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»Ketten wirken preisagressiv«

7. Februar 2008
von Börsenblatt
Vor allem die Großbuchhändler nutzen die Preisgestaltung in jüngster Zeit vermehrt als Marketinginstrument – zum Nutzen oder zum Schaden der Branche? Die Meinungen darüber sind geteilt. Ein Interview mit dem Marketingprofessor Hermann Diller von der Universität Erlangen-Nürnberg. Mehr zum Thema in der aktuellen Ausgabe des BÖRSENBLATTS.
Die Filialisten bewerben ihre Bücher zunehmend preisaggressiv. Welche Auswirkungen hat das auf das Preisempfinden der Kunden? Diller: Da müssen Sie jetzt sehr tapfer sein. Sie argumentieren wahrscheinlich aus der Sicht der Buchhändler, die bei solchen Angeboten nicht mithalten können, ich argumentiere aus Sicht des Preiswissenschaftlers. Die preisaggressive Werbung hat so gut wie keine Auswirkungen auf das Preisempfinden. Durch die Sonderangebotshysterie ist die Schnäppchenorientierung heutzutage sehr weit verbreitet. Die Verbraucher sind wesentlich preisorientierter als früher und suchen auch im Buchhandel nach günstigen Gelegenheiten. Das tun sie allerdings nur deswegen, weil die Buchhändler damit begonnen haben, Preisaktionen vorzunehmen und für billige Bücher zu werben. Dadurch sind die Konsumenten auf den Geschmack gekommen – teilweise sogar ganz gewaltig. Die drastischen Preisabschläge führen bei den Kunden zu einem Preiserlebnis. Das sorgt für einen bleibenden emotionalen Eindruck. Man freut sich und merkt sich unbewusst, wo man das Schnäppchen machen konnte. Das hat kundenbindende Wirkung. Der Kunde muss nicht 20 oder 30 Euro für ein schönes und gutes Buch ausgeben, sondern bekommt auch eines für acht oder neun Euro. Relevant ist das vor allem für diejenigen, die nicht gezielt nach einem Titel schauen, sondern etwas zum Lesen suchen, stöbern und fündig werden. Ebenso für diejenigen, die etwas Billiges verschenken möchten, das aber wertvoll aussieht. Davon profitieren besonders die großen Ketten. Denn sie haben von der Außenansicht her den Charakter eines Fachmarkts. Ihr Auftritt ist der eines aggressiven Anbieters; das verbindet sich in den Köpfen der Verbraucher mit der Annahme, dass Bücher hier billiger sein könnten. Was können die kleineren Buchhandlungen dem entgegensetzen? Diller: Sie sind angehalten, diese Preispolitik mitzugehen. Tun sie das nicht, verschlechtern sie ihr Image und stehen als teure Apotheke da. Die kleineren Buchhändler sollten auch versuchen – wie die großen es tun – eine Erlebniswelt Buch zu schaffen. In dieser Welt macht es den Menschen Spaß, sich zu bewegen und es wird ziemlich viel impulsiv gekauft. Das ist eine große Chance. Gerät das Preisgefüge durch die billige MA-Titel oder Mängelexemplare ins Wanken, vor allem dann, wenn es sich um ziemlich aktuelle Bücher handelt? Diller: Ich glaube nicht. Die Konsumenten haben keine Preishistorie der Bücher abgespeichert. Das Buch erscheint nicht weniger wert und dass sein Qualitätsimage darunter leidet, halte ich für abwegig. Es ist typisch für Märkte, dass am Ende etwas übrig bleibt und billiger verkauft wird. Das wissen die Konsumenten und damit leben sie. Erst durch die Preisgefälle segmentiert sich die Käuferschaft. Das muss man auch einmal positiv sehen. Es gelingt, Konsumenten an Bücher heranzuführen, die ansonsten an der Preishürde scheitern würden. Wenn sie zunächst günstige Bücher kaufen und dann vielleicht auch einmal teure, hat man neue Kundengruppen gewonnen. Welche Rolle spielen die Preisschwellen? Diller: Sie sind sehr wichtig. Allerdings nicht bei jedem Euro, sondern vor allem bei runden Zehnerbeträgen, im unteren Bereich auch nochmals bei fünf Euro. 19,90 Euro etwa ist ein Preis, der deutlich mehr Absatz erzeugt als 20,50 Euro. Aus verschiedenen Gründen ist dort eine höhere Stimulanz vorhanden. Grundsätzlich hängt das damit zusammen, dass wir unsere Preisskala im Kopf nicht so genau ausdifferenzieren wie die metrische Geldskala dies macht. Wir entscheiden beim Buchkauf nicht nach Cent, sondern mit einem viel gröberen Raster. Wir stufen Preise als sehr billig, billig, mittel, teuer, sehr teuer ein. Das ist unsere Metrik. Zwischen den einzelnen Beurteilungskategorien liegen die Preisschwellen. Eine Rolle spielt auch, dass wir der Suggestion der Ziffern unterliegen. Bei 19,90 Euro steht eine 1 davor. Sie signalisiert, dass wir uns im Zehnerbereich bewegen. Und gebrochene Preise sehen nach knallharter Kalkulation aus. Das allerdings ist eher eine werbepolitische Gestaltung. Die Verlage schieben dem Handel gerne mal den schwarzen Peter zu und argumentieren, dass man Bücher auch teurer verkaufen und die Preisschwellen höher ansetzen könnte … Diller: Da muss man dem Handel mehr Marktwissen zugestehen als den Verlegern. Die wissen ja nicht, wie viele Kunden den Laden wieder verlassen, weil sie nichts Adäquates gefunden haben. Ich glaube, dass die Buchhändler in diesem Punkt das bessere Feeling haben. Aber oft scheuen sich die Buchhändler doch davor, teure Bücher zu verkaufen … Diller: Das stimmt, weil sie schwerer zu verkaufen sind und damit mehr Arbeit machen. Man muss die Kunden mit Argumenten überzeugen. Der Kaufwiderstand, der bei höheren Preisen auftritt, muss zuerst einmal überwunden werden. Sind Bücher in Deutschland zu billig oder zu teuer? Diller: Das kommt ganz auf die Perspektive an. Wenn man die Entwicklung über Jahrzehnte sieht, zeigt sich, dass sich der Buchmarkt geschichtet und auf die Preisdifferenzen eingestellt hat. Ich glaube, das ist nicht schlecht. Ob man sehr viel mehr absetzen könnte, wenn man Bücher noch billiger macht, wage ich zu bezweifeln. Es könnte aber sein, dass der Absatz zurückgeht, wenn sie deutlich teuer würden. Das Risiko nach oben schätze ich größer ein als das Potenzial nach unten. Man muss sagen, dass auch die Buchpreise durch die Euro-Einführung Luft nach oben bekommen haben. Die Preise haben sich fast halbiert. Kunden kaufen spontan mal ein Buch für 19,90 Euro, das sie vielleicht für 40 Mark nicht gekauft hätten. Da wirkt noch die Kraft der Zahlen.