Tipps und Praxisbeispiele zur Verlagsübergabe

Übernahme-Countdown

30. Mai 2018
von Christina Busse
Nicht nur in vielen Buchhandlungen, sondern auch in vielen inhabergeführten Verlagen steht die Suche nach einem Nachfolger an: Wie finden sie neue Eigentümer für ihr Programm? Tipps von Berater Dieter Durchdewald – und Erfahrungswerte aus drei Verlagen.

"Am liebsten wäre mir ein junger, dynamischer Nachfolger. Ein Einsteiger, der nach und nach übernimmt": So beschreibt Helmut Block seine Wunschlösung für die Zukunft des Block-Verlags. In der Nachwendezeit hat er in Sachsen-Anhalt den "historisch-belletristischen Heimatverlag" gegründet, aktuell sind rund 200 Titel im Programm – aus Sicht des Verlegers eine gute Basis für Anfänger: "Für jemanden, der nicht bei null anfangen will, sondern die Chance sieht, auf Grundlage bestehender Strukturen und Verbindungen eigene Ideen zu verwirklichen."

Der 64-Jährige hat sich schon viele Gedanken darüber gemacht, wie es mit seinem Verlag, mit den Autoren und ihren Titeln weitergehen soll – konkrete Schritte hat er aber noch nicht unternommen, auch weil ihm eine Orientierungshilfe fehlt: "Wo ist der Markt für potenzielle Verlagsnachfolger?" Das ist eine Frage, auf die er bisher keine Antwort gefunden hat. Denn die Branche diskutiert im Moment zwar intensiv über das Problem der Unternehmensnachfolge im Buchhandel – doch dass inhabergeführte Verlage ebenfalls vor der Aufgabe stehen, den Generationswechsel gut und zukunftssicher zu gestalten, wird dabei offenbar schnell übersehen.

Wie finden potenzielle Käufer und Verkäufer zusammen? Auch für den Verleger Robert Narr ist das ein heikler Punkt – und zwar aus der Perspektive des Interessenten. Vor drei Jahren ist der 30-Jährige als Geschäftsleiter ins Unternehmen der eigenen Familie eingestiegen – den Narr Francke Attempto Verlag in Tübingen. Der Verlag ist auf Geisteswissenschaften spezialisiert – und will durch Zukäufe weiter wachsen. "Das Schwierigste ist, an Infos heranzukommen. Es gibt keine Stelle, bei der ich mich als potenzieller Käufer melden kann. Viele Deals laufen unter der Hand", beschreibt Robert Narr seine Erfahrungen. Trotzdem konnte der Verlag gerade eine Übernahme vermelden: Der UVK Verlag rückt unter das Dach von Narr Francke Attempto, mit 400 Fach- und Lehrbüchern zu den Themenfeldern Wirtschaft, Tourismus, Gesundheit, Politik, Medien und Sozialwissenschaften – und etwa 50 Novitäten pro Jahr. Die UVK-Standorte in München und Konstanz sollen erhalten bleiben. Der Kauf kam durch persönliche Kontakte zwischen den Verlagen zustande – "so ist es bei den meisten Übernahmen", so Robert Narr.

"Auf der Suche nach einem Nachfolger ist es sicher hilfreich, das eigene Netzwerk zu aktivieren" – dazu rät auch der Berliner Unternehmensberater Dieter Durchdewald (BerlinHorizonte). Das Thema Unternehmensnachfolge ist in seinem Berateralltag im Moment allgegenwärtig. Für viele Verleger gehöre die Übergabe an die nächste Generation oder eine Nachfolge von außen aktuell zu den wichtigsten Herausforderungen. Schließlich entscheidet sie über die Zukunft des Unternehmens und des eigenen Lebenswerks, aber auch über die Zukunft der Mitarbeiter, der Autoren und ihrer Werke. Sein erster Tipp: frühzeitig in die Vorbereitung einsteigen – und in Abstimmung mit der privaten Lebensplanung eine Struktur dafür entwickeln, wie sich das Unternehmen mittelfristig in gute Hände übergeben lässt. Wie lang diese Vorlaufzeit sein sollte, hängt nicht zuletzt vom Einzelfall ab. Grundsätzlich sollte der Aufwand für diesen Prozess jedoch nicht unterschätzt werden, meint Durchdewald: "Die Schritte nach und nach professionell und richtig umzusetzen – das braucht Zeit."

