wenn ich's nach oben ziehe, friert es mich an anderer Stelle. Verlage müssen sich selber beweisen. Das ist uns gelungen.

Wie haben Sie die Programme Ihrer Gruppe für den schwierigen Markt der Gegenwart fit gemacht? Ein Buch über die Garderobe von Michael Jackson hätte es vor zehn Jahren bei Henschel wohl noch nicht gegeben?

Bach: Es ging vor allem darum, die Programmstrukturen auf ihre Zukunftstauglichkeit hin zu prüfen. Wir haben gesehen, dass eigentlich alle vier Programme, wenn Sie so wollen, ihren Sitz im Leben haben - dass es möglich ist, sie zu pflegen, und damit den guten Ruf der Häuser in die Zukunft zu führen. Dazu haben wir neu auf- und angebaut: Wir haben zum Beispiel im Kunstbereich mit den kleinen Memos einen schönen Erfolg erreicht. Es ist uns gelungen, das Bild, das wir von der Kunst haben, in ein neues Marktsegment zu transportieren. Bei Henschel ist es uns durch die Ausbildungsliteratur gelungen  - mit inzwischen 54 lieferbaren Titeln haben wir da sogar eine gewisse Marktführerschaft erreicht.

Momentan reden alle über E-Books. Sie auch?

Bach: Wir haben die ersten im Angebot. Was uns mittelfristig vorschwebt, ist die Erweiterung in Richtung enhanced E-Book. Wir wollen unsere Opern-Werkeinführung, die wir mit Bärenreiter zusammen machen, mit Bild und Ton anreichern. Aber die Entwicklung des Markts, der technischen Möglichkeiten und der Rechte-Situation ist - um es vorsichtig zu sagen - komplex. Unsere Partnerschaft mit Bärenreiter gibt uns die Möglichkeit, Erfahrungen hinsichtlich der Rechte im Tonträgerbereich zu gewinnen. Auch im Bildrechte-Bereich steckt das Teufelchen im Detail. Dazu gibt es in Leipzig IT-Entwickler, die ganz vorn mit dabei sind. Man muss das gut durchplanen. Das Problem, momentan, ist ja ganz banal: Wann sehe ich mein Geld wieder?

Kooperationen helfen, auch hier?

Bach: Wir müssen zusammen arbeiten, um etwas Neues zu schaffen. Ein simples Taschenbuch ins E-Book zu transformieren, ist kein Problem. Aber ein sehr aufwändig gemachtes neues Produkt, das es als Buch noch gar nicht gibt -  das ist komplex. Und da sehe ich die absolute Notwendigkeit, das mit Partnern zu stemmen.

Der Kunstbuchmarkt ist schwieriger geworden. Wie gehen Sie damit um?

Bach: Wie es in der Barock-Dichtung heißt: Sei dennoch unverzagt / Gib dennoch unverloren... Wir bewerben uns natürlich auch nach wie vor um Kataloge, es bleibt ein wichtiger Bereich. Und ein Teil unseres Images: Ein Verlag zu sein, der gute und schöne Kataloge macht - die immer rechtzeitig erscheinen (lacht). Das will etwas heißen bei der Situation der Manuskriptabgabe... Aber Sie haben recht: Kommission ist inzwischen fast die Regel; das ökonomische Risiko ist zu allergrößten Teilen auf die Verlagsseite gekommen.

Also: lieber ein kleineres Rad drehen?

Bach: Man muss vorsichtig sein. Oft ist es so, dass nach Ende der Ausstellung der Fokus aufs Buch verloren geht. Andererseits: Nirgends kommt so viel Zielgruppe konzis zusammen wie in einer Ausstellung. Man muss also abwägen.

Die Zusammenarbeit mit Institutionen wird - nicht nur in der Kunst - immer wichtiger. Dabei beschränken Sie sich nicht nur auf Ihre angestammten Claims in Mitteldeutschland...

Bach: Henschel ist im Theaterbereich eine Größe. Bernd Kolf ist ein guter Netzwerker, unsere Programmleiterin sitzt in Frankfurt. Wir sind regional nicht eingegrenzt. Wir sitzen in Leipzig, haben aber gute Beziehungen nach Hamburg, Berlin, München, nach Stuttgart, in die Tanzszene dort.

Wo sehen Sie die Verlagsgruppe in 10 Jahren? Denken Sie über weitere Zukäufe nach?

Bach: Es ist ja nicht so, dass unsere Schubladen vor lauter Kapital nicht zugehen. Aber wir haben immer über den eigenen Tellerrand hinausgeschaut. Wir gehen in die Küche, wo es unter den Töpfen brodelt - und es ist überall Wasser, was da kocht. Jeder weiß von jedem - ich habe da keine Berührungsängste. Auf der anderen Seite: Wir haben vor Jahren ja mal den Versuch gemacht, ein paar Kunstverlage noch nach Leipzig zu bringen, das ist aus mancherlei Gründen nicht gelungen. Aber ich könnte es mir jetzt, da wir uns stabilisiert haben, immer noch vorstellen. Sei es im Buch-Bereich, sei es mit enhanced E-Books... In zehn Jahren wäre das allerdings schon eine Frage für die nächste Generation.

Wie funktioniert die Rollenverteilung in der Doppelspitze mit Bernd Kolf?

Bach: Wir kennen uns schon seit vielen Jahren, haben immer in ähnlicher Konstellation zusammengearbeitet: Er ist in Programm und Herstellung zu Hause, ich dann in den anderen Bereichen. Unser Unternehmen ist klein genug, dass es diese Aufteilung erträgt - aber nicht groß genug, um sich nicht gegenseitig abzustimmen. Die großen Entscheidungen treffen wir gemeinsam.

Und wenn es mal knirscht?

Bach: Wir haben in den Jahren - ich trau mich fast nicht, es zu sagen - keine Konflikte gehabt. Jeder weiß vom anderen: Hier ist Ende Gelände. Ohne das auszutesten.

Klingt beinahe wie in einer guten Ehe...

Bach (lacht): Ich glaube nicht, dass eine Ehe so stressfrei funktioniert wie unsere Beziehung.

 

Die Verlagsgruppe Seemann Henschel

Zum April 2003 haben Bernd Kolf und Jürgen A. Bach, schon bei Dornier gute Teamplayer, die drei Verlage E.A. Seemann, Henschel und Edition Leipzig von der Dornier-Gruppe übernommen. 2004 holten sie auch Koehler & Amelang an den Gründungsort zurück. Hier, in Leipzig, ist die Seemann Henschel Gruppe heute mit zehn Mitarbeitern, rund 80 Novitäten pro Jahr und einem Umsatz von etwa zwei Millionen das größte Verlagsunternehmen nach Klett.