Zum fünften Mal: "Frankfurt liest ein Buch"

Die Marke unter den Lesefesten

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Zu den erfreulichsten Demütigungen, die man einem Buchtotsager angedeihen lassen kann, gehören die Lesefeste. Es gibt sie sonder Zahl. Die Menschen kommen hin, sind interessiert, kaufen Bücher, lesen sie und hören anderen beim Lesen zu. Unter diesem verbreiteten Format gibt es allerdings eine Marke, die alle Superlative für sich gepachtet zu haben scheint: „Frankfurt liest ein Buch".

Ein Journalist fasste mal seine Begeisterung über Hessens großstädtischen Lesezirkel in dem Ausruf zusammen: „Deutschlands wunderbarstes und sinnvollstes Lesefest!“ Klar kommt man damit auf jede Einladungskarte und wird vom Veranstalter dauernd zitiert. So war das auch am Montagabend in der Deutschen Nationalbibliothek (DNB). Zum fünften Mal heißt es in den nächsten zwei Wochen wieder „Frankfurt liest ein Buch“. Wer sich auskennt, würde diesmal stadtteilbezogener formulieren: Das Nordend liest ein Buch – nämlich den „historischen Roman“ aus dem Jahr 1972, den Eckhard Henscheid schrieb und den er anfangs, bevor der Titel „Die Vollidioten“ groß rauskam, mit der Hilfe von erstaunlichen 2000 Subskribenten als Privatdruck unter die Leute brachte.

Das Buch ist ein Prachtstück von einem Schlüsselroman. Seine Handlung spielt rund um den Oeder Weg in eben jenem Nordend (welches heute ein ganz anderes ist). Sein Personal besteht aus gut wiedererkennbaren, prägenden Figuren der damaligen Szene: Journalisten, Künstlern, Schauspielern, jungen Frauen im Begriff des Sich-Emanzipierens. Eine der Figuren, der Beobachter Domingo alias Wilhelm Genazino, könnte wegen der Absurdität des Geschehens von einer Art „Liebesblödigkeit“ sprechen, von der Teile der Szene ergriffen werden. Kristallisationspunkt des „bewegten Nichts“ (Henscheid), das der Roman in einer Folge von sieben Tagen erzählt, ist – was sonst: ein Wirtshaus.

Selbstverständlich gibt es „Frankfurt liest ein Buch“ auch als eingetragenen Verein. Dem sitzt der Verleger Klaus Schöffling vor, auf dessen Idee – die er angeblich im Dichterviertel der Stadt in einer Badewanne liegend geboren hat – die gelungene Mischung aus Heimatkunde, Kulturförderung und Marketingmaschine zurückgeht. Die Stadt und zuvörderst ihr Kulturdezernent Felix Semmelroth danken es Schöffling mit steter Unterstützung. Und der Verleger dankt es sich selbst, indem es bisher recht überwiegend bei Schöffling & Co. erschienene Bücher sind, die im Frühjahr von Frankfurt gelesen werden. So auch „Die Vollidioten“, die Schöffling jetzt als Lizenzausgabe mit einem neuen Nachwort des Autors aufgelegt hat. Buchhändler in der Gegend sollten sich, falls nicht bereits geschehen, noch rasch eindecken. Eine Fülle von Lesungen, Diskussionen, Kinoabenden, Spaziergängen und manches mehr, viele der Veranstaltungen unter Mitwirkung Eckhard Henscheids, werden in den nächsten Tagen wohl die „Vollidioten“-Leselust stimulieren.

Zum Besonderen der diesjährigen Eröffnungsfeier in der DNB gehörte, dass ein Septett von Weggefährten, die zum größeren Teil selbst im Roman vorkommen, dem Autor Henscheid die Ehre gab. Aus dem komischen Werk lasen neben anderen der Büchnerpreisträger Martin Mosebach, der „Welt“-Kolumnist Hans Zippert, der Politiker (Die PARTEI) und Ex-Titanic-Chef Oliver Maria Schmitt sowie Elsemarie Maletzke, die als Fräulein Czernatzke damals quasi das erotische Kraftzentrum des Romans abgab.

Eckhard Henscheid selbst blieb das Schlusswort vorbehalten, welches der heute wieder in Amberg lebende Schriftsteller in sympathischer Kürze sprach. Bei der Gelegenheit gab er seiner Traurigkeit darüber Ausdruck, dass der frühere Eintracht-Frankfurt-Mittelstürmer Bum-Kun Cha nicht unter den Gästen des Abends sein konnte. Der werde aber, so Henscheid, in den nächsten Tagen, also noch während des Lesefestes, in Frankfurt ankommen