Umschlagseite 4

Kleiner Text, große Wirkung

23. September 2016
von Börsenblatt
Mal wecken sie Neugierde, mal stoßen sie ab. Die Sätze für die Buchrückseite zu texten – das ist eine Kunst für sich. Über Praxis und Fallstricke eines eigenwilligen Genres.

Ein Kunde greift nach einem Buch auf dem Büchertisch. Was geschieht als nächstes? Natürlich, er dreht es um und beginnt zu lesen. Aber wozu brauchen Bücher überhaupt einen Text auf der Rückseite? »Alles, was sich nicht automatisch über Cover, Titel und Autorenname kommuniziert, muss den Leser über den Text hinten erreichen«, bringt Arena-Vertriebsleiterin Sigrid Klemt die Sache auf den Punkt. »Der Klappentext ist nach Titel und Cover­gestaltung das drittwichtigste Verkaufs­argument für ein Buch«, pflichtet Heike Herd-Reppner bei. Die Pressechefin des Ravensburger Buchverlags weiß, worauf es beim Beschreibungstext ankommt: »Er ist ein bisschen wie ein Gedicht: das Wichtigste auf knappstem Raum sagen. Am besten so, dass die interessierten Leser ins Buch hineingezogen werden« – und es dann in Richtung Kasse tragen, versteht sich. 

In Ravensburg gehört das Verfassen von U4- und Klappentexten darum zum festen Ausbildungsplan für Redakteure. Anders als in vielen Häusern verfassen hier nicht etwa die zuständigen Lektoren die Texte auf der »Umschlagseite 4«, kurz: U4. »Für uns ist es wichtig, dass Klappentext und U4 von jemandem geschrieben werden, der Abstand zum Text hat«, sagt Herd-Reppner. 

Bei Kosmos hingegen versucht man, diese Distanz durch einen Trick zu schaffen: »Um den Kern der Geschichte zu erfassen, machen wir Verkaufsgespräche: Ein Redakteur verkauft dem anderen sein Buch. Dabei wird deutlich, was die Kernpunkte sind, die auf die U4 sollen«, beschreibt Redaktionsleiterin Ina Lutterbüse die Idee hinter der Teamarbeit.

Kleiner Text, große Wirkung
U4- und Klappentexte sollen ihre Wirkung nicht erst beim Leser entfalten. Noch bevor die Fahnen die Druckerei erreichen, kommen sie bereits zum Einsatz, wie ­Kathy Heyer berichtet, bei Coppenrath Programmleiterin der Bücher für die Kleinsten: »Ein frühzeitiges Formulieren von U4-Text, Klappentext und Titel ist entscheidend für die gesamte Positionierung eines Buchs«, so ihre Erfahrung – »von internen Runden bis zu den ex­ternen Gesprächen mit dem Handel.« 

Eine ausführliche Einführung in den Plot findet auf den Klappen des Schutzumschlags Platz, doch der Raum auf der Buchrückseite ist begrenzt und kostbar. In kürzester Zeit muss ein potenzieller Buchkäufer eine Ahnung von der Geschichte bekommen, vor allem aber sollen Emotionen geweckt werden – um den Kaufimpuls auszulösen. »Manchmal diskutieren Vertriebler und Lektoren auch darüber, ob bestimmte Schlagworte schon auf dem Cover platziert werden sollten, etwa durch einen ›Störer‹ oder einen prägnanten Teaser-Satz«, erläutert Coppenrath-Lektorin Sara Mehring.

Bei Bastei Lübbe hingegen entstehen zunächst erstmal die Cover, wie Mathias Siebel, Verlagsleiter Kinder- und Jugendbuch bestätigt. »Auf der Basis des Covers formuliert der jeweilige Lektor dann den U4- beziehungsweise Klappentext.« In dem Augenblick, in dem ein Leser das Buch wendet, wird es für Siebel spannend. »Jetzt ist es ganz wichtig, dass das, was das Cover versprochen hat, eingelöst wird – und das möglichst schnell«, erklärt Siebel. »Es gibt die Theorie des ›­Elevator Pitch‹, die besagt, dass es gelingen muss, einen potenziellen Leser innerhalb von 60 Sekunden von einer Geschichte zu überzeugen, um ihm zum Kauf zu bewegen.« 

Worauf kommt es beim U4-Texten also an? Klarer Fall: »Auf einen starken ersten Satz, der neugierig macht«, meint Siebel. Gleichzeitig muss die Essenz der Geschichte herausgearbeitet werden: »Der Hauptkonflikt, ein starker Protagonist, die Sprache, das Setting – man sollte sich ganz auf die interessanten Aspekte der Geschichte konzentrieren«, sagt Siebel und ergänzt: »Gleichzeitig muss man deutlich herausarbeiten, wodurch sich die Geschichte von anderen des Genres abhebt.« 

Gar nicht so einfach, denn bei all dem gilt es natürlich, nicht den Leser mit ­seinen Interessen aus dem Blick zu verlieren. Besonders gut gelungen ist das Bastei Lübbe – auch nach eigenem Befinden – beim U4-Text zu »Magisterium. Der Weg ins Labyrinth«. Dort heißt es: »Callum hasste Magie – er hasste einfach alles an ihr. Drei Regeln hatte ihm sein Vater immer wieder eingeschärft:

  • Traue nie einem Magier
  • Bestehe nie eine magische Prüfung
  • Betrete unter keinen Umständen das Magisterium.

