Verfassungsrecht

Geht auch die Buchbranche an: Streit um Vorratsdatenspeicherung

7. April 2011
von Börsenblatt
Der offene Streit in der schwarz-gelben Regierungskoalition um die Vorratsdatenspeicherung eskaliert: Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) warf laut dpa Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vor, durch ihre ideologische Blockadehaltung "Pädophile und Terroristen" zu schützen. Die Auseinandersetzung hat Implikationen für die Buchbranche – denn es geht dabei auch um die Frage, welche Möglichkeiten es zur Ermittlung und Identifizierung von Urheberrechtsverletzern im Netz gibt.

Auslöser des Streits war die Forderung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auf den Weg zu bringen, das eine mindestens sechsmonatige Speicherung von Telekommunikationsdaten vorsieht. Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger lehnt dies ab. Sie plädiert für das sogenannte "Quick-Freeze"-Verfahren, das nur bei einem Anfangsverdacht die Datenspeicherung vorsieht. IP-Adressen sollen nur sieben Tage aufbewahrt werden, die gespeicherten Daten dürfen nur per richterliche Anordnung genutzt werden.

Der politische Streit hat grundsätzlich mit der gültigen Rechtslage nichts zu tun. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte zwar mit seinem Urteil vom 2. März 2010 das bis dato gültige, allerdings auf dem Wege Einstweiliger Anordnungen nur eingeschränkt anwendbare Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung (Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung) für nichtig erklärt – in seiner Begründung schloss es aber die sechsmonatige Speicherung von TK-Verbindungsdaten ausdrücklich nicht aus.

Karlsruhe schließt Datenspeicherung nicht aus

Im ersten Leitsatz zum Urteil (Aktenzeichen: 1 BvR 256/08) heißt es: "Eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch private Diensteanbieter, wie sie die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 (ABl L 105 vom 13. April 2006, S. 54; im Folgenden: Richtlinie 2006/24/EG) vorsieht, ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar; auf einen etwaigen Vorrang dieser Richtlinie kommt es daher nicht an."

Die Karlsruher Richter verwarfen das Gesetz unter anderem aus folgenden Gründen: wegen der Unverhältnismäßigkeit der durch die Vorschriften legitimierten Grundrechtseingriffe (die nur "überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen" dürfen), wegen der mangelnden Konkretion der Vorschriften, wegen fehlender Standards für die Datensicherheit.

Eine Neuregelung, die sich in den Bahnen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bewegt, könnte also Bestand haben – selbst wenn es zu erneuten Verfassungsbeschwerden gegen ein novelliertes Gesetz käme.

Mittelbare Nutzung von Daten bleibt erlaubt

Wichtig für die Diskussion um die Verfolgung von Urheberrechtsdelikten ist auch der sechste Leitsatz des Urteils, in dem das Gericht ausdrücklich die mittelbare Nutzung gespeicherter Daten zur Auskunftserteilung erlaubt: "Eine nur mittelbare Nutzung der Daten zur Erteilung von Auskünften durch die Telekommunikationsdiensteanbieter über die Inhaber von Internetprotokolladressen ist auch unabhängig von begrenzenden Straftaten- oder Rechtsgüterkatalogen für die Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und die Wahrnehmung nachrichtendienstlicher Aufgaben zulässig. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten können solche Auskünfte nur in gesetzlich ausdrücklich benannten Fällen von besonderem Gewicht erlaubt werden."

Das Bundesverfassungsgericht schließt also nicht von vornherein Regelungen aus, die auch auf Urheberrechtsdelikte anwendbar sind. Ob der Gesetzgeber diese im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt, ist eine andere Frage.

Das Grundsatzurteil der Karlsruher Richter hat zwar zunächst dazu geführt, dass die Verfolgung von Urheberrechtsverstößen im Internet erschwert wurde. Behörden können aber auch künftig Internetservice-Provider um Auskünfte über Anschlussinhaber bestimmter, bereits bekannter IP-Adressen bitten, ohne dass sie selbst deshalb auf gespeicherte Daten zugreifen müssen. Die personenbezogenen Auskünfte erhalten sie nur aufgrund der Auswertung, die der Dienstanbieter selbst vornimmt. So lassen sich immerhin IP-Adressen mit Personendaten von Tauschbörsennutzern oder Uploadern verknüpfen – sofern sich diese keiner Anonymisierungs-Software bedienen.