Spannungsliteratur für Jugendliche

Zum Fürchten gut

26. Januar 2017
von Nicola Bardola
Vom dystopischen Justizthriller bis zur mysteriösen Liebesgeschichte: Auch jugendliche Krimifans können sich in diesem Frühjahr auf feinsten Nervenkitzel freuen.

"Unser System ist das demokratischste Rechtssystem der Welt, in dem Sie, liebe Zuschauer, über das Schicksal der Beschuldigten entscheiden", konstatiert eine TV-Moderatorin des 24-Stunden-Senders Auge um Auge. Der Fall der Martha Honeydew sorgt für hohe Einschaltquoten – sie hat einen Mord gestanden ... Der dystopische Justizthriller "Marthas Widerstand" (One by Lübbe, 426 S., 16 Euro, ab 14) der britischen Autorin Kerry Drewery schildert Marthas letzte Tage. Das Publikum agiert als Richter, Jury und Henker. Dramaturgische Höhepunkte sind die Liveshow "Death is Justice" und die Publikumsbefragungen. Inhaltliche Höhepunkte setzen Marthas Gespräche mit der Gefängnistherapeutin, in denen es um Gerechtigkeit und Gesetze geht: Wie müssen Schuld und Strafe einander entsprechen? Die Gesetze gelten, aber Gerichtsverfahren sind abgeschafft. Ein Artikel der Historikerin Liz Homans ("Swinging Sixties: The Abolition of Capital Punishment") brachte die Autorin zu der Überlegung: Was wäre, wenn künftig nur TV-Votings über das Schicksal Angeklagter entscheiden würden?

Auch in Jane Emikos "Feuerschwester" (Ravensburger, 320 S., 15 Euro, ab 14) ist die Frage nach Tätern und Opfern, nach Schuld und Bestrafung zentral, nur dass das verdächtige Mädchen nicht im Todes­trakt sitzt, sondern in einer psychiatrischen Anstalt. Dort erholt sich Alice mit Verbrennungen zweiten Grades von einem Unfall, den sie verursacht haben soll. Sie ist wegen Brandstiftung und Totschlags angeklagt, ist sich aber sicher, dass ihre Zwillingsschwester das Feuer gelegt hat. Beide waren Pflegekinder, beide liebten Jason, der mittlerweile tot ist, und beide sind nicht zum ersten Mal in der Psychia­trie. Hass und Rache bestimmen das Leben der "pyromanischen Zwillinge". Nur Origami­papier und der verwegene Chase, der Alice an Jason erinnert, bieten die Möglichkeit, die Schuld zu bestimmen und Frieden zu finden.

Mit denselben Motiven (Amnesie und Brandstiftung) spielt Tamina Berger in ihrem Roman "Feuertanz" (Arena, 264 S., 9,99 Euro, ab 12). Sarah begegnet auf einem Wiener Friedhof einem verwirrten und verletzten Jungen, der offenbar auf der Flucht ist. In der Gärtnerei ihres Vaters bietet sie ihm Unterschlupf. Der Junge erinnert sich nicht einmal an seinen Namen, aber beim Zeichnen stellen sich Erinnerungsfetzen ein: "Noch immer hält er den Bleistift umklammert, als würde sein Leben davon abhängen, doch die Trance, in der er sich eben noch befunden hat, ist vorbei", heißt es da. Zeichnend findet er den Schlüssel zu seinem Gedächtnis.

Langsam nähern sich Sarah und der Junge seiner Vergangenheit an. Fest steht: Er läuft vor etwas davon, von dem er nicht weiß, was es ist, aber es ist gefährlich. Die beiden verlieben sich und stellen auch existenzielle Fragen: "Gibt es überhaupt eine Zukunft ohne Vergangenheit? Ist man nicht die Summe seiner Erfahrungen? Und was, wenn man sich an diese nicht mehr erinnert?" Ist Sarahs geliebter Freund ein Mörder und Brandstifter? Wie der Hund von Sarahs Schwester un­beholfen aber liebevoll die gefesselte und geknebelte Sarah ­befreit, ist nur eine zahlreicher origineller Szenen in diesem Krimi, der auch für zartbesaitete Leser geeignet ist.

Für hartgesottene Krimifans geeignet sind die Thriller von Claudia Puhlfürst, "Fürchte die Nacht" (Coppenrath, 368 S., 14,95 Euro, ab 14), und Steven James, "Das tote Mädchen" (cbt, 384 S., 9,99 Euro, ab 14). Puhlfürst ist eine erfahrene Psychothriller-Autorin für Erwachsene mit einer erstaunlichen Vita, die ihr immer wieder neue Stoffe liefert. Sie arbeitete unter anderem als Dozentin für Anatomie und Physiologie.

Zum Fürchten ist die Nacht im Wald rund um ein Landschulheim, in dem sich Teenager mit Alkohol, erster Liebe und Horrorfilmen amüsieren. Ein Psychopath sucht Liebespärchen und genießt es, wenn die Mädchen unter ihm zappeln und sich wehren, wenn ihr Widerstand erlahmt, das Leben aus ihnen weicht. Er profitiert von der Leichtsinnigkeit der Jugendlichen im Umgang mit sozialen Netzwerken, aber die 16-jährigen Mädchen lernen aus ihren Fehlern und wehren sich.

Nicht minder verrückt ist der Mörder, den der mehrfach ausgezeichnete US-Autor Steven James in seinem ersten Jugendbuch beschreibt: Raffiniert schildert James, wie sich der 16-jährige Daniel nach dem Tod seiner Mitschülerin Emily auf die Suche nach dem Täter macht – und immer schwerer zwischen Vision und Wirklichkeit unterscheiden kann. Die Mystery-­Elemente sind nur eine Zugabe zum gut gebauten Plot.

Verlass ist auch auf den lehrreichen, spannenden und humorvollen Erzählstil von Andrew Lane, der mit "Young Sherlock Holmes. Daheim lauert der Tod" (FJS, 352 S., 9,99 Euro, ab 14) die Serie über den jungen Detektiv abschließt. Diesmal werden die Leser nach Ägypten entführt. Es gilt, den Suezkanal zu retten, was natürlich gelingt. Man mag gar nicht glauben, dass dieses Buch das unwiderrufliche Ende der Jungen-Holmes-Abenteuer sein soll.