Wirbel um Prix Voltaire

Gui Minhai lehnt Preis ab - aber ist das seine Meinung?

12. Februar 2018
von Börsenblatt
In einer vom chinesischen Ministerium für öffentliche Sicherheit im Gefangenenlager arrangierten Pressegespräch hat der Hongkonger Verleger Gui Minhai den Prix Voltaire abgelehnt. Beobachter und seine Tochter gehen davon aus, dass die Aussage erzwungen wurde. Update zur Preisverleihung.

Das erklärte seine Tochter Angela Gui am Wochenende in einer Videoschalte zum International Publishers Congress der International Publishers Association (IPA) in New Dehli, wie Publishing Perspectives berichtet. Der Prix Voltaire wird von der IPA vergeben, er zeichnet den Einsatz für die Meinungs- und Publikationsfreiheit aus. Auf der Pressekonferenz im Gefangenlager in Ningbo hatte Gui Minhai erklärt, er wisse nichts von einem Preis und fährt fort: "Ich möchte und werde diesen Preis nicht erhalten." Er hoffe, die IPA werde seinen Wunsch respektieren. Menschenrechtsorganistionen hätten sofort angezweifelt, so "Publishing Perspectives" weiter, dass es sich dabei um Gui Minhais eigene Meinung handle. Der Auftritt habe den Anschein eines "inszenierten Bekenntnisses unter Zwang".

"Fragwürdige Aussagen"

Angela Gui geht davon aus, dass die Aussagen ihres Vaters von seinen Aufsehern vorgegeben worden seien − insbesondere auch die Passagen über den Prix Voltaire. "Ich weiß genau, dass das nicht sein aufrichtiger Wunsch ist, zusätzlich zu den anderen fragwürdigen Aussagen, die er gemacht hat."

Damit spricht sie wohl den Vorwurf ihres Vaters an, er sei von Schweden als "Schachfigur" missbraucht worden. Schweden habe kürzlich Dinge über ihn "sensationalisiert". Er hätte in einem Schreiben an die schwedische Botschafterin in Peking, Anne Lindstedt, gefordert, dass Schweden damit aufhöre. Wenn sie weiter Probleme schaffen würden, würde er daran denken, seine schwedische Staatsbürgerschaft aufzugeben.

Eine Transkription der 20-minütigen Pressekonferenz und ein Video (rund 4 Minuten) hat die "South China Morning Post" veröffentlicht. Am Ende bringen ihn zwei Wärter zurück in die Zelle.

Warum ist der chinesische Verlegerverband IPA-Mitglied?

Angela Gui hat auf den Kongress der IPA zudem die Frage aufgeworfen, warum der chinesische Verlegerverband seit zwei Jahren Mitglied der IPA sei. Die Publishers Association of China (PAC) hat sich zur aktuellen Entwicklung des Falls Gui Minhai bislang nicht geäußert, so "Publishing Perspectives". Im Juli 2017 hatte die PAC allerdings dagegen protestiert, dass Gui Minhai auf die Shortlist zum Prix Voltaire gesetzt wurde, berichtete damals die "Süddeutsche Zeitung". Der PAC-Vizepräsident hatte verlang, dass Gui Minhai von der Shortlist gestrichen werde. Darauf ist die IPA allerdings nicht eingegangen.

Der Prix Voltaire wird heute um 19 Uhr (MEZ: 14.30 Uhr) in New Dehli an Gui Minhai in Abwesenheit verliehen, seine Tochter Angela Gui wird erneut per Video zugeschaltet.

Hintergrund

Gui Minhai habe zur freien Verbreitung von Gedanken beigetragen, an Menschenrechtskonferenzen teilgenommen und sich im Vorstand des Unabhängigen Chinesischen PEN engagiert, so die IPA. Mit dem Prix Voltaire würdigt das IPA-Komitee für die Publikationsfreiheit Guis Mut, seine Verlagstätigkeit trotz der damit verbundenen Risiken fortzusetzen.

Gui Minhai, der schwedischer Staatsbürger ist und unter konsularischem Schutz Schwedens steht, ist auf die Produktion regimekritischer Schriften spezialisiert. Er betreibt in Hongkong den Verlag "Mighty Current" und die Buchhandlung Causeway Bay, in der die Bücher verkauft werden. Im Januar 2018 ist er erneut inhaftiert worden.

Schon einmal war der Verleger von der chinesischen Staatsmacht festgesetzt worden: Im Oktober 2015 wurde er von chinesischen Geheimdienstmitarbeitern während eines Urlaubs in Thailand entführt und tauchte erst einige Monate später in chinesischem Gewahrsam wieder auf. Danach verlor sich seine Spur, bis im Januar in einem Zug Richtung Peking erneut ein Zugriff erfolgte.

Im Januar hatte der Börsenverein die erneute Entführung Gui Minhais auf das Schärfste verurteilt und seine unverzügliche Freilassung gefordert. Börsenvereins-Geschäftsführer Alexander Skipis sagte: "Die Meinungsfreiheit darf nicht zum Verhandlungsgegenstand werden, auch nicht zugunsten wirtschaftlicher Interessen. Sie ist ein Menschenrecht und nicht verhandelbar – das muss auch China verstehen".

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Update, 16.30 Uhr: Bei der Zerenomie zur Verleihung des Prix Voltaire in New Dehli hat die IPA ihre Forderung an die chinesische Regierung wiederholt, Gui Minhai freizulassen, so eine Mitteilung der IPA. IPA-Präsident Michiel Kolman habe daran erinnert, warum Publikationsfreiheit für die IPA so wichtig sei: "Die Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht gemäß Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Aber dieses Recht steht unter ständigem, anhaltendem, täglichem Angriff, wobei Schriftsteller und Verleger nur dafür verunglimpft, eingesperrt, gefoltert und getötet werden, weil sie ihre Arbeit machen."

Angela Gui, die per Video zugeschaltet war und den Preis für ihren Vater entgegennahm, verglich den Optimusmus ihres Vaters mit dem von Voltaire beschriebenen: "Es ist ein Optimismus, der angesichts unvorstellbarer Grausamkeit immer noch an Veränderung glaubt. Und es ist ein Optimismus, der nicht durch Lügen, Gewalt und Erniedrigung zerstört wird."

Kristenn Einarsson, Vorsitzende des Komitees zur Veröffentlichung der IPV, lobte die Verdienste von Gui Minhai bezüglich der freien Verbreitung von Ideen und fügte an: "Seine Behandlung durch die chinesischen Behörden hatte eine erschreckende Wirkung auf die ehemals lebhafte und kühne Verlagsindustrie in Hongkong."

Zwei posthume Sonderpreise gingen an den im Juli 2017 gestorbenen chinesischen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo und den Verleger Faisal Arefin Dipal aus Bangladesh, der im Oktober 2015 von religösen Extremisten in seinem Büro ermordert wurde.