Werkstattbericht

Marta Minujíns „Parthenon of Books“

15. Oktober 2017
von Börsenblatt
Rückblick: Wie der Tempel der verbotenen Bücher auf der documenta 14 entstand, berichten Projektteilnehmer. 

Es ist die bislang umfangreichste Liste weltweit verbotener Bücher, um die es am Messesamstag im Forum Börsenverein ging. Im Rahmen der Veranstaltungen zum Thema „Für das Wort und die Freiheit“ war Kathrin Grün, Pressesprecherin der Frankfurter Buchmesse, im Gespräch mit vier Studierenden der Universität Kassel. Tim Herrmann, Katharina Kirchberg, Philippe Lorenz und Sophia Neitzel gehörten zu einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe, die auf Anfrage der documenta 14 entstand. Ein Jahr lang war ein studentisches Team unter der Leitung der Literaturprofessorin Nikola Roßbach gemeinsam mit einem Gastprofessor der Universität Vancouver an der Auswahl der Bücher für das documenta 14-Projekt „The Parthenon of Books“ von Marta Minujín beteiligt. Die endgültige Entscheidung fällte die argentinische Künstlerin selbst.

Minujíns Installation gehörte zu den aufsehenerregendsten Werken der documenta. Unübersehbar war der Tempelnachbau auf dem Kasseler Friedrichsplatz, an dem kurz vor dem Ende der documenta im September 2017 etwa 67.000 Bücher hingen. Bücher, die irgendwo auf der Welt verboten sind oder einmal verboten waren. Ein symbolischer Ort: Dort hatten die Nazis 1933 Tausende Bücher verbrannt.

Nach dem Startschuss auf der Frankfurter Buchmesse 2016, wo die ersten Kisten gefüllt wurden, hatten die Organisatoren weltweit um Bücher-Spenden gebeten. Verlage, Buchhandlungen, Antiquariate und Privatpersonen füllten Kisten und Spendenboxen. Und für die Studierenden begannen gewaltige Recherchen. „Wir konnten uns vor interessanten Fällen kaum retten!“, sagte Tim Herrmann. Er war geschockt, als er von Salman Rushdie hörte: „Krass, dass Autoren so verfolgt werden!“ Philippe Lorenz und Sophia Neitzel wunderten sich darüber, dass in der Sowjetunion auch Mickey Mouse verboten war. Selbst „Harry Potter“ steht auf dem Index einiger Schulbibliotheken der USA. Am häufigsten hielten die Studierenden das Guantanamo-Tagebuch von Mohamedou Ould Slahi in den Händen: 8.000 Exemplare kamen in der Sammelstelle an. Als die Bücher später verteilt wurden, war es am schnellsten vergriffen.

Bald nach Beginn der Arbeit hatte das Team anhand von bereits existierenden Listen verbotener Bücher 70.000 Titel zusammengetragen. Jetzt sind 120.000 Titel verzeichnet. „Eigentlich seid ihr ja die wahren Helden!“, konnte man aus dem Publikum hören. Die Liste sei eine Aufgabe, an der man ein Leben lang arbeiten könne, erläuterte Tim Herrmann. Um Sprachbarrieren, vor allem im Chinesischen zu überwinden, schlug Katharina Kirchberg ein internationales Projekt vor.

Für das kommende Jahr ist eine Ausstellung von etwa 2.000 Werken in der Kasseler Stadtbibliothek geplant. Bis dahin wird die Liste immer weiter ergänzt. Dabei bleibt Tim Herrmann zuversichtlich: „Ich bin der Meinung, dass man Bücher letztlich nicht verbieten kann. Staaten, die viel zensieren, sind letztlich Staaten, die gescheitert sind.“