Volles Haus garantiert

Sachbücher bei Veranstaltungen richtig in Szene setzen

29. Juni 2015
von Christina Busse
Es muss nicht immer literarisch zugehen, Veranstaltungen zum Sachbuch funktionieren im Buchhandel ganz ausgezeichnet - wenn ein paar Faktoren bei der Planung beachtet werden. Wir zeigen Beispiele.

"Henning Scherf war der erste Autor, der jeden der 250 Gäste mit Handschlag begrüßt hat", zeigt sich Buchhändlerin Martina Riegert noch Monate nach der Veranstaltung mit dem Bremer Altbürgermeister beeindruckt. Scherf war als Vortragender mit seinem Buch "Altersreise: Wie wir altern wollen" in Coburg zu Gast, für den Abend mit dem gefragten Redner hatte die Buchhandlung Riemann bereits sehr frühzeitig, mit rund einem Jahr Vorlauf, eine Anfrage beim Verlag gestartet.

Der Einsatz hat sich gelohnt: Die Resonanz auf die Veranstaltung mit dem bekannten Namen war riesig. "Der Saal war brechend voll, sogar am Abend selbst kamen noch viele Leute ohne Eintrittskarte", berichtet Riegert. Aus Erfahrung weiß sie, dass Veranstaltungen zu Sachbüchern sehr erfolgreich sein können, wenn bestimmte Faktoren bei der Planung berücksichtigt werden. "Es muss sich um ein handfestes, zielgruppenspezifisches Thema handeln", rät Riegert. "Wenn man dann noch gute Ko­operationspartner aus der Stadt im Boot hat, macht das richtig Spaß."

Als Mitveranstalter zum Thema "Altersreise" trat der Hospizverein Coburg auf, gemeinsam wurde die Werbetrommel gerührt, der Kartenverkauf (sieben Euro im Vorverkauf, zehn Euro an der Abendkasse) lief über die Buchhandlung. Und dank des guten Drahts, den der Hospizverein zur katholischen Kirche hat, konnte der Gemeindesaal zu Sonderkonditionen angemietet werden. Erwartungsgemäß sprach das Thema ein überwiegend älteres Publikum an, das Scherfs Vortrag konzentriert verfolgte – was dazu beitrug, dass der publicitygewohnte Autor keine einzige Zeile ablas, sondern frei redete. Nach einer halbstündigen Pause mit Wein, Wasser und Laugengebäck, in der Scherf einen ersten Schwung Bücher signierte, berichtete er über seine eigene Lebensweise in einer Bremer Alten-WG.

Im Anschluss zeigte das Publikum großen Gesprächsbedarf. Ein Pfarrer aus einem benachbarten Dorf stellte ein geplantes Wohnprojekt vor, eine Zuhörerin reichte eine Unterschriften­liste für Interessenten an einer Senioren-WG herum. Erst nach drei Stunden, gegen 23 Uhr, ging der Abend zu Ende. "Wir freuen uns besonders, wenn wir mit unseren Veranstaltungen Denkanstöße und neue Impulse für die Stadt geben können", sagt Riegert, für die sich das Ereignis "wirklich gerechnet" hat. Ein Schaufenster und die frontale Präsentation gegenüber dem Eingang waren exklusiv dem Autor gewidmet – jeweils eine Woche vor und nach der Veranstaltung. Zwei Tageszeitungen brachten große Berichte. "Wir lassen immer eine schöne Nachlaufzeit. Die Erfahrung zeigt, dass es sich lohnt und Themen auch noch über Wochen viel Nachklang finden", stellt die Coburgerin fest.

Partnersuche 
Gemeinsame Sache machen – das stellt oft auch die Grundvoraussetzung für ein ausreichendes Budget dar, um bekannte Namen einzuladen. "Hochdotierte Professoren und Autoren ziehen natürlich die größte Aufmerksamkeit nach sich", weiß Buchhändler Max Kämper von Proust Wörter + Töne in Essen. Um Veranstaltungen mit Publikumsmagneten anbieten zu können, lädt die Buchhandlung sechsmal im Jahr gemeinsam mit Deutschlandradio Kultur und dem Schauspiel Essen zur Reihe Lesart ein. Dort diskutieren die Podiumsgäste aktuelle Sachbuch-Themen aus den Bereichen Politik, Geschichte, Bildung und Gesellschaft, in dieser Woche zum Beispiel die Autoren Peter Schaar und Eva Schweitzer zum Datenschutz unter dem Titel "Schattenkrieger und Datenräuber – Wege in die Transparenzgesellschaft". Die Lesart im rund 80 Plätze fassenden Café des Grillo-Theaters wird vom Deutschlandradio Kultur aufgezeichnet und am jeweils folgenden Sonnabend gesendet. Medienpartner ist die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (WAZ).

