Wieland-Preis an Comic-Übersetzer Ulrich Pröfrock

Federleichter Grundton des Originals erhalten

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Freiburger Übersetzer und Buchhändler Ulrich Pröfrock erhält den mit 12.000 Euro dotierten Christoph Martin Wieland-Übersetzerpreis 2015 − für seine herausragende Übertragung des Comics "Quai d’Orsay − Hinter den Kulissen der Macht" (Reprodukt) von Christophe Blain und Abel Lanzac.  Der Preis war erstmals für die Übersetzung eines Comics oder einer Graphic Novel ausgeschrieben.

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"Ulrich Pröfrock zieht bei seiner Übersetzung alle sprachlichen Register, um die abrupten Wechsel zwischen offiziellem Diplomatenjargon und inoffizieller Phrasendrescherei, zwischen politischem Diskurs, kultureller Prahlerei und alltäglichem Kleinklein aus der französischsprachigen Vorlage ins Deutsche zu übertragen", begründete Jury-Mitglied Nathalie Mälzer die Entscheidung des fünfköpfigen Gremiums. "Für die Charakterisierung der Figuren hat er jeweils eine angemessene Sprache gefunden, um deren persönliche Entwicklung und situative Verortung lebendig werden zu lassen. Seine Übertragung lässt uns nicht nur, wie im Titel angekündigt, hinter die Kulissen der Macht schauen, sie entlarvt den manipulativen Einsatz der Sprache im Tauziehen der Mächtigen, ohne dabei den federleichten und lebendigen Grundton des Originals zu verlieren." Den besonderen Herausforderungen bei der Übersetzung von Comics und graphischer Literatur, wie der Wahrung der Text-Bild-Beziehungen und der Intertextualitäten, werde Pröfrock in hervorragender Weise gerecht.

Das Album ist in Frankreich bereits 2010 und 2011 in zwei Bänden erschienen. Auf dem Comicfestival in Angoulême im Jahr 2013 wurde das Werk als Bestes Album mit dem wichtigsten europäischen Comicpreis ausgezeichnet. Mit Ulrich Pröfrock wird nun ein Comicübersetzer ausgezeichnet, der in seiner Rolle wesentlich zur Akzeptanz der Neunten Kunst in Deutschland beigetragen hat. Seit Anfang der 1990er Jahre überträgt er die Arbeiten von Comiczeichnern wie Lewis Trondheim, Manu Larcenet, Bastien Vivès, Emile Bravo,  David Prudhomme, Baru, Yves Chaland, David B. aus dem Französischen und von Comickünstlern wie Seth, Posy Simmonds und Joe Matt aus dem Englischen.

Der Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e.V. hatte den Preis in diesem Jahr erstmals für die Übersetzung eines Comics oder einer Graphic Novel ausgeschrieben. Der mit 12.000 Euro dotierte Preis wird vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg finanziert.

Die Preisverleihung wird von der Christoph Martin Wieland-Stiftung in Biberach ausgerichtet und findet am 2. Oktober in der Heimatstadt des Namenpatrons statt. Im Anschluss wird im Museum Biberach eine Kabinettausstellung zur prämierten Graphic Novel eröffnet. 

Fünf weitere Übersetzungsleistungen gewürdigt

Die Jury hebt zudem fünf weitere Übersetzungsleistungen hervor, bei denen die Übersetzenden in hervorragender Weise den unterschiedlichen Herausforderungen bei der Übertragung eines Comics gerecht geworden sind:

  • Heinrich Anders und Tina Hohl mit "Jimmy Corrigan. Der klügste Junge der Welt" (Reprodukt) von Chris Ware
  • Jan Dinter mit der Comicadaption des Cervantes-Klassiker "Don Quixote" (Egmont Ehapa) von Rob Davis
  • Dirk Schwieger und Daniela Seel mit "Bohnenwelt" (Ventil Verlag) von Larry Marder
  • Johanna Wais mit "Meine Tassen im Schrank. Depressionen, Michelangelo & Ich" (Egmont Ehapa) von Ellen Forney
  • Yvonne Gerstheimer mit der Übersetzung der Manga-Reihe "Billy Bat" (Carlsen) der Japaner Naoki Urasawa und Takashi Nagasaki

Der Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis wird seit 1979 im Zweijahresrhythmus für wechselnde literarische Gattungen ausgeschrieben.