Wie Sprachverlage jetzt umdenken

Flüchtlinge als Zielgruppe

29. Oktober 2015
von Börsenblatt
Die Flüchtlingskrise ist auch eine Herausforderung für die Verlage: Für die neuen Zielgruppen werden Wörterbücher und Lehrwerke gebraucht, die beim ersten Sprachkontakt helfen und langfristig die sprachliche Integration unterstützen. Das Segment Deutsch als Fremdsprache (DaF) boomt.

Grenzzäune, Transitzonen, Auffanglager: Der Weg der Flüchtlinge aus den Krisen- und Kampfzonen des nahen und mittleren Ostens sowie vom Horn von Afrika ist mit Hindernissen gespickt. Einmal angekommen, gilt es eine weitere, für die Zukunft entscheidende Hürde zu nehmen: die Sprachbarriere im Ankunftsland. Der Erwerb der Sprache ist der Schlüssel für die Integration von Flüchtlingen, die ein Bleiberecht haben.

Alle Verlage aus dem Bildungs-, Sprachen- und Reisesektor entfalten derzeit eine Fülle an Aktivitäten, um Flüchtlingen und Flüchtlingshelfern, aber auch Behörden und Institutionen Materialien an die Hand zu geben, die eine erste sprachliche Orientierung ermöglichen. In einem zweiten Schritt werden Sprachlehrwerke und Wörterbücher entwickelt oder zur Verfügung gestellt, die für die Integrationskurse gedacht sind. Und weil die Schulbuchverlage schon jetzt wissen, dass in den kommenden Jahren rund 350 000 Flüchtlingskinder von deutschen Schulen aufgenommen werden müssen, arbeiten sie bereits an einer Erweiterung ihres Portfolios: Denn Differenzierung und individuelle Förderung werden in Integrationsklassen einen großen Stellenwert einnehmen.
Erste-Hilfe-Angebote

In den Sprachenverlagen wird intensiv an neuen Produkten getüftelt, die auf die besondere Situation zugeschnitten sind. Das Angebot reicht von ersten (Online-)Handreichungen über Erste-Hilfe-Sprachführer und Arabisch-Sprachkurse bis hin zu Wörterbüchern in hierzulande seltenen Sprachen. »Der Hueber Verlag als Marktführer bei Deutsch als Fremdsprache kann seine spezifische Kompetenz gut einsetzen, um neue Produkte für Flüchtlinge und Asyl­suchende auf den Markt zu bringen«, sagt Vertriebs- und Marketingleiterin Sylvia Tobias. Da der klassische Außendienst die­se Aufgabe nicht mehr bewältigen könne, biete der Münchner Verlag mit zusätzlichen Mitarbeitern Training und Beratung für Ehrenamtliche in Buchhandlungen, Volkshochschulen oder bei Integrationskursträgern an.

Unterstützt wird dies durch breit gestreute Informations- und Marketingkampagnen, die sich beispielsweise auch an Schul- und Landratsämter richten. Derzeit arbeitet der DaF-Spezialist Hueber mit Hochdruck an der neuen Produktlinie »Erste Hilfe Deutsch«, die ab Februar 2016 angeboten werden soll. Im November erscheint zudem der neue »Sprachkurs Arabisch«. Während Sylvia Tobias beim Fremdsprachenlernen in den vergangenen Jahren einen stetigen, demografisch erklärbaren Umsatzrückgang beobachtet hat, legt Deutsch als Fremdsprache zweistellig zu.

Auch wenn der Pons Verlag in Stuttgart Titel in seinem Programm führt, die sich ideal für den Spracheinstieg Asyl­suchender eignen, sei man von dem Massenansturm überrascht worden, so Verlagsleiter Erhard Schmidt. Hatte man im Jahr 2014 die Auflage für das »Bildwörterbuch Arabisch« noch auf 5 000 Exemplare angesetzt, sind bis jetzt bereits 25 000 Bücher verkauft worden; derzeit wird nachgedruckt und erneut ausgeliefert. Ähnliche Zahlen zeigen sich bei den anderen Spitzentiteln: Die Grammatik »Deutsch auf einen Blick« wurde bereits 20 000-mal ausge­liefert, die »Grammatik in Bildern. Deutsch als Fremdsprache« rund 11 000-mal. In beiden Fällen hatte man die Hälfte geplant. Doch auch wenn der Verlag dank der explodierenden Nachfrage seinen Umsatz im Segment Sprachenlernen lauf GfK um 13 Prozent gesteigert hat, stellt er zusätzlich kostenlose Materialien wie die »Zeige-Wörterbücher« zur Verfügung und hilft Flüchtlingen mit Buch- und Sachspenden.

Als schnelle Reaktion auf die Bedürfnisse der ankommenden Flüchtlinge bietet Langenscheidt einfache Kommunikationshilfen an, darunter das digitale Arabisch-Wörterbuch; das ­gegen eine bescheidene Schutzgebühr abgegebene Print-Bild­wörterbuch »Zeig mal!« (zweite Auflage in Vorbereitung); Wörterbücher für Arabisch und Persisch sowie Titel aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache. Mehr Zeit, so Eckhard Zimmermann, Leiter des Digitalgeschäfts bei Langenscheidt, benötige man für »didaktisierte, zielgruppenspezifische Materialien« für Integrationssprachkurse. Für das erste Halbjahr 2016 kündigt er neue Programmsegmente an.

Wegweiser für seltene Sprachen

Übersetzungshilfe bei selteneren Sprachen wie Albanisch, Oromo oder Somali bietet der Buske Verlag in Hamburg mit seinen Wörterbüchern. Gefragtester Titel ist das »Taschenwörterbuch Albanisch«, das seit dem ersten Erscheinen 1990 in fünfstelliger Zahl verkauft wurde. Eine deutliche Absatzer­höhung stellt der Verlag auch beim »Somali-Wörterbuch« fest.

Die Nachfrage nach Büchern im Alphabetisierungsbereich und nach Deutschlehrwerken wie »Pluspunkt Deutsch« habe sich im Vergleich zum Vorjahr bei Cornelsen zum Teil verdoppelt, beschreibt Joachim Larché, Programm- und Marketingleiter Erwachsenenbildung und Deutsch als Fremdsprache, den Boom des Segments.

Am Cornelsen-Standort in Berlin gibt es viele Mitarbeiter mit einer Lehrervergangenheit, die sich neben der Arbeit ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Klaus Holoch, der die Unternehmens­kommunikation leitet, weiß, dass derzeit Materialien benötigt werden, die einen Grundwortschatz vermitteln und die von teilweise unausgebildeten freiwilligen Lehrkräften eingesetzt werden können. Einen solchen Einstiegstitel wird Cornelsen mit »Willkommen in Deutschland« neu in den Buchhandel bringen; ab Dezember will der Verlag Volkshochschulen Räume für Sprachkurse am Vormittag in den eigenen Lehrerinformationszentren zur Verfügung stellen. Außerdem unterstützen die Cornelsen Schulverlage „Save the Children" bei der Errichtung von kinderfreundlichen Räumen in Flüchtlingsunterkünften in Deutschland mit 20.000 Euro – vor allem traumatisierten Kindern soll die Spende zugutekommen.

In der Westermann Verlagsgruppe sollen bis zur Didacta im Februar 2016 modular aufgebaute Lehrmaterialien entwickelt werden, die sich vielfältig und passgenau einsetzen lassen, erläutert Frank Tscherwen, Redaktionsleiter für den Sekundarbereich bei Schroedel. Auf der eigenen Website bündelt die Gruppe inzwischen ihre vielfältigen Produkte zum Thema Deutsch lernen.

Auch der Reise Know-How Verlag in Bielefeld hat eine eigene Seite für Helfer eingerichtet, auf der neun »Kauderwelsch Sprachführer« derzeit als kostenloser Text- und MP3-Download angeboten werden: »Wir verzeichnen aktuell über 20.000 Downloads unserer ›Kauderwelsch‹-Titel«, berichtet Presse­sprecherin Birgit Hempel. Jeder fünfte Download entfiele dabei auf den »Sprachführer Palästinensisch – Syrisch – Arabisch«. »Für die ehrenamtlichen Helfer ist die Verständigung das größte Hindernis. Ein Dolmetscher etwa für Dari oder Paschto steht in den seltensten Fällen zur Verfügung«, so Hempel zur Initiative.

Folgende Sprachen sind erhältlich:

▶ Palästinensisch-Syrisch-Arabisch
▶ Irakisch-Arabisch
▶ Libysch-Arabisch
▶ Dari für Afghanistan
▶ Paschto für Afghanistan & Pakistan
▶ Kosovo-Albanisch
▶ Bosnisch
▶ Romani
▶ Kurdisch