Unesco-Literaturstadt Heidelberg

"Da stecken drei Jahre Arbeit drin"

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Heidelberg ist im Dezember zur "Unesco City of Literature" gekürt worden. Was will die Stadt mit dem Titel? Ein Interview mit Kulturbürgermeister und Initiator Joachim Gerner.

Herzlichen Glückwunsch zum Titel! Was liest man eigentlich als Bürgermeister einer Literaturstadt?

Gerner: Ich habe vor kurzem "Shadow Country" von Peter Matthiessen gelesen – das hat etwas gedauert, weil das Buch rund 1.000 Seiten stark ist. Der Roman wurde in der Schweizer Kulturzeitschrift "Du" empfohlen und erzählt von der Eroberung des amerikanischen Südens im 19. Jahrhundert. Wer ihn liest, versteht beispielsweise, wo der religiöse Fundamentalismus in den USA herkommt. Es ist ein tolles Buch und bislang noch nicht übersetzt. Das wäre doch eine Aufgabe für Verlage….

Viele Städte dürften derzeit durchaus neidvoll an den Neckar blicken: Warum hat gerade Heidelberg den Titel der Literaturstadt verdient?

Gerner: Der Begriff "Literature" ist im Englischen sehr viel weiter gefasst als im Deutschen . Und wir decken viele Facetten davon ab, mit der ältesten Universität Deutschlands und dem Manesse Codex, mit dem Clemens-Brentano-Preis und dem Hilde-Domin-Preis, mit den Heidelberger Literaturtagen und vielem mehr. Neben einer eindrucksvollen Geschichte hat die Stadt auch eine vielfältige Literaturszene in der Gegenwart zu bieten.

So ein Antrag bei der Unesco macht eine Menge Arbeit, wie man dem dicken Bewerbungsband entnehmen kann…

Gerner: Da stecken in der Tat drei Jahre Arbeit drin. Ausgangspunkt war 2008 eine Studie zur kreativen Ökonomie in Heidelberg – unter anderem mit der Bestätigung, dass der Buchmarkt und die Verlage wichtige wirtschaftliche Faktoren in der Stadt sind Bei den Recherchen bin ich auf das  Unesco-Netzwerk "Kreativstädte" gestoßen. Ein Mäzen hat unsere Bewerbung mit 30.000 Euro unterstützt. Den Rest haben wir aus den Bordmitteln des Kulturamtes bestritten.

Ist der Titel reine Ehrensache – oder bringt er auch Geld?

Gerner: (lacht) Nein, frisches Geld ist damit leider nicht verbunden. Aber wir hoffen, dass uns der Titel dabei hilft, Mittel für bestimmte Projekte bei Mäzenen und Sponsoren einzuwerben.

Tut er auch dem Tourismus gut?

Gerner: Jährlich kommen 3,5 Millionen Touristen nach Heidelberg. Und natürlich ist es unser Wunsch, ihnen auch die literarischen Seiten der Stadt zu zeigen. So wollen wir beispielsweise eine spezielle Literatur-App und einen literarischen Stadtplan für Heidelberg entwickeln.

Die Unesco setzt bei ihren "Creative Cities" auf den Netzwerkgedanken. Die Städte sollen sich austauschen. Was hat Heidelberg mit Edinburgh, Melbourne oder Reykjavík zu tun?

Gerner: Unseren Platz im Konzert der weltweit elf Literaturstädte müssen wir sicher erst noch finden. Einige konzentrieren sich auf Einzelaspekte wie das Lesen oder das Schreiben. Ich könnte mir das Zusammenspiel von Musik und Literatur als reizvollen Schwerpunkt vorstellen. Mannheim ist gerade zur "Unesco City of Music" ernannt worden – und es wäre sicher spannend, hier gemeinsam für Impulse aus der Metropolregion Rhein-Neckar zu sorgen. Bei Glasgow und Edinburgh sind Rollenverteilung und räumliche Nähe ähnlich. Da steckt für mich Potenzial  drin.

Den Titel haben Sie in der Tasche – wie geht es jetzt weiter? Und holen Sie Verlage und Buchhandlungen mit ins Boot?

Gerner: Die sind längst mit im Boot. Wir haben ein Netzwerk gegründet, in dem alle Literaturinstitutionen vertreten sind. Es gibt Arbeitsgruppen und außerdem treffen wir uns regelmäßig im Plenum, der so genannten Literaturversammlung. Wir haben den Titel ja erst am 1. Dezember bekommen und müssen nun einen detaillierten Stufenplan entwickeln, um ihn mit Leben zu füllen. Im ersten Quartal 2015 entscheidet der Gemeinderat zunächst über den neuen Doppelhaushalt. Dort ist eine Summe für die Literaturstadt-Arbeit eingeplant, die sich am Budget anderer Literaturstädte orientiert.

Wird die Finanzierung des angedachten Literaturhauses durch den neuen Titel leichter?

Gerner: Die Literaturhauspläne sind schon älter als die Unesco-Bewerbung. Es gibt einen Verein, der sich engagiert für das Literaturhaus einsetzt und sehr konkrete Vorstellungen hinsichtlich  Konzept und Standort hat. Im Sinne des kommunalen Prinzips der Subsidiarität liegt das Heft des Handelns beim Verein. Ist er erfolgreich, werden sich die Stadt und die anderen Partner im Literaturnetzwerk dazu verhalten.