Soll das Unternehmen als Ganzes oder in Teilen verkauft werden? Welche Rolle übernimmt der bisherige Eigentümer? Zwei von vielen Fragen, auf die eine Antwort gefunden werden muss. Hilfreich ist dabei der Blick von außen aufs Unternehmen, etwa durch einen Berater. Anreize setzen Förderprogramme für kleinere und mittlere Unternehmen, wie sie zum Beispiel vom Land Baden-Württemberg speziell zum Thema Unternehmens­übergabe angeboten werden (www.rkw-bw.de). Auf der Agenda stehen die Planung des Übergabeprozesses, die Analyse der Ausgangs­situation, die Erörterung der Übergabe-Alternativen, die Grobbewertung des Unternehmens, die Entwicklung eines konkreten Übergabekonzepts.

Hat man sich zu den grundlegenden Aspekten Klarheit verschafft, geht es an die Ablaufplanung. Hier spielen nicht nur steuerliche und rechtliche, sondern auch psychologische Faktoren eine Rolle, die bei der Suche nach einem Nachfolger nicht zu unterschätzen sind. Berater Dieter Durchdewald  hat eine Übersicht entwickelt, die alle anstehenden Aufgaben in eine Reihenfolge bringt.

Steigt der Umsatz? Zunächst einmal müssen die Voraussetzungen für eine Nachfolge geschaffen werden – keine ganz leicht zu nehmende Hürde. Denn für einen potenziellen Käufer ist neben der thematischen Ausrichtung des Verlags zumeist die Umsatzentwicklung das ausschlaggebende Kriterium. Die Kurve sollte deshalb bei den Einnahmen nach oben zeigen. "Um dies zu beeinflussen, kann man beizeiten überlegen, die Backlist durch Neuauflagen  zu beleben oder die Novitätenproduktion auszuweiten", so Durchdewald: "Wichtig ist allerdings, was nach Abzug der Produktionskosten unterm Strich übrig bleibt."

Ein weiterer Aspekt sind die Mitarbeiter: Wie hoch sind die Personalkosten? Sind Altersteilzeit-Modelle möglich, um die Ausgaben unter Umständen zu reduzieren? Gibt es neben erfahrenen Mit­arbeitern auch junge, die den Verlag mit Innovationskraft in die Zukunft begleiten? Wie sind Vertrieb und Marketing aufgestellt – und ist die Verlagshomepage noch zeitgemäß?

Verkauf in Teilen? Ebenfalls wichtig: Schon im Vorfeld sollte man gründlich über die Form der Nachfolge nachdenken. Sprich: Will man den Verlag im Paket verkaufen, im Branchenjargon als Share Deal bezeichnet? Oder lieber in Teilen, im sogenannten Asset Deal?

Welcher Weg günstiger ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. "Im Asset Deal werden einzelne Bestandteile wie zum Beispiel die Autorenrechte, die Marke und der Lagerbestand geprüft und veräußert. Der Kaufvertrag ist dabei etwas komplizierter. Der Share Deal gestaltet sich weniger aufwendig, eine juristische Prüfung ist aber in jedem Fall notwendig", erläutert Durchdewald.

Auch für den bisherigen Inhaber ist es wichtig zu wissen, welche Vor- und Nachteile die jeweilige Form für den Interessenten mit sich bringt – damit er sich in den Verhandlungsgesprächen entsprechend positionieren und flexibel auf Forderungen und Wünsche des Käufers reagieren kann. Die frühzeitige Umwandlung in eine GmbH kann einer Nachfolgelösung gesellschaftsrechtlich den Weg ebnen. Wichtig: "Wer im Alter von 55 Jahren aufwärts sein Unternehmen verkauft, hat die Möglichkeit, einmalig von einem reduzierten Steuersatz zu profitieren", so Durchdewald.

Weiter an Bord bleiben? Ob er nach dem Verkauf weiter mitarbeiten will – davon sollte der Inhaber eine ganz konkrete Vorstellung haben. Wie lange und in welcher Form möchte er an Bord bleiben, fest angestellt oder mit Beratervertrag?

Ein fließender Übergang kann bei den Kunden im Buchhandel, bei Lesern und Mitarbeitern Vertrauen erhalten, zugleich aber auch "hochkompliziert" sein, wie Durchdewald berichtet. "Der Inhaber sollte hier flexibel sein – denn auch diese Entscheidung wirkt sich auf den Kaufpreis aus." Durchdewald rät, vertraglich ganz genau zu regeln, in welchem Umfang, für welchen Zeitraum und zu welchen Konditionen der bisherige Eigen­tümer im Unternehmen tätig bleibt – und um welche Aufgaben er sich dabei kümmert: "Dieser Punkt wird oft unterschätzt. Die Arbeitsaufteilung kann ein sehr komplexes Thema werden."

Was ist der Verlag wert? Bevor die Verkaufspläne publik gemacht werden, steht zunächst eine Unternehmens­bewertung an – mit Stärken-/Schwächenanalyse des Verlags und Erstellung eines Exposés. Auch dabei empfiehlt es sich, zumindest zeitweise das Know-how eines externen Spezialisten zu nutzen, der die Besonderheiten einer Übergabe im Verlagswesen kennt und vor allem: der auch den Preis realistisch einschätzen kann.

Wo findet man Käufer? Interessenten aufzutun, die den Verlag übernehmen und weiterführen möchten – das klingt einfacher als es ist. "Man braucht Zeit, um den Eigentümer mit potenziellen Käufern in Verbindung zu bringen", weiß Dieter Durchdewald aus jahrelanger Erfahrung. Betriebsberater sind oft im Spiel und vermitteln an der Schnittstelle von Angebot und Nachfrage. Kommt endlich ein vielversprochener Kontakt zustande, müssen Käufer und Verkäufer einen kühlen Kopf bewahren. "Denn auch wer sich auf Anhieb gut versteht, sollte so detailliert wie möglich alle Punkte besprechen, damit es nach dem Vertragsentwurf kein böses Erwachsen gibt – dafür ist einfach zu viel zu bedenken", sagt Durchdewald.

Wenn dann schließlich die konkreten Nachfolgeverhandlungen beginnen, bekommt der Interessent auf Grundlage einer Vertraulichkeitserklärung Einsicht in das Unternehmensexposé. Anschließend legt eine sogenannte Due Diligence den Zeitraum für die eingehende Prüfung der Unterlagen fest. Hat der Verhandlungspartner immer noch Interesse, dann dient eine Absichtserklärung ("Letter of Intent") als vorläufiger Kaufvertrag.  
 
Endlich fertig? Ist der Kaufvertrag dann endlich aufgesetzt und unterzeichnet worden (in der Regel mit Unterstützung eines Steuerberaters), sollte das Thema Verlagsnachfolge doch eigentlich abgeschlossen sein, oder? Dieter Durchdewalds Antwort lautet: mitnichten. "Danach liegt noch ein Drittel der Arbeit vor einem." Dazu gehört ein genauer Ablaufplan, wann und wie über den Inhaberwechsel informiert wird – denn viele sind davon betroffen: Mitarbeiter und Autoren, Barsortimente und Buchhändler, Druckereien und andere Dienstleister.

Diesen Punkt hat der Verlag Narr Francke Attempto mit seinem jüngsten Zuwachs UVK gerade umgesetzt. Nun heißt es: weiter Augen offenhalten nach interessanten Kandidaten. Dazu nehme er auch einfach mal den Hörer in die Hand und frage ins Blaue hinein, so Narr. "Für uns ist wichtig, dass Verlauf und Umsetzung eine gewisse Geschwindigkeit haben. Zwei bis vier Jahre Vorlauf sind zu lang, gerade wenn der zu übernehmende Verlag den Schritt in die Digitalisierung noch nicht getan hat", betont der Tübinger Verleger. Der Wille zur Übergabe müsse deutlich werden – dazu gehört für Narr eine gute Vorbereitung auf Verkäuferseite. So müssten für einen Share Deal die Bilanzen schlüssig vorliegen.

Daneben spielen für Robert Narr das Image des Verlags, Inhalt und Preisgefüge des Programms, Zielgruppe und digitale Aufstellung eine Rolle. "Letztlich ist ein Zukauf aber immer auch eine Bauchentscheidung", verrät Narr – und die sei auf beiden Seiten mit viel Leidenschaft fürs Verlegen verbunden: "Deshalb will man die Sache zusammen mit dem Verkäufer gut hinkriegen." Und auch für Verleger Helmut Block steht bei der Suche nach einem Nachfolger fest: "Wichtig ist, dass die Chemie stimmt!"

Best Practice: Die Nachfolge bei ebersbach & simon

Positives Beispiel für einen "geschmeidigen Übergang" ist der literarische Verlag ebersbach & simon in Berlin. Grundlage für den Wechsel war hier eine seit vielen Jahren bestehende, freundschaftliche Verbindung zwischen Verlegerin Brigitte Ebersbach und Sascha Nicoletta Simon, entstanden aus beruflichen Kontakten.

Brigitte Ebersbach, die den Verlag 1990 unter dem Namen edition ebersbach gegründet hatte, dachte schon seit längerer Zeit darüber nach, wie sie ihr mit viel Herzblut, Engagement und Erfolg aufgebautes Programm in die Zukunft führen könnte. "Anfang 2014 kamen wir auf das Thema zu sprechen", erinnert sich Sascha Nicoletta Simon – "in den folgenden Monaten haben wir unsere Gespräche intensiviert und uns schließlich, als feststand, dass wir uns eine Zusammenarbeit vorstellen konnten, Berater Dieter Durchdewald zur Begleitung und Moderation an Bord geholt."

Auf seine Empfehlung hin wurde der Verlag in ebersbach & simon umbenannt. "Der Name signalisiert Kontinuität und gleichzeitig etwas Neues. Dieser Schritt war richtig", so das Fazit von Sascha Nicoletta Simon, die vorher auch schon als Gründerin Erfahrung gesammelt hatte: Die studierte Romanistin und Historikerin war als Lektorin, Übersetzerin und Programmleiterin für verschiedene Verlage tätig, bevor sie 2006 gemeinsam mit Mascha Schwarz den Tulipan Verlag ins Leben rief. Ende 2013 legte sie die Geschäfte dann in die Hände ihrer Schwägerin und Mitgesellschafterin Mascha Schwarz.

Nach dreieinhalb Jahren an der Spitze von ebersbach & simon stellt sie fest, dass "der große Sprung" als Nachfolgerin in ein anderes Unternehmen gelungen sei. Brigitte Ebersbach wirkt als Seniorverlegerin nach wie vor in der Programmplanung mit, während Sascha Nicoletta Simon in Marketing und Vertrieb neue Wege geht und eine jüngere Zielgruppe anspricht, etwa mit dem "Missy Magazine Kalender".

Jährlich erscheinen hier knapp 20 Titel aus den Bereichen Belletristik, Sachbuch, Geschenkbuch, Wissenschaft und Kalender. Gemeinsam gibt das Duo besondere Buchprojekte wie aktuell "Ballgefühl. Frauen und Fußball" heraus. "Es ist wichtig, ganz offen miteinander umzugehen. Und es hilft, einen erfahrenen Coach an der Seite zu haben", so Simons Rat.