Wie Belletristik präsentiert wird

Kunden zum Stöbern verführen

11. Juni 2015
von Christina Busse
Piano, Sessel, Tischchen, Stapel und mehr: Auf ganz unterschiedliche Weise machen Buchhandlungen ihre Kunden auf die Belletristik-Novitäten aufmerksam. boersenblatt.net zeigt  Beispiele aus acht Buchhandlungen.

Novitäten auf Lehmkuhls Klavier
Für ein im doppelten Sinne beflügeltes Lesevergnügen steht die Buchhandlung Lehmkuhl in München: Ein imposantes Tasteninstrument bildet hier seit Jahrzehnten den Hingucker in der Belletristik. Außerdem ist der exponierte Platz, an dem die Literaturexperten von Lehmkuhl ihre Lieblinge präsentieren, zum Qualitätsmerkmal avanciert: „Was bei Lehmkuhl auf dem Flügel liegt, das gehört zur Literatur“, äußerte Verleger Michael Krüger dereinst anerkennend. „Der Flügel ist unser Hauptanziehungspunkt, viele steuern direkt darauf zu“, weiß Sortimenterin Mechthild Heinen, die das Instrument auf ihre Art und Weise „bespielt“: Damit die Auswahl auch für Stammkunden interessant bleibt, findet auf dem Klavier ein lebhafter Wechsel an Titeln statt. „Wenn am Samstag der Laden voll ist, stehen schon mal zehn Leute um den Flügel herum. Dann ist es auch ein Sich-begegnen und man schaut, was der andere in der Hand hat“, beobachtet Heinen. Ganz klar, dass auch nach einem großen Umbau vor drei Jahren das Instrument wieder an seinen Stammplatz kam, mit viel Freiraum drum herum, damit das Markenzeichen optimal zur Geltung kommt und Literaturfreunde zum Stöbern einlädt. Zusätzlich hat das Lehmkuhl-Team ihre Favoriten mit kleinen „Lesetipp“-Einsteckern markiert. „Viele Kunden lassen sich dadurch inspirieren. Und weil wir unseren Namen darauf vermerken – sonst nichts weiter – ergibt sich darüber bei Interesse ein Gespräch“, erläutert Heinen. Mit einem Stapel von Büchern ziehen sich die Kunden dann auch gerne in die Leseecke zurück, um ausgiebig zu schmökern.

Ein Sessel im Wohnzimmer
Dazu will auch die vor einem Jahr in Gau-Algesheim neue eröffnete Buchhandlung Herr Holgersson einladen, deren Ambiente einer Wohnung nachempfunden ist und sich vielfältig und einladend präsentiert. Schon außen, neben der Eingangstür, heißen ein Tischchen, zwei Stühle mit Kissen und Decken willkommen: Wer eines der dort ausgestellten Bücher zur Hand nimmt, kann sich direkt dort niederlassen. Innen finden sich viele gemütliche Leseorte, vom Federbett bis zum Sofa, an denen man es sich mit seiner Auswahl bequem machen kann. Herzstück ist das „Wohnzimmer“ mit der Belletristik: Neben der Regalwand, die bereits um einen Meter erweitert wurde, wirkt die Präsentation oft wie zufällig, aber dahinter steht ein durchdachtes Konzept: „Wir dekorieren häufig um und unsere Präsentation ist eher kleinteilig auf Tischchen und Kommoden – dabei ist jeder Stapel, jeder Titel bewusst inszeniert“, beschreibt Jasmin Marschall. So findet sich ein literarischer Titel beispielsweise auch mal in der „Küche“ neben einem Kochbuch und zieht dort die Aufmerksamkeit auf sich – wenn es inhaltlich passt. Ein Cocktailsessel, original aus den 50er Jahren, hat sich tatsächlich zufällig als Präsentationsmöbel bewährt. „Dort haben wir immer mal wieder im Vorbeigehen Bücher abgelegt, wenn wir gerade freie Hände brauchten“, erzählt Marschall, „dabei haben wir beobachtet, dass die Kunden sehr gerne genau diesen Stapel durchguckten – seitdem platzieren wir dort bewusst Bücher.“ Grundsätzlich gilt bei Herr Holgersson, dass alle Bücher ausgepackt sind und haptisch wahrgenommen werden können. Sogar Aufkleber werden von den Titeln entfernt, damit das Coverbild wirken und die Blicke auf sich ziehen kann.

Geordnet nach geistigen Einheiten
Traditionell stellt sich die Literarische Buchhandlung Wierny in Erlangen dar: Ilse Wierny setzt auf „Ruhe und Ungestörtheit, die man für Literatur-Entdeckungen nun einmal braucht“. Die Bücher hat sie, unterteilt in Taschenbuch und Hardcover, nach Verlagen sortiert. Die Aufteilung hat sie nach einer „inneren Ordnung“ vorgenommen: Verlage sind nach ihren Profilen zusammengeführt. „Ein bisschen so, wie man einen Wäscheschrank einrichtet, um überhaupt alles unterbringen zu können“, beschreibt es Wierny, die mittels „geistiger Einheiten“ für Übersicht in den Regalen sorgen will – „das ist besser, als Konsalik neben Kant“, erläutert sie anschaulich. Die Buchrückenpräsentation im Regal ist durch einzelne Novitäten in Frontalansicht aufgelockert, auf Tischen finden sich weitere aktuelle Romane, die im „fließenden Wechsel“ ausgetauscht werden.

Feuilleton-Tisch macht neugierig
Als „Buchhandlung für neugierige Stöberer und literarische Feinschmecker“ sieht sich Scheuermann in Duisburg. Inhaberin Elisabeth Evertz ist vor acht Monaten mit ihrem Sortiment umgezogen und hat bei der Neugestaltung besonderen Wert auf eine luftigere Gestaltung gelegt. „Seit wir weniger Ware haben, diese aber stärker präsentieren, verkaufen wir besser“, berichtet Evertz. Frontale Präsentation mache das Sortiment übersichtlicher, die einzelnen Titel ließen sich einfacher greifen. „Die Bücher kommen einfach besser zur Geltung und der einzelne Titel hat eine Chance ins Auge zu fallen. Die Verweildauer hat sich deutlich erhöht und der Haben-wollen-Effekt wird mehr angesprochen“, zieht sie erste Bilanz. Sie baut darauf, dass sich ihre Kunden überraschen lassen möchten. Dass auch „Abholer“ nichts dagegen haben, über Neues zu stolpern. „Wir machen gerne neugierig“, sagt Evertz, die sich dazu über Ideen von Seiten der Verlage freut. „Die „Naturkunden“ von Matthes & Seitz ist, was wir brauchen“, lobt sie. Festgehalten hat sie auch in den neuen Räumen am bewährten „Feuilleton-Tisch“. Hier finden sich die aktuellen Literaturempfehlungen aus der Zeit, der Süddeutschen und der lokalen Presse. Die Artikel sind in die jeweiligen Bücher eingelegt – um die Neugierde zu wecken oder als Erinnerungsstütze.

Bühne für Bücher und keine Regale
„Mein Buchladen ist für mich wie ein Theater“, sagt Kurt Idrizovic von der Buchhandlung am Obstmarkt in Augsburg. „Es geht vor allem darum, dass ich da bin und mit den Kunden rede“, betont er. Seine Philosophie zur Präsentation hat er schon vor fünf Jahren grundlegend auf den Kopf gestellt. Weg vom Regal, hin zu Tischen, auf denen aktuelle Belletristik frontal gezeigt wird. Neben seinem Spezialsortiment - „Brecht rauf und runter“ - legt er auch Wert darauf, Lyrik zu zeigen – „die Leute mögen das“, so seine Erfahrung. An der Wand entlang gibt es heute nur noch eine schmale Präsentationsleiste für einzelne Titel als „flexibler Blickfang“, der auch nach außen wirkt. „Dazu haben wir uns ein sauteures Licht geleistet und sind einfach überglücklich“, bringt es Idrizovic auf den Punkt.

Unorthodoxe Bücherstapel
Mit großer Vielfalt will Wolfgang Zwierzynski in seiner nur 22 Quadratmeter kleinen Buchhandlung Quichotte in Tübingen überraschen: „Bei mir steht die feine Literatur aus kleinen Verlagen in der ersten Reihe“, so der Literaturwissenschaftler. Sehr präsent ist sie auf kleinen Tischen, auf denen sich die unterschiedlichsten Titel „in unorthodoxen Kombinationen“ übereinander stapeln und Anlass zum Stöbern geben. „Meine Kunden mögen das sehr. Sie schauen schon reflexartig drunter und man kriegt lauter Ideen“, erläutert Zwierzynski. „Bücher die ich schon kenne, erscheinen mir hier wieder neu“, habe ihn die Aussage einer Kundin bestätigt. Für Zwierzynski gilt: „In einem guten Buchladen stößt man auf Titel, von denen man nie dachte, dass man sie kaufen wolle.“ Dass sein Konzept so gut ankommt, führt er auch darauf zurück, dass seine Ordnung seine persönliche Leidenschaft fürs Lesen widerspiegele und damit sehr authentisch sei. Das findet sich auch im Schaufenster wieder, in dem er ausschließlich gebundene Bücher zeigt. „Sogar Enzensberger stand schon davor und sagte: „Das will man alles haben“, freut sich Zwierzynski.

Stilvoller Blickfang
Eine Regalwand mit deckenhohen Vitrinen und alter Uhr ist Blickfang in der Buchhandlung Schaumburg in Stade. Vom Eingang aus steuert man direkt darauf zu und landet am Novitäten-Tisch, der mit passender Bestuhlung direkt zum Verweilen einlädt. „Dieses Mobiliar aus der Gründungszeit der Buchhandlung ist ein Schatz, den wir übernommen haben“, sagt Heide Koller-Duwe, die vor gut zwei Jahrzehnten zusammen mit ihrem Mann den 1840 gegründete Ladenübernommen hat. Damals rieten ihnen renommierte Ladenbauer dazu, die alten Möbel rauszureißen – Koller-Duwe ist froh, dass sie damals „beratungsresistent“ waren. Immer wieder zieht der Blick, den Passanten schon von außen auf dieses besondere Stück haben, neue Kunden an. Darunter zahlreiche Touristen, die das Städtchen an der Elbe besuchen. Aber auch Stammkunden wird immer Neues geboten: Der Novitäten-Tisch wird nicht anhand einer deutschlandweiten Bestseller-Liste bestückt, sondern hat zum Beispiel einen „Verlag des Monats“ zum Thema. Gerne aufgehängt an eine Veranstaltung bei Schaumburg, wie ein Literaturfrühstück gemeinsam mit dem Verleger. „Das schließt den Kreis für die Kunden“, erklärt Koller-Duwe. Hinzu kommen Einleger, die auf persönliche Empfehlungen, das „NDR Buch des Monats“ oder Titel zu den hauseigenen Veranstaltungen aufmerksam machen. Willkommener Gesprächsanlass ist auch die hauseigene Bestseller-Liste, die als Top 10 gut sichtbar platziert ist.

Sechs Kabinette können als Rundgang
„Wir legen unendlich viel Wert auf Präsentation. Das ist erste Bürgerpflicht, der wir mit großer Freude nachkommen“, betont Elke Corsmeyer, Inhaberin der Buchhandlung Markus, in Gütersloh. Vor sechs Jahren ist sie in das älteste, grundlegend sanierte Fachwerkhaus der Stadt umgezogen. Das historische Gemäuer hat sie stilvoll mit modernem Mobiliar und Designer-Leuchten ausgestattet. Ein Schwarz-Weiß-Kontrast zieht sich durch die Einrichtung – „mit frappierendem Wiedererkennungswert“, stellt Corsmeyer fest, die auch ihr Logo dementsprechend gestaltet hat. Im Sortiment treffen große Fülle und deutliche Struktur aufeinander. „Durch den klaren Aufbau - vor allem Rücken von A-Z, einiges frontal, viele Thementische - haben die Bücher die Chance, zu wirken“, meint Corsmeyer. Gleichzeitig setzt sie auf eine schnelldrehende Präsentation, die den „Trüffelsuchern“ unter den Kunden, die zwei- bis dreimal die Woche kommen, laufend neue Anreize bietet. Das große Entrée und sechs Kabinette können als Rundgang schlendernd entdeckt werden. Überall fordern Sitzmöglichkeiten zum Bleiben auf, eine Tasse Kaffee rundet den Aufenthalt ab. Blickfang ist auch das Aktualitäten-Regal neben dem Kassentresen. „Hier kommt am ehesten ein Dialog zustande, so dass auch schwierigere Themen angenommen werden“, weiß Corsmeyer. Monatlich veröffentlicht sie Buchempfehlungen in einem Stadtmagazin. Die entsprechenden Titel haben ihren festen Platz im Laden, den Kunden gezielt ansteuern. Anderes punktet mit Überraschungseffekt und verlockt zum Schmunzeln. So wie die aktuelle Kampagne aus dem Diogenes Verlag. „Sagen Sie Ihrem Buchhändler, dass Ihr Leben ohne ihn keinen Sinn hat“ – „damit hat der Verlag eine Steilvorlage geboten, die Präsentation mit den Sprüchen auf Postkarten und Tüten funktioniert richtig gut“, freut sich Corsmeyer.