Dass die Zusammenarbeit mit Institutionen vor Ort nicht nur den finanziellen Spielraum erweitern, sondern auch der Veranstaltung zu mehr Schwung verhelfen kann, bestätigt Carolin Wolf, Inhaberin der gleichnamigen Buchhandlung in Bruchsal. Ein Abend zum Thema "Demenz" mit Autorin und Singliesel-Verlegerin Annette Röser wurde durch die Teilnahme einer örtlich aktiven Gruppe Angehöriger von an Demenz Erkrankten thematisch unterstützt. "Diese Gruppe war ein guter Anstupser für die Diskussion, so ist man superschnell ins Gespräch gekommen", hat Wolf beobachtet. Künftig will sie deshalb verstärkt lokale Einrichtungen und Initiativen bei ihrer Veranstaltungsplanung berücksichtigen. Thematisch setzt sie den Schwerpunkt auf die Familie. "Das ist unser Fokus, damit setzen wir Akzente", beschreibt sie ihr Konzept.

Kombination mit Belletristik 
Um den Kreis der Zuhörer zu vergrößern, verknüpfte sie auch ein Sachbuchthema mit einer Belletristik-Lesung: Viktor Staudts "Die Geschichte meines Selbstmords" mit Charlotte Roths Roman "Als der Himmel uns gehörte" (beide Droemer Knaur). Das kam an. "Die psychologische Brücke, um beides miteinander zu verbinden, hat gut funktioniert", berichtet Wolf. Die Anregung dazu kam von Verlagsvertreter Matthias Kuhlemann, der den Abend auch moderiert und Interviews mit den Autoren geführt hat. "Er ist ein Entertainer mit tollen Ideen", freut sich Wolf schon auf weitere Vorschläge zu Veranstaltungen, mit denen sie ihren Kunden etwas Besonderes bieten kann.
Das können gemeinsame Gesangseinlagen sein, wie mit Annette Röser vom Verlag Singliesel, aber auch Kostproben der Zeichenkunst, wie sie Werner Tiki Küstenmacher parallel zu seinem Vortrag über Neurologie und Glücksforschung gibt. Während er frei aus der Welt seines "Limbi" (Campus) erzählt, lässt er das Publikum dabei zuschauen, wie er live und mit sicherem Strich dem limbischen System als Teil des menschlichen Hirns ein Gesicht gibt – dank einer Kamera und eines Beamers werden die Zeichnungen gut sichtbar für alle Besucher auf eine Leinwand projiziert. Nach dem Vortrag bekommt jeder Interessierte als Signatur auch eine ganz individuelle Zeichnung in sein Buch.

Über den Tellerrand 
Ebenfalls einen originellen Hin­gucker hat sich Vandenhoeck & Ruprecht bei Gerald Hüthers "Etwas mehr Hirn, bitte" überlegt: Der Slogan prangte auf roten Ansteckern, die dem Göttinger Buchhandel zur Verfügung gestellt wurden. "Die Kunden fanden die Aktion witzig«, erzählt Eckart Kohl von der Akademischen Buchhandlung Calvör, der die Buttons zur Dekoration und als Give-away nutzte und dazu ein »Riesenschaufenster" und eine Frontalpräsen­tation eingerichtet hatte. »Ein Sachbuch funktioniert am bes­ten, wenn wir in der Präsentation über den Tellerrand hinausblicken und den Kreis weiter fassen. Mir selbst macht es gro­ßen Spaß, durch den Laden zu gehen und zu gucken, was gerade dazu passt«, erläutert Kohl. In den Neurowissenschaften zeigt er zum Beispiel auch Philosophie und Kunst von Psychiatriepatienten. Auf diese Art und Weise lassen sich die Kunden dazu anregen, nach etwas zu greifen, worauf sie sonst nicht gekommen wären. "Das Sachbuch ist eine durchaus attraktive Warengruppe", ist der Göttinger Buchhändler überzeugt.