Call würde sie alle brechen ...«

Ein klassischer Spannungsbogen, bei dem die obligatorischen Auslassungs­zeichen am Ende natürlich nicht fehlen dürfen. Sie finden sich auf zahllosen ­Romanen, vor allem im Jugendbuch. Der Schönheitsfehler mit dem falschen Imperativ ("Betrete" statt: "Betritt") ist im Buchhandel jedoch nicht unbemerkt geblieben: Gerade solch prominent platzierten Fehlerteufel lassen Sortimenter zusammenzucken.  

Starke Stimmen  
Nicht wenige Verlage bedienen sich auch lobender Zitate oder Leserstimmen, am liebsten von bekannten Persönlichkeiten. Das ist vor allem bei Lizenztiteln ein gängiges ­Vorgehen, wie Lutterbüse erläutert. »Käufern dient das als Orientierung in der Flut der Neuerscheinungen, ent­weder weil sie der Rezension vertrauen oder weil sie auf die Meinung der ­zitierten Person Wert legen. Oder aber, weil Begeisterung schlicht ansteckend ist.«

Dumm nur, wenn der vermeintliche Zitatgeber gar nicht erst gefragt wird oder das Lob frei erfunden wurde. Das musste Schriftsteller Andreas Steinhöfel gerade erleben: Der Heyne Verlag war so frei, ihn auf dem Buch »Der Mondschatzjäger« mit den starken Worten zu zitieren: »Mein Lieblingskollege – ich verehre Boris Koch.« Keine Frage, das macht Eindruck. Leider wurde das Lob aus einem alten Zeitungsartikel in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« zurechtgeschustert – gefragt wurde der Autor erst gar nicht. Steinhöfel hatte in der Rubrik »Mein Lieblingskollege« ein Buch von Koch empfohlen, der Rest war Fantasie. 

Der Versuch, sich mit dem Namen des Bestsellerautors zu schmücken, rief prompt den Carlsen Verlag auf den Plan. Verlag und Autor seien »not amused« gewesen, erklärt Pressesprecherin ­Kathrin Hogrebe. Der Vorfall wurde schließlich auf Ebene der Verlagsleitung geklärt. Ergebnis laut Hogrebe: »Heyne wird das Zitat bei der nächsten Auflage nicht mehr verwenden.« 

Gabriele Polzer, Buchhandlung Tatzelwurm, Frankfurt am Main: 

»Zitate berühmter Menschen brauche ich auf der U4 gar nicht. Wichtig ist für unsere Kunden ein Kurzabriss der Handlung. Außerdem sollte die Atmosphäre des Buchs wiedergegeben werden. Ganz schlimm sind bombas­tische Schlagworte; dann denke ich: Eine Schippe weniger wäre besser gewesen! Es gibt Verlage, bei denen zucke ich schon instinktiv zurück, Ars Edition und Coppenrath neigen, wie ich finde, zu reißerischen Texten. Für uns ist es natürlich unverzichtbar, die Bücher gelesen zu haben.«

Sandra Heldt, der kleine Bücherheldt, Berlin: 

»Wenn nichtssagende Slogans wie auf Wahlplakaten formuliert sind, hilft das niemandem. Leider wollen viele U4s allzu geheimnisvoll daherkommen. Richtig brenzlig wird es, wenn wichtige Inhalte vorenthalten werden, zum Beispiel erwähnt Oetinger nicht, dass es in »Das Blaubeerhaus« um Nazideutschland geht. Auch Coming-outs oder Scheidungen in Kinderbüchern sollten zumindest angedeutet werden, sonst kann es Beschwerden geben. Ich rate schon im Leseclub meinen Kindern: Lest die Klappentexte! Diese Mühe machen sich aber bei Weitem nicht alle Kunden.«

Susanne Meysick, Lessing und Kompanie, Chemnitz: 

»Wir packen alle Bücher aus der Folie aus, damit unsere Kunden sich trauen, die Klappentexte zu lesen und im Buch zu blättern. Es sorgt sowieso nur für Probleme, wenn ein Teil der Bücher foliert ist. Bei uns sind schon Kunden mit der Beschwerde zurückgekommen, dass das Buch ja ganz anders sei als hinten draufstände. Wir diskutieren nicht und tauschen um. Im Allgemeinen muss ich aber sagen: Im Vergleich zur Erwachsenenbelletristik ist das Jugendbuch doch wirklich Gold! Wie viele Romane würde ich gern zum Verlag zurückschicken ...«

Herbert Schrankenmüller, Buchhandlung Pröpster, Kempten: 

»Das A und O ist es doch, mit der U4 den Eindruck zu vermitteln, dass das Buch Spaß macht! Die Verlage leisten da eine sehr gute Arbeit. Das Einzige, was ich vermisse, sind die Altersangaben in Form von Punkten, wie es sie früher einmal gab. Wir lesen selbst sehr viel und können inhaltlich so viel über die Bücher erzählen, dass es unsere Kunden oft überrascht. Mit unserer Spezialisierung auf Kinderbücher fällt uns das leicht. Unpassende Bücher auszureden, gehört manchmal auch dazu.«