Zukunftsentwürfe für den Islam

Raus aus der Sackgasse

24. August 2017
von Christiane Petersen
Eine zeitgemäße Auslegung des Koran, mehr Kritikfähigkeit und Reformen: Wie sich der Islam erneuern könnte, zeigen Zukunftsentwürfe – auch aus muslimischer Feder.

Der Islam ist täglich in den Nachrichten präsent. Bei vielen Europäern wächst die Angst vor dieser Religion, die sie in erster Linie mit den weltweit aktiven, islamistisch motivierten Terroristengruppen verbinden. Ist diese Angst berechtigt? Was für eine Religion ist der Islam eigentlich heute? Und befindet sie sich in einer Krise?

Letztere Frage beantwortet Religionswissenschaftler Michael Blume mit einem lauten Ja. Sein Buch "Islam in der Krise. Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug" (Patmos, 192 S., 19 Euro) zeigt eindringlich, warum die einstige Hochkultur islamisch geprägter Gesellschaften in eine tiefe Krise stürzte – ein Prozess, der nach Ansicht Blumes schon früh eingeleitet wurde: Die bis heute an­dauernde Bildungskrise der islamischen Zivilisation reiche bis ins 15. Jahrhundert zurück. Statt einer erfolgreich expandierenden Religion sei der Islam ein verzweifelt um sich schlagender Schwerkranker auf der Suche nach Lösungen, so Blumes Diagnose.

Seyran Ateş, Autorin des Buchs "Selam, Frau Imamin" (Ullstein, 304 S., 20 Euro), tritt ganz praktisch für die Zukunft eines sich erneuernden, liberalen Islam ein. Ateş ist Rechtsanwältin, vielfach ausgezeichnete Frauenrechtlerin und gläubige Muslimin. In Deutschland herrsche der türkische Staatsislam, schreibt sie, und es habe bisher keine Moschee gegeben, in der sie ihren Glauben frei und selbstbestimmt hätte praktizieren können. Da niemand sonst für Verbesserung sorgte, tat die Autorin es selbst: Sie gründete mit anderen Muslimen eine liberale Moschee in Berlin und lässt sich in Istanbul und Berlin zur Imamin ausbilden. Ein mutiges Buch von einer mutigen Frau und modernen Muslimin, die vom Gestern, Heute und Morgen des Islam erzählt und sich nicht von den Strukturen und Dogmen Strenggläubiger einschüchtern lässt.

Auch das Buch "Reform des Islam. 40 Thesen" (Claudius, Oktober, 200 S., 18 Euro) des Islamwissenschaftlers Abdel-Hakim Ourghi klagt den seit Jahrhunderten vorherrschenden konservativen Islam als "Islam der Unterwerfung, der fehlenden Kritikfähigkeit" an, der nicht zu Deutschland und Europa gehöre. Ourghi hält die Reformation des Islam für dringend notwendig und plädiert für ein zeitgemäßes Verständnis der Schrift. Er unterzieht die Koranverse einer historisch-kritischen Analyse, um ihren eigentlichen Sinn zu erfassen. Sein Ziel: freizulegen, was im Laufe der muslimischen Auslegung des Korans verschüttet worden ist. Ourghi gelingt es, einen kritischen Blick auf den seit Jahrhunderten vorherrschenden konservativen Islam zu werfen und Chancen und Lösungen aufzuzeigen für einen welt­offenen und verfassungsloyalen Islam in Deutschland. 

Ergänzend hierzu sorgt das Buch "Das Kalifat" (C. H. Beck, 368 S., 28 Euro) für ein größeres Verständnis der Entstehung des Islamischen Staats. Hugh Kennedy, Professor für Arabistik in London, erzählt die Geschichte der Kalifen, die als "Führer aller Gläubigen" Macht und Einfluss hatten. Nach der Abdankung des letzten osmanischen Kalifen 1924 bildete sich ein Vakuum, in dem die Terrororganisation IS schließlich zu Beginn des 21. Jahrhunderts Fuß fassen konnte. Dieser hat die Wiederbelebung des Kalifats zu einem Kernstück seiner Ideologie gemacht.

Um den Koran, die heilige Schrift des Islam, direkt kennenzulernen, lohnt sich ein Blick in Hartmut Bobzins Neuübersetzung "Der Koran" (C. H. Beck, September, 832 S., 39,95 Euro) in der zweiten, überarbeiteten Auflage. Dem in Leinen gebundenen Buch gelingt es, die sprachliche Schönheit des Originals ins Deutsche zu übertragen und die neuesten Ergebnisse der Koranforschung ebenso zu berücksichtigen wie die islamischen Deutungstraditionen. Eine solche Kenntnis der Schrift ist in jedem Fall ein zukunftsgewandter Schritt zu einem modernen Islam.