7.300 Aussteller kamen. Eine Handvoll präsentierte an sehr kleinen Ständen neurechte Inhalte und machte Tamtam. Aber in der Presse und in den sozialen Medien erzeugen die Auftritte der wenigen ein Echo, als schlage das Herz der weltgrößten Buchmesse auf dem Rittergut Schnellroda, wo der aktuell berühmteste deutsche Verlag Antaios seinen Sitz hat. Was läuft hier schief?
Erstens: Die Idee, dass Meinungsfreiheit erst dann wirklich zur Geltung kommt, wenn eine Meinung schwer zu ertragen ist und doch geäußert werden darf, diese alte Idee der Voltaire-Biografin Evelyn Hall kennt kaum noch einer. Wir sind dabei, ein Grundrecht bis zur Schwundstufe zurückzuentwickeln. Da darf man sich nicht wundern, wenn ein bunter Chor demokratischer Hygienefachkräfte jetzt lautstark fordert, die Buchmesse solle unliebsame Teilnehmer ausschließen.
Zweitens: Buchmesse und Börsenverein haben den Fehler zum Glück nicht gemacht. Nach der Devise "abgrenzen, nicht ausgrenzen" haben sie stattdessen die Auseinandersetzung zum Beispiel mit Antaios gesucht. Dabei hat sich ein Paradox der Aufmerksamkeitsökonomie entfaltet, auf das sich Bewegungen an den Rändern einer Gesellschaft gut verlassen können: Wer sich gegen rechts positioniert, positioniert zugleich auch die Rechten. Kleine Fläche – großes Bohei. Götz Kubitschek, Lieblingsverleger der "Identitären", durfte sich in der begehrten Rolle des Opfers gelassen zurücklehnen. Den Vorwurf der Intoleranz leiten die Rechten, denen am Austausch mit Andersdenkenden traditionell wenig liegt, auf die Seite derer, die Toleranz üben. Das geht wie im Kampfsport: die Kraft des Gegners geschickt gegen diesen selbst wenden. Da sind Judoka am Werk, Judoka mit braunem Gürtel.
Drittens: Die Logik der Empörung zu kennen, hilft kaum weiter. Ignorieren wäre keine Alternative. Provokationen gelingen immer, Schreierei, Schlägerei und dazu die Social-Media-Märchenstunde über die Repression der anderen. Parolen haben keinen Eigentümer: "Für das freie Wort, für das freie Denken, für das Buch!" Das deklamierte ausnahmsweise nicht, wie man meinen sollte, der Börsenverein, sondern Mario Müller, Antaios-Autor eines Handbuchs der "Identitären Bewegung", Titel: "Kontrakultur".
Viertens: Dennoch lässt sich etwas lernen aus der Eskalation. Szenen eines "Wo wart ihr Silvester?" skandierenden rechten Pöbels, wie sie sich am Messesamstag in Halle 4.2 ausgerechnet im Forum Wissenschaft & Bildung zugetragen haben, sind einer Buchmesse unwürdig. Damit sie sich nicht ereignen können, bedürfte es eines verbindlichen Auftretens der Polizei. In diesem Fall trat ein Herr mit Schirmmütze auf die Bühne, der physisch die Willenskraft des Feuerwehrwachmanns bei Theatervorstellungen ausstrahlte, und bewirkte – nichts.
Fünftens eine Fußnote: Meinungsfreiheit kommt nicht nur an politischen Rändern zu Schaden. Die Mitte demontiert sie mit. Beispiel: Wie viel Meinung darf es sein, wenn die Bundeskanzlerin zuhört? Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller hatte sich zu Beginn der Messe erlaubt, Frau Merkel auf zwei Themen öffentlich anzusprechen: das missglückte Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz und Merkels Einsatz für Meinungs- und Pressefreiheit weltweit, für den er sich noch mehr Entschiedenheit wünsche. Am nächsten Tag befand der "FAZ"-Herausgeber Jürgen Kaube: "Unterbietung aller Höflichkeits- wie Diplomatiestandards". Ein Fall von Majestätsbeleidigung offenbar, den die Zeitung beanstandet. Erst die "Duell"-Sekundanten von ARD und ZDF, dann der Kanzlerinnen-Knuddler Steingart vom "Handelsblatt", jetzt die "FAZ": Journalisten wetteifern in letzter Zeit um die beste Eignung, zur Entourage der Macht überzulaufen. Warum bloß?
vielen Dank für Ihre Statements. Im großen und ganzen ja, im Detail ein "hätte besser gelöst werden können". Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist nicht verhandelbar - darüber gibt es nichts zu debattieren. Wieviel Plattform antidemokratischer Strömungen (positiv ausgedrückt) braucht die Messe? Ist es nicht vielmehr so, dass es der Messeleitung obliegt, die Stände zu verteilen und somit Hüterin der Standgröße ist? Wäre es nicht möglich gewesen, einen Stand zu vergeben, der in der Konsequenz eben nicht das Forum bietet, in dem jetzt passiert ist, was passieren musste, und nach der Messe nichts nach außen dringt ausser der Name dieses unsäglichen Verlages mit dem sich die Hände reibenden Verleger? Das Festhalten an geäußerten Standpunkten vor und während der Messe zu diesem Thema nützt meiner Meinung nach nix. Nach der Messe ist vor der Messe. Ich bin grenzenloser Optimist und bin mir sicher, dass die nächste Messe eine bessere Lösung zu bieten hat, eine Lösung, die die Buchmesse im Ganzen wieder in das öffentliche und internationale Bewußtsein rückt. Mit den besten Grüßen aus Hamburg, Stephanie Krawehl
auch ich danke für dieses Statement, allerdings bin ich nun noch geschockter! Was auf der Messe passiert ist, darf sich nie wieder wiederholen. Bisher gab es von den verantwortlichen (Herr Boos, der Buchmesse als Institution, Herr Riethmüller..) noch keine unmissverständliche und klare Abgrenzung gegen Rechts.. Der Literaturbetrieb wartet darauf! Sehnlichst. Zu Ihrem Text.
Erstens. Rechtsextremismus ist für mich keine Meinung. Punkt.
Zweitens: Doch! Es gab gravierende Fehler. Den Stand der Identitären gegenüber den Stand des Missy Magazines zu stellen und anzunehmen es wird doch alles gut gehen, ist unendlich kurzsichtig. Wieviele Rechte laden zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Ihren positionen ein ? Auf die Antwort lässt sich jetzt lange warten.
Meinungsfreiheit ist ein verdammt wertvolles Gut, das es zu schützen gilt! Aber Rechte reden doch schon die ganze Zeit, haben Stammplätze in Talkshows und nun zuviele Mandate im Bundestag. Und was macht die Messe ? Sie lässt Höcke und Pirincci lustig und munter ihre Kruden und Menschenverachtenden Positionen aussprechen. Man kann sie ausstellen lassen, aber Ihnen ein Mikro in die Hand zu drücken und ist Schlag ins Gesicht, aller Menschen im Literaturbetrieb die nicht Zündeln und sich gegen Nazis stellen!
Zeigt Haltung!
http://www.zeit.de/kultur/2017-10/rechtsextreme-buchmesse-umgang-afd-deutschstunde
sorry, dass ich mich jetzt erst melde - war für eine knappe Woche offline. (Das geht immer noch.) Vielen Dank für Ihre nachdenklichen Anmerkungen hier! Das Problem, über das wir uns alle den Kopf zerbrechen, ist meines Erachtens nicht speziell eines der Buchmesse(n). Die haben es auch, aber keineswegs exklusiv. Leider wird es immer größer. Gestern sagte mir ein anderswo Messeverantwortlicher, der seit Jahren nach einem möglichst gescheiten Umgang mit äußerst rechten Verlagen sucht: "Unsere Gesellschaft hat keine Idee, wie sie mit den Rechten umgehen soll, aber wir Buchmessen sollen das mal eben lösen. Dabei gibt es keine einfachen Lösungen." Den angespannten Ton, in dem er mir das sagte, kann ich gut verstehen.
Klar scheint mir, Stand heute, immerhin so viel: Als Aussteller zuzulassen sind Antaios & Konsorten auch in Zukunft (schon aus rechtlicher Sicht). Über die Platzierung ihrer Stände wird man weiter grübeln und wird Verschiedenes ausprobieren. Die, die über die Hallenbelegung entscheiden, können allerdings inzwischen ein langes Lied davon singen, dass es bei solchen Fällen selten glückliche Nachbarn gibt; Messestände ohne Nachbarn gibt es freilich auch nicht. Spielraum haben die Messen in der Frage, welche Veranstaltungen in welchem Rahmen und mit welchen Regelvorgaben (die dann ggf. auch durchzusetzen wären) genehmigt werden sollen - und welche besser nicht. Was auf Krawall hinausläuft statt auf Diskussion, gehört nicht auf eine Buchmesse.
Aber solche Sätze sind ruckzuck hingeschrieben, wie man sie durchsetzt, steht auf einem anderen Blatt. Ich wünsche mir für unsere Diskussion über brauchbare Lösungen deshalb auch eine hohe Sensibilität dafür, wie heikel und uneindeutig ein Teil der Wirklichkeit mittlerweile geworden ist, den diejenigen vorfinden, die die Messen machen sollen und die jeden Einzelfall entscheiden müssen. Sätze, lieber Her Bachmann, nach der Form "X ist nicht Y. Punkt." wollen Haltung definieren, geben für mein Empfinden jedoch vor allem zu erkennen, dass wir es lieber etwas eindeutiger hätten. Ich finde das sympathisch, aber aussichtslos.