Umfrage zum Englischboom bei Jugendromanen

Ziehen englische Buchtitel besser?

9. Februar 2017
von Börsenblatt
Hip oder reines Hinterherhecheln: Warum geben Verlage deutschsprachigen Jugendromanen einen englischen Titel? Und was sagt der Buchhandel dazu? 

Anja Kemmerzell, Programm­leiterin Chicken House:

"Wir versuchen immer, einen deutschen Titel zu finden. Manchmal gibt es aber triftige Gründe, den Original­titel zu übernehmen oder einen neuen englischen Titel zu vergeben. Etwa bei Verfilmungen wie bei 'Big Game' oder bei Bestsellern, bei denen viele Leser die Originaltitel kennen, da ist das Buch durch die Übernahme des englischen Titels einfacher im Netz auffindbar und als Spitzentitel wiedererkennbar. Nicht deutsche Titel entsprechen dem Zeitgeist, das spiegeln uns Jugendliche, wenn wir uns Feedback für Titelvorschläge von ihnen holen."

Elke Reitmayer, Die Bücherstube, Höchstadt:

"Das ist für mich ein eher kurzlebiger Trend, der funktionieren, aber auch schon morgen wieder vorbei sein kann. Ich halte nicht viel davon – Titel sollten aussagekräftig sein. Englische Jugendbuchtitel können auch Leser abschrecken, wenn sie vermuten, dass das gesamte Buch englischsprachig ist. Bei uns werden solche Bücher nicht besser verkauft."

Anuschka Albertz, verlegerische Geschäftsführerin Ravensburger Buchverlag:

"Ob wir deutsche oder englische Titel formulieren, hängt davon ab, ob wir eine griffige Über­setzung des ursprünglichen Titels finden, vom Klang des Titels und einer möglichen grafischen Gestaltung."

Anja Müller, Buchhandlung Erlesenes, Montabaur:

"Es wirkt albern, wenn deutsche Autoren im Jugendbuchbereich auf englische Titel setzen, um cooler zu wirken. Mehr verkaufen wir deswegen nicht, da zählt immer noch unsere Empfehlung. Bei einer fremden Sprache im Titel macht Latein doch noch mehr her."

Linde Müller-Siepen, Programmleiterin Boje und One:

"In den meisten Fällen entscheiden wir uns für einen deutschen Titel, wir folgen diesem Trend also nicht. Das liegt vor allem daran, dass wir immer auf einen gut verständlichen Titel achten – was bei englischen Varianten naturgemäß schwieriger ist. Auf den ersten Blick wirken englische Titel allerdings in der Tat oft
international, lockerer, cooler."

Birgit Grallert, Buchhandlung Birgit Grallert, Leipzig:

"Wir sprechen uns dagegen aus und setzen verstärkt auf deutschsprachige Jugendbuchtitel – was auch daran liegt, dass sich die englischsprachigen bei uns bislang kaum verkauft haben. Jugendliche interessieren sich nicht dafür, Eltern und Großeltern werden davon nur abgeschreckt."

Holger Stricker, Stricker Buch + Kunst, Niedernhausen:

"Kinder lernen ja immer früher Sprachen. Ob ein englischer Buchtitel passt oder nicht, hängt für mich vom Einzelfall ab: Schreibt ein Autor etwa über das Internet, passt ein englischer Titel besser als bei anderen Themen."

Antje Keil, Programmleiterin Fischer Kinder- und Jugend­taschenbuch:

"Immer mehr junge Leser lesen ihre Lieblingsautoren auch im Original und ärgern sich extrem, wenn sich deutsche Verlage zu weit von den Original­titeln wegbewegen. Das melden uns auch unsere Testleser zurück. Ein weiteres gewichtiges Argument ist eine anstehende Verfilmung."

Laule Meyer, Bücherstube am Fleth, Glückstadt:

"Das ist wohl Teil einer allgemeinen Entwicklung in unserer Sprache – Filmtitel
sind häufiger auf Englisch, auch bei der gesprochenen Sprache fließen englische Begriffe ein; ich finde das nicht schlimm. Beim Verkauf von Jugendbüchern macht es bei uns keinen Unterschied, ob sie englische oder deutsche Titel tragen."

Ina Lutterbüse, Redaktionsleiterin Kinder- und Jugendbuch Kosmos:

"Durch die Musikbranche und andere Medien sind Jugend­liche an englische Titel gewöhnt. Sich im Medium Buch anzuschließen, ist kein Hinterherlaufen, sondern nah an der Lebensrealität der Zielgruppe. Bei unserem Jugendthriller 'Nearly Dead' handelt es sich zudem um ein Wortspiel mit dem Namen der Protagonistin Nearly – so was lässt sich einfach nicht übersetzen."

Désirée Pietsch, Die Buchfinken, Berlin:

"Es ist für mich schwer nachvollziehbar, warum sich deutsche Autoren mit englischen Titeln behelfen; besser verkaufen sie sich nicht. Eltern und Großeltern suchen nach Wünschen aus und achten weniger auf die Sprache des Titels, bei Jugendlichen zählen immer noch der Inhalt oder die Empfehlung von Freunden."

Sara Mehring, Lektorin Coppenrath:

"Manche Bilder oder Begriffe lassen sich im Englischen plakativer ausdrücken, weswegen wir ab und zu auf eine englische Formulierung zurückgreifen. Um den Titel eindeutig als deutsch­sprachiges Buch einzuordnen, ergänzen wir bei englischen Titeln aber gern einen deutschen Satz oder Untertitel, um die Einordnung als deutschsprachiges Buch zu erleichtern."

Susanne Baumann, Arena-Sprecherin:

"Bei uns hängt die Titelwahl mit der Herkunft des Autors zusammen: Bei einem deutschen Autor wird zu 90 Prozent ein deutscher Titel gewählt. Bei Lizenztiteln ist es bisweilen wichtig, dass eine Zuordnung zum Ursprungswerk erfolgen kann, weshalb wir den Originaltitel – wie aktuell im Fall 'Diabolic' von S. J. Kincaid – übernehmen, aber einen deutschen Untertitel wählen, um der Irritation vorzubeugen, dass es sich um einen englischsprachigen Text handeln könnte."

Susanne Stark, Cheflektorin dtv junior:

"Dass sich die Verlage im Jugendbuch häufig für englischsprachige Titel entscheiden, hat viel mit der Zielgruppe und deren veränderten medialen Rezeptionsgewohnheiten zu tun. Während die (erwachsenen) Vermittler eher klassische deutsche Titel favorisieren, greift die jugendliche Zielgruppe selbst – die durch Filme, Marken und Games seit der Kindheit stark an englische Begrifflichkeit gewöhnt ist - tendenziell lieber nach Büchern mit englischen Titeln, weil sie diese als cooler, attraktiver und ihrem kulturellen Lebensumfeld entsprechend empfinden. Dies hat nicht zuletzt auch mit der knapperen grammatikalischen Struktur des Englischen zu tun, demgegenüber deutsche Varianten oft umständlicher und betulicherer anmuten.

Zudem gibt es inzwischen gerade bei den älteren, netzaffinen Lesern und Leserinnen viele, die sich bei übersetzten Büchern stark an den Originalen orientieren: Sie fordern einen möglichst hohen Grad an Authentizität ein und favorisieren deshalb ganz klar die Übernahme der englischsprachigen Originaltitel."