Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2012

"Pathologisch weltbeglückend"

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Christian Kracht erhält für seinen umstrittenen Roman "Imperium" (Kiepenheuer & Witsch) in diesem Jahr den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis der Stadt Braunschweig und des Deutschlandfunks. Die Preisverleihung findet am 4. November in Braunschweig statt.

Die Begründung der Jury lautet: "Die deutschen Kolonien zu Kaiser Wilhelms Zeiten waren schon häufiger Gegenstand der erzählenden Literatur. Doch noch nie so farbig schillernd, so böse komisch, phantastisch realistisch, pathologisch weltbeglückend, so schräg verzerrt wie in Christian Krachts Roman 'Imperium". Ein groteskes Sittenbild des frühen 20. Jahrhunderts, in dem Lebensbewegte, Lebensreformer, bärtige Bohemiens und aufbegehrende Aussteiger ihren privaten Wahnsinn zu Welterlösungsideen ausweiteten, übers Meer fuhren, um Land zu gewinnen, und Wahnsinn fanden, den lachenden Tod. August Engelhardt, Held des "Imperiums" war so einer, ein historisch verbürgter idealistischer Ritter mit der Kokosnuss, der eben diese behaarte Kugel anbetete, um eine Religion damit zu begründen, einen Kokovoren-Kult. Man kann diesen Kern des Romans in Geschichtsbüchern nachlesen, um in einen erkenntnisfördernden Wettbewerb zwischen irrer Realität und literarischer Irrealität einzutreten."

Und weiter: "'Imperium' kommt heiter parlierend daher, im Ton des späten, leicht überdrehten realistischen Stils des späten 19. Jahrhunderts, das bekanntlich auch die Ära Wilhelm Raabes war. Der Roman gehört zu jenen leichten schönen Dingen, die bekanntlich schwer zu machen sind. Solche Kunst der heiter-hintergründigen Art weiß auch schwere Geschichtsbrocken zu kommunizieren, wie die indirekte Parallelführung des manischen Fruchtverehrers Engelhardt mit dem bellenden Vegetarier Hitler; das machgestützte imperiale Wüten des 2. Kaiserreichs; die Steigerung der Marotte zur Selbstvernichtung, den Umschlag der Vegetarismus in Kannibalismus, der guten Absichten also in menschliche Grausamkeit. Auf dieser Grenze zwischen Komik und Schrecken balanciert der Roman mit großer Sicherheit und bildet so einen bedeutenden Knoten im Gewebe der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur."

Der Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2012 wird am 4. November im Rahmen eines Matinee-Festaktes im Kleinen Haus des Braunschweiger Staatstheaters an Kracht überreicht, so die Pressemitteilung. Der Preis wird jährlich vergeben und würdigt einen aktuellen, zeitgenössischen Roman.