Suhrkamp-Streit: Nach dem Frankfurter Urteil. Eine Analyse

"Connect the unexpected"

22. März 2013
von Börsenblatt
Der Frankfurter Urteilsspruch vom Mittwoch verschärft die Lage des Suhrkamp Verlags weiter: 2,2 Millionen Euro für Hans Barlach könnten fällig werden, und der Ausgang weiterer Verfahren ist ungewiss. Spekuliert wird darüber, wer tatsächlich ein Interesse daran haben könnte, die Grundfesten des Verlags zu erschüttern.

"Überrascht" reagierten die Anwälte des Suhrkamp Verlags auf das aktuelle Urteil des Frankfurter Landgerichts: Die 13. Kammer für Handelssachen hat den Suhrkamp Verlag dazu verurteilt, rund 2,2 Millionen Euro aus der Bilanz des Jahres 2010 an den Minderheitsgesellschafter, die Medienholding von Hans Barlach, auszuschütten. Richter Thomas Kehren folgte nicht den Argumenten der Suhrkamp-Anwälte, die unter anderem angeführt hatten, der Sondergewinn aus dem Jahr 2010 sei einvernehmlich auf das Jahr 2011 vorgetragen worden. Nun überlegen Verlag und Unseld Familienstiftung, in Berufung zu gehen: "Wir sind guter Hoffnung, dass ein mit mehreren Richtern besetztes Berufungsgericht zu einer anderen Auffassung gelangt", sagte Jörn Wöbke (Kanzlei Gleiss Lutz), der Suhrkamp im aktuellen Rechtsstreit vertreten hatte.

Nach dem Urteilsspruch könnte Hans Barlachs Medienholding einen Vollstreckungstitel erwirken, mit dem Suhrkamp gezwungen werden könnte, binnen kürzester Frist die 2,2 Millionen Euro plus Zinsen auszuzahlen. Dies kann zwar nur vorläufig geschehen, und auch nur gegen Hinterlegung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent der Klagesumme, – aber möglich wäre es. Barlach-Anwalt Leo, der das Frankfurter Verfahren betreut, sagte, man müsse zunächst die Urteilsgründe prüfen. Der Anspruch der Medienholding auf Gewinnausschüttung sei bestätigt worden, es sei aber Sache von Hans Barlach, über weitere Schritte nachzudenken. Barlach selbst war bisher nicht für eine Stellungnahme zu erreichen, und Suhrkamp-Sprecherin Tanja Postpischil teilte mit, man könne sich erst nach Vorliegen der Urteilsgründe äußern. Noch ist das Urteil vom 20. März nicht rechtskräftig, und noch ist eine Entscheidung im Prozess um den wechselseitigen Ausschluss der Gesellschafter wegen substanzieller Pflichtverletzung nicht gefallen (die Verkündung ist auf den 25. September angesetzt).

Dennoch bietet sich schon jetzt folgendes Bild: Suhrkamp ist ein Verlag, der seinem Minderheitsgesellschafter bis zum Beweis des Gegenteils 2,2 Millionen Euro schuldet, dessen Geschäftsführung durch Urteil des Landgerichts Berlin abberufen wurde – auch wenn die Demission vorläufig nicht vollzogen werden muss –, und der, wenn er Barlachs Medienholding auslösen will, bei einem vom Frankfurter Landgericht angesetzten Unternehmenswert von 20 Millionen Euro 7,8 Millionen Euro in die Hand nehmen müsste und dabei finanziell ausbluten dürfte. Die Vorstellung, dass Barlach von den Gerichten eine Gesamtsumme von 10 Millionen Euro aus der Liquiditätsreserve des Verlags bzw. der Familienstiftung erhalten könnte, dürfte den Verlag beunruhigen. Noch ist zwar nichts endgültig entschieden, aber auf eine Zukunft zu wetten, in der die Justiz nur den eigenen Argumenten folgt, wäre für Suhrkamp verhängnisvoll.

Die Frage ist, wie es weitergeht, und wer wirklich ein Interesse daran hat, dass Suhrkamp in den Abgrund gerissen wird. Wenn man atavistische Rachegefühle einmal beiseiteschiebt, könnte der Grund für das Agieren Hans Barlachs mit verweigerter Anerkennung zu tun haben. Als Minderheitsgesellschafter ständig vorgeführt und in der Ausübung seiner Rechte behindert zu werden, erzeugt ein Gefühl des Nicht-ernst-genommen-Werdens. Kaum überraschend also, dass Barlach seinerseits Ernst macht und mit juristischen Mitteln erkämpft, was ihm in der sozialen, persönlichen (und eben auch gesellschaftsrechtlichen) Sphäre verweigert wird. Zudem hat Hans Barlach, wie Suhrkamp auf Anfrage bestätigt, den nächsten Mediationstermin abgesagt.

Es ist nicht auszuschließen, dass Barlach nicht nur aus eigenem Antrieb, zumindest aber mit Wissen Dritter agiert: Das Gruppenbild aus dem Jahre 2006 mit Hans Barlach, Claus Grossner, Joachim Unseld und Arnulf Conradi ist unvergessen. Barlach selbst, der bei der Suhrkamp-Autorenschaft auf schroffe Ablehnung stößt, hat in einem seiner Interviews einen möglichen Investor ins Spiel gebracht, der Verlagsanteile übernehmen könnte. Wer dieser von ihm so titulierte „Weiße Ritter" sein könnte, ist nach wie vor sein Geheimnis. Es gibt aber Indizien: So wird immer wieder Hubert Burda ins Spiel gebracht, dessen Verlagsimperium durch „Focus"-Herausgeber Helmut Markwort im Suhrkamp-Beirat vertreten ist (für die Medienholding). Hubert Burda selbst ist Autoren des Suhrkamp Verlags persönlich verbunden, vor allem Peter Handke, mit dem ihn eine jahrzehntelange Freundschaft verbindet. Handke sitzt (zusammen mit Peter Hamm, Michael Krüger und Alfred Kolleritsch) zudem im Beirat des Petrarca-Preises, den Burda jährlich vergibt. Mit einem kunstsinnigen, literaturfördernden (Mehrheits-)Gesellschafter Burda könnten sich vermutlich auch andere Suhrkamp-Autoren anfreunden.

Es sprießen aber noch ganz andere Gerüchte: etwa (wie "Die Welt" vom 22. März meldet), dass der gerade bei Hoffmann & Campe ausscheidende Geschäftsführer Günter Berg, der Suhrkamp 2003 im Streit als verlegerischer Geschäftsführer verlassen hatte, in die Mediationsbemühungen um Suhrkamp involviert sein könnte.

Wie in jeder guten Detektivstory führen die ersten Indizien meist auf eine falsche Fährte: So mag es auch bei der Suche nach dem "Weißen Ritter" sein. Im Windschatten dieses Gerüchts könnte jemand anders seinen großen Auftritt vorbereiten und die "Festung Suhrkamp" einnehmen. Sollte Burda tatsächlich eine Rolle spielen, wäre auch dies keine Überraschung. Einer seiner Leitsätze heißt: "Connect the unexpected."