Serie: 190 Jahre Börsenverein in 19 Objekten (16/19)

London, Riga, Istanbul – Firmenakten vor 1945

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Rund 25.000 Firmenakten über Mitglieder schlummern im Staatsarchiv Leipzig. Hinter den Aktendeckeln verbergen sich oft bewegende Schicksale, wie Fachreferentin Dr. Thekla Kluttig, Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, im 16. Teil unserer Serie illustriert.

Am 23. Oktober 1937 schrieb der in der vorigen Folge unserer Serie vorgestellte, nach London emigrierte Antiquar Martin Breslauer an den Börsenverein in Leipzig, er "beehre [sich] mitzuteilen, dass ich mein Geschäft von Berlin, Französische Strasse 46, nach 43, Bedford Court Mansion, Bedford Avenue, London" verlegt habe. Er gehöre dem Börsenverein seit 1898 an und "habe den Wunsch, dem Börsenverein auch hier als auslandsdeutscher Buchhändler fernerhin anzugehören". Die Geschäftsstelle bat den Vorsteher, Wilhelm Baur, um Entscheidung und formulierte vorsichtig: [Anton] Hiersemann meinte, man solle Breslauer mit Rücksicht auf seine langjährige Zugehörigkeit, „insbesondere aber mit Rücksicht auf die Eigenart seines Geschäftsbetriebes, die Mitgliedschaft im Börsenverein belassen". Baur reagierte unmissverständlich: "Durch seine Auswanderung hat Breslauer, rein rechtlich gesehen, seine Mitgliedschaft bei der Kammer und auch beim Börsenverein verloren. [...] Wir müssen froh sein, wenn wir endlich unsere Mitgliederliste auf einfache Art und Weise von Juden bereinigen".

Dieser Briefwechsel ist erhalten in der zu Breslauer angelegten Akte des Börsenvereins - einer von etwa 25.000 Firmenakten im Bestand 21765 Börsenverein der deutschen Buchhändler zu Leipzig (I) im Sächsischen Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig. Die Akten wurden zu allen buchhändlerischen Firmen geführt, die mit dem Börsenverein als Mitglied oder durch Aufnahme ins "Adressbuch des Deutschen Buchhandels" in Verbindung standen. Ihr zeitlicher Schwerpunkt liegt auf den Jahren zwischen 1937 und 1949. Sie dokumentieren damit eine auch für den Buchhandel schwierige und bewegte Zeit für den gesamten deutschsprachigen Raum - und darüber hinaus: London, Riga und Istanbul stehen hier stellvertretend für zahllose Orte außerhalb Deutschlands, in denen Börsenvereinsmitglieder ihren Sitz hatten.

Ende 2013 konnte das Staatsarchiv Leipzig dank der Unterstützung der Horst Kliemann Stiftung für Geschichte des Buchwesens ein Projekt zur Verzeichnung der zuvor noch nicht elektronisch erfassten Akten beginnen. Mehrere tausend Mitgliedsakten können bereits elektronisch recherchiert werden - die gezielte Suche nach einer Buchhandlung oder einem Verlag ist ebenso möglich wie die Abfrage nach den buchhändlerischen Firmen an einem bestimmten Ort.

Weitere Informationen zum Projekt und das online-Findbuch.

 

Dr. Thekla Kluttig, Sächsisches Staatsarchiv Leipzig