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Kaufpreise, Aktionen und Lob: AkS und LG Buch tagen in Mannheim

27. Juni 2015
von Börsenblatt
206 Teilnehmer, davon 105 Buchhändler kamen nach Mannheim zur gemeinsamen Tagung des Arbeitskreises unabhängiger Sortimenter AkS und der LG Buch. Am heutigen Samstag ging es unter anderem um Best-Practise-Beispiele, elektronische Vorschauen und Anregungen des Philosophen Peter Sloterdijk.

Best-Practise 1: Eulenspiegel in Hochheim

„Zu unseren beliebtesten Tagesordnungspunkten gehören die Best-Practise-Beispiele“, führte AkS-Sprecherin Irene Nehen die beeindruckenden Demonstrationen buchhändlerischer Aktivitäten. Den Anfang machte die Buchhandlung Eulenspiegel (125 Quadratmeter) in Hochheim am Main. Eulenspiegel hat eine breite Veranstaltungspalette, kooperiert mit anderen Einzelhändlern, veranstaltet Lesungen in der Buchhandlung und außerhalb. Regelmäßig trifft sich der Eulenspieglclub: Die Kinder bekommen die Leseexemplare, lesen, treffen sich, sprechen darüber und fahren als Höhepunkt im Jahreskreislauf zur Frankfurter Buchmesse. Nebenbei: „Sie schreiben für die Kundenzeitschrift „Bücherbox“ Rezensionen, was sie besonders stolz macht“, hob Mitinhaberin Annemarie Schneider hervor. „Bei uns bieten wir vor allem Bücher, hinter denen wir mit ganzer Überzeugung stehen; deshalb haben wir auch keine E-Reader, keine Sportbücher und kaum Fantasy.“ Drei Mal jährlich verschickt die Buchhandlung die „Eulenspiegelpost“ an Interessierte und Kunden, als individuellen Service offeriert sie eigene Gutscheine: „Wir haben das Glück, das die Illustratorin Hildegard Müller in der Nachbarschaft wohnt, die uns unsere Gutscheine wunderschön gestaltet“.

Jutta Bummel berichtete von vielfältigen Projekten im Kinder- und Jugendbuchbereich. Bei der Lesenacht übernachten Kinder in der Buchhandlung – „um Mitternacht kam die Polizei vorbei und die Kinder durften Sicherheitswesten und Handschellen ausprobieren; morgens durften sie beim Bäcker aus vorbereitetem Teig Brötchen drehen, die dann gebacken wurden“ – man kann sich die Begeisterung der Kinder, die Bummel auf der Leinwand zeigte, lebhaft vorstellen. Eulenspiegel bietet Bücherkisten für Kinder, die mit alten Vorschauen beklebt werden, Kindergartenausstellungen, Aktionen an der Gesamtschule mit hohem Migrantenanteil. Bummel trieb jedoch die Frage um: „Wie erreichen wir die, die nicht vom Elternhaus mit Lesen in Berührung kommen?“ und rief einen Verein Leseförderkreis Hochheim ins Leben, der Projekte stemmt und deren Vorsitzende Jutta Bummel ist. Einmal jährlich findet ein Lesefestival statt: „Hochheim liest“, das so gut wie alle Kinder in der Stadt erreicht: Rund 5000 Kinder und Jugendliche haben an den Aktionen teilgenommen; dabei sind auch alle Schulen der Stadt. Zum fünften Mal findet 2015 die Wahl des Hochheimer Lieblingsbilderbuchs statt, den der Nachwuchs aus den Kindergärten der Stadt auswählt: „Die Kinder nehmen diese Wahl sehr ernst, sie lernen in jedem Jahr sechs Bilderbücherbücher kennen.“ Bummels Fazit zu ihren vielfältigen Aktivitäten: „Wir lernen uns immer besser kennen in der Stadt, vernetzen uns immer mehr.“ „Das geht in kleineren Städten immer besser als in großen“, warb Irene Nehen bei den Sortimentern im Saal, derlei Ideen aufzugreifen und nachzumachen.

 

Best-Practise 2: Übernahme der Buchhandlung am Obertor in Radolfzell

Sabine Schlag, die ihr Praktikum bereits in der Buchhandlung am Oberntor (160 Quadratmeter Verkaufsfläche) gemacht hat, ist seit vergangenem Jahr deren Inhaberin und berichtete von der Übernahme – erste Schritte zum Kauf, Veränderungen in den Räumlichkeiten und im Angebot, Renovierung und mehr.Sie hat Altes versucht zu bewahren, aber ihren neuen Stil mit in das Geschäft gebracht. Viele Anregungen gab Schlag auch bei der Einrichtung vom Geschenkpapierangebot am früheren Abholregal über ein neues Logo bis zum Entfernen von Büchern im Bodenbereich, auch die Sitzbank am Ofen ist nun wieder als Sitzmöglichkeit freigeräumt. „Die Kunden hatten anfangs gedacht, ich hätte den Laden vergrößert.“ Der Übergang scheint gelungen: „Ich bekomme viel Lob, und das motiviert uns ungemein“, sagt Schlag, die sich in regelmäßigen Mitarbeitersitzungen mit den Mitarbeiterinnen austauscht.

Best-Practise 3: Übernahme der Buchhandlung Jost in Bonn

Ein zweites Standbein schafft immer Sicherheit“, sagt Veit Hoffmann von der gleichnamigen Buchhandlung in Achim, „und es gibt viele gute Buchhandlungen, die zum Verkauf stehen, aber nicht unbedingt um die Ecke liegen“. In der nächsten Nachbarschaft im Umkreis von 25 Kilometer hat sich erstmal nichts gefunden, weswegen er und seine Frau Iris Hunscheid den Radius erweiterten. „Sie brauchen Verhandlungsgeschick, eine gesicherte Finanzierung, Führungsqualitäten sind ganz wichtig, Sie brauchen jemanden im Unternehmen der Interesse an Buchhaltung und Büroarbeit hat, da fällt ordentlich Arbeit an – und einen guten Steuerberater“, führte Hoffmann aus und erläuterte anhand der Übernahme der Buchhandlung Jost in Bonn die einzelnen Schritte, die beim Kauf relevant sind. „Wie auch immer Sie die Bewertung einer Buchhandlung vornehmen, der Kaufpreis sollte nicht über 15 bis 18 Prozent des Jahresumsatzes liegen!“, gab Hoffmann zu bedenken.

Best-Practise 4: Herr Holgersson in Gau-Algesheim

Seit einem Jahr existiert die Buchhandlung (120 Quadratmeter) von Elisabeth Windfelder und Jasmin Marschall am Marktplatz im rheinhessischen Gau-Algesheim (7000 Einwohner). „Wir haben die Gründung ohne Betriebsberater gemacht, waren zu allen möglichen Tageszeiten im Ort, haben uns den anderen Einzelhandel betrachtet, geprüft und entschieden: Wir gründen hier eine Buchhandlung!“ Sie seien sehr gut aufgenommen worden im Ort, berichtet Marschall, die Einwohner freuten sich, dass es nun eine Buchhandlung gebe. „Regelmäßig besuchen uns ältere Bürger, fragen „Mädscher, wie geht’s Euch dann?‘ und plaudern, wir haben Schulen und andere Institutionen aufgesucht“. Ein Mietpreis von 8,30 Euro pro Quadratmeter sei im benachbarten Mainz etwa unvorstellbar – „das sind die Vorteile der Kleinstadt“, sagt Windfelder. Insbesondere im Internet und auf Facebook sind die beiden Inhaberinnen aktiv, die Seite habe Traffic. Ihre Buchhandlung hat ein besonderes Konzept: Sie ist wie eine Wohnung eingerichtet, im Wohnzimmer Belletristik und Hörbuch, in der Küchenzeile Kochbücher, in der Arbeitsecke Biografien und Berufliches, im Kinderzimmer Literatur für den Nachwuchs usw.

 

Elektronische Vorschauen

Iris Hunscheid von der Buchhandlungen Hoffmann in Achim und Jost in Bonn stellte die Möglichkeiten vor, die elektronische Vorschauen im VLB TIX bieten. Unter der alphabetischen Verlagsliste kann die Buchhandlung unter „Meine Verlage“ die bevorzugten Handelspartner eingeben und beispielsweise prüfen, welche Taschenbuchnovitäten unter 10 Euro bei diesen Verlagen offeriert werden. Bei den sogenannten Referenztiteln hatte Hunscheid weitere Wünsche: „Da muss es die Möglichkeit geben, dass der Sortimenter durch eine Verknüpfung mit der Warenwirtschaft sehen kann, wie viele Exemplare die Buchhandlung vom Vorgängertitel verkauft hat.“ Bei Bedarf kann der Sortimenter nach Vertretertaschen sortiert Bestellungen direkt ins Warensystem eingeben, wenn die entsprechende Schnittstelle eingerichtet ist, und er kann sich innerhalb seiner Filialen oder mit befreundeten Buchhändlern austauschen. „Aus dem VLB kommen die Bibliografie und der Haupttext, alle anderen Informationen kommen von uns, von den Verlagen“, erklärte Piper-Vertriebschefin Astrid Iffland – „von den Plakaten und Verkaufsdisplays bis hin zu Veranstaltungen mit dem Autor“.

Eines wurde deutlich: Vieles hängt von der Schnelligkeit des Internet auf. „Buchhändler haben nicht die neuesten Laptops, sie haben insbesondere in ländlicheren Regionen auch nicht die schnellste Datenübertragung und sie haben vor allem nicht soviel Zeit zu warten, bis sich eine Vorschauseite langsam aufbaut. Es muss ruckizucki gehen“, sagte Hunscheid. In den Piper-Vorschauen seien rund 250 Titel , „da haben einige Titel nur eine Sekunde meiner Aufmerksamkeit , andere eine Minute oder mehr“, warf Veit Hoffmann ein, „da erfasse ich derzeit mit den Papiervorschauen die Informationen viel schneller. Ich möchte die Hoffnungen etwas bremsen, dass in drei Jahren alle mit digitalen Vorschauen arbeiten, so schnell kann die Telekom nicht die Leitungen ziehen…“. Zudem seien vier bis sechs Seiten für einen einzigen Titel komplett überflüssig, meinten die Sortimenter, es reichten ein bis zwei Seiten. „Wir machen die Vorschauen ja nicht nur für Buchhandlungen, sondern auch für die Presse und die Autoren“, erläuterte Iffland, „weswegen wir bestimmten Titeln mehr Gewicht einräumen.“

Hunscheid stellte auch den Vorschauservice von Edelweiss vor, „etwas aufgeräumter in der Darstellung, aber ich kann genauso suchen und Artikel in den Warenkorb packen.“ Es ist ebenso möglich, nach Verlagen zu sortieren, unter der Rubrik Rezensionsexemplare auch digitale Leseexemplare zu ordern und weitere Informationen zu bekommen. Edelweiss sei abhängig davon, was die Verlage meldeten. Bei VLB TIX sei alles eine Novität, was bis zu einem Jahr alt ist, das sei nicht sinnig, meinte Hunscheid, „ich kaufe ja für die Zukunft ein. Aber den Zeitraum kann ich auch händisch eingeben.“

Konzertplauderer

Wie gewohnt launig und voller Esprit, improvisierte Peter Sloterdijk über „Geschriebene Stimmen“. Bereits im Vorspiel merkte der Philosoph zu den Glückwünschen des LG Buch-Vorstands Michael Fürtjes zum gestrigen Geburtstag – Sloterdijk wurde 68 - an: „Ob man an diesem Tag das Licht oder die Finsternis der Welt erblickt hat, ist eine offene Frage …“, um dann mit den anwesenden „Händlern der geschriebenen Stimmen“ in einem historischen Exkurs die Genese der Schrift nachzuvollziehen. „Das Besondere an der geschriebenen Schrift besteht darin, dass die Griechen dem phönizischen Alphabet die Vokale hinzugefügt haben – womit ein bis dahin nicht dagewesener Effekt eintrat: Man konnte nun den Text, den phonetischen Strom von Buchstaben, hören“, eröffnete Sloterdijk. Beim Lesen trete man unwillkürlich ein in die Wunderwelt der akustischen Simulation, „man vernimmt den Ton im Modus einer milden Halluzination“. Wer einmal Thomas Mann in Hörbuchform gehört habe, merke sich „diese Tonspur der Meisterstimme: Man kann fortan Manns Stimme nicht mehr lesen, ohne auch diese Stimme mitzuhören – vielleicht können Sie das ja mal bei der Kundenberatung einsetzen.“

Sloterdijk, der sich in Anspielung auf die Prunkredner in Athen in der Rolle des „Konzertplauderers“ sah, sprach von der Digitalisierung als zweite große mediale Veränderung nach dem Buchdruck und ging auf die Etymologie der „pagina“, der Buchseite, ein. "Da sind wir über das lateinische Wort 'pagus' (das Dorf) beim Bauern (paganus) und Ackerbau: Der Schriftsteller ist ein Bauer, der einen Papieracker bearbeitet“, führte der Philosoph aus und kam zu „cultura anima“, dem Ackerbau der Seele, und der Agenda Scribere: „Du sollst schreiben, was Du getan hast – sollst aber auch so leben, dass Du Beschreibenswertes tust: Das ist im Grunde genommen die Grundformel  des Humanismus.“ Anstelle der Buchseite sei nun ein „monitorieller Raum“ aufgegangen, „ein Aggregationsraum, in dem Leser zum interaktiven Partner der Buchseite geworden ist“.

Immer wieder extemporierte der Philosoph, etwa „Es gibt nichts Surrealistisches als die Gleichzeitigkeit von deutscher Rechtschreibreform und Twitter“ sowie der Hinweis, dass die „kleinste Interpunktion zu großen Folgen führe - „ein einziger falscher Punkt bei der E-Mail-Adresse führt zu Kontakten mit einem Mailerdämon, der uns sagt. Sorry, geht nicht. Es ist übrigens der einzige Dämon, der sich entschuldigt.“