Umfrage: Warum Verlage Exemplare für die documenta 14 spenden

"Für die Demokratie - inmitten ihrer Bedrohung"

28. November 2016
von Börsenblatt
Auf der nächsten documenta in Kassel (10. Juni bis 17. September 2017) wird auch die Literatur eine Rolle spielen: Die argentinische Künstlerin Marta Minujín baut aus den Werken verfolgter Autoren einen "Parthenon of Books" auf dem Friedrichsplatz - dort, wo die Nationalsozialisten 1933 Bücher verbrannten. Verlage unterstützen das Kunstprojekt, das ein Zeichen für die Meinungsfreiheit setzen soll. Hier sagen fünf Verleger, warum sie mitmachen - und welche Titel sie spenden.

Claudia Baumhöver, dtv-Verlegerin

"Eine Demokratie ohne Bücher ist keine Demokratie", mahnt die argentinische Künstlerin Marta Minujín. Dem schließen wir uns unbedingt an. Ihr Nachbau des Athener Parthenons auf dem Friedrichsplatz in Kassel im Sommer nächsten Jahres wird sicher besonderes Aufsehen erregen. An diesem Ort verbrannten die Nationalsozialisten 1933 2000 Bücher. Unter ihnen auch die Werke des deutsch-jüdischen Schriftstellers Jakob Wassermann. Zwei seiner Romane werden nun hier ihren Platz finden: "Joseph Kerkhovens dritte Existenz" und "Der Fall Maurizius".

Jakob Wassermann war ein radikaler Moralist. Er betonte oft, in ein "Zeitalter der Toleranz" hineingeboren worden zu sein. Und schon früh erkannte er, dass dieses bedroht war. Mit seiner Literatur schrieb er gegen jegliche Form der "Trägheit des Herzens" an.

Angesichts der aktuellen antidemokratischen Tendenzen - und dies nicht erst seit Pegida und Donald Trump - ist er uns ein Vorbild. Wassermann kämpft in seinen Büchern für den Triumph der Gerechtigkeit und für die Demokratie inmitten ihrer Bedrohung. Sie sind Teil einer nachhaltigen Demokratie: der Weltliteratur.

Joerg Pfuhl, CEO der Holtzbrinck Buchverlage

Die Holtzbrinck Buchverlage beteiligen sich mit Überzeugung an dieser Aktion. Die Geschichte der Literatur und der Bücher ist ein ständiger Kampf zwischen denen, die auf die Freiheit des Wortes setzen und denen, die Bücher für Transportmittel gefährlicher Ideen und Gedanken halten.

Wir haben in unseren Verlagsprogrammen besonders Bücher herausgesucht, die während der Zeit des Nationalsozialismus verboten waren, viele wurden zudem öffentlich verbrannt. Was hätten wir verloren, wären diese Werke tatsächlich zum Verschwinden gebracht worden – die Schriften von Kurt Tucholsky, die Texte von Heinrich, Thomas, Klaus und Erika Mann, von Robert Musil, Franz Kafka, Joseph Roth und Alfred Döblin!

Die Freiheit des Publizierens zu verteidigen, ist eine der wichtigsten Aufgaben in unserer demokratischen Gesellschaft. Und es ist nötig, energisch daran zu erinnern, dass diese Freiheit weltweit bedroht ist. Sie ist nicht selbstverständlich.

Siv Bublitz, Geschäftsführerin der Ullstein Buchverlage

Bücher eröffnen mit den Mitteln der Sprache und der Phantasie einen eigenen Blick auf die Welt. Deshalb sind sie auch ein Medium der Unabhängigkeit und des Widerstands. Das rückt die Installation in den Blick: In der Anknüpfung an das Vorbild des Parthenons nimmt sie Bezug auf die antike Demokratie und das gesellschaftliche Ideal der Freiheit. Der Kasseler Friedrichsplatz war ein Ort der Bücherverbrennung unter den Nationalsozialisten. Auch heute werden Autoren verfolgt und Texte verboten. Mit dem Verweis auf die Geschichte setzt das "Parthenon der Bücher" ein Zeichen für die Gegenwart. Das ist überzeugend, und wir unterstützen die Aktion gern.

Wir haben insgesamt gut 300 Exemplare von 15 Büchern beigesteuert - von Autoren die im Nationalsozialismus verboten und verfolgt waren: Oskar Maria Graf, Irmgard Keun, Gustav Meyrink und Albert Einstein, aber auch von Wolf Biermann, der in der DDR nicht veröffentlichen durfte und ausgebürgert wurde, und Raif Badawi, der in Saudi-Arabien im Gefängnis sitzt und zu einer grausamen Prügelstrafe verurteilt worden ist. Sein Buch "1000 Peitschenhiebe" versammelt die Texte, derentwegen er verfolgt wird. Seine Schriften sind Plädoyers für eine freie, demokratische Gesellschaft – ein Anspruch, mit dem Autoren in weiten Teilen der Welt immer noch  ihr Leben aufs Spiel setzen.

Wir spenden aber auch einige Exemplare der Erinnerungen von Hermann Ullstein, der mit seinen vier Brüdern 1903 unseren Verlag gründete. "Das Haus Ullstein" erzählt von jenen Jahren und von der Verfolgung der Ullsteins durch die Nationalsozialisten. 1934 wurde der Ullstein Verlag enteignet, die Brüder und ihre Familien flohen nach England und in die USA. Hermann Ullsteins Autobiographie erschien 1942 im US-Verlag Simon & Schuster, die deutsche Übersetzung erst vor zwei Jahren bei uns. Ich hatte die amerikanische Erstausgabe in einem Antiquariat gefunden. Das Buch hat mich sehr beeindruckt, auch weil es die Konflikte schildert, vor denen ein Verlag in einem totalitären System steht: Kann man mit Büchern und Zeitungen Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen, ohne die eigene Existenz und die der Autoren zu gefährden?

Wolfgang Beck, Verleger der Verlagsgruppe C.H. Beck

Das Projekt ist spektakulär und wird Furore machen auf der nächstjährigen documenta. Zugleich ist es aktuell. Denn Zensurmaßnahmen, Bücher- und Veröffentlichungsverbote, Kriminalisierung und Verfolgung von Autoren (siehe Türkei) sind leider alles andere als aus der Welt geschafft, die ansonsten eine sehr viel bessere wäre.

In Deutschland ist es die Katastrophe der Nazizeit mit ihren unzähligen rassisch und politisch verfemten Autoren, an die man sofort denkt. Viele von ihnen genießen heute klassischen Rang, ebenso wie Autoren und Bücher, die zu DDR-Zeiten nicht greifbar waren.

Im Grunde ist es "Ehrensache" für Verlage, beim "Parthenon der Bücher" mitzumachen. Wobei "Ehre" heißt, fündig zu werden in der Verlagsgeschichte, am besten gleich mehr- oder vielfach. In unserem Fall ist es nur ein Autor, jedoch ein bedeutender: Egon Friedell mit seinen drei Kulturgeschichten (Neuzeit, Griechenland, Ägypten und der Alte Orient), hinreißend zu lesen heute wie vor 80 Jahren. Manches wäre zu sagen über ihren jüdischen Autor, der wenige Tage nach dem "Anschluss" Österreichs sich mit einem Sturz aus dem Fenster seiner Wiener Wohnung das Leben nahm.

Jonathan Landgrebe, Vorstandsvorsitzender der Suhrkamp Verlag AG

Das künstlerische Projekt von Marta Minujín weist daraufhin, dass die Freiheit des Wortes ein ganz wesentlicher Grundpfeiler unseres demokratischen Wertesystems ist – und die Zensur von Büchern keineswegs ein historisches Phänomen. Gerade in Zeiten von erstarkendem Populismus und wachsender Fremdenfeindlichkeit ist es wichtig, die Freiheit und die Vielfältigkeit der Rede zu schützen.   

Wir werden vor allem Bücher deutscher Autoren spenden, die im Nationalsozialismus verboten waren, etwa von Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Heinrich Heine und Siegfried Kracauer​.

Wer die Aktion noch unterstützen will: Die Büchersammlung für die Installation läuft bis Mitte Dezember. Auch Leser und Autoren können Titel spenden. Alles in allem werden 100.000 Bücher benötigt (mehr dazu hier). Begonnen hat die Sammelaktion auf der Frankfurter Buchmesse (mehr dazu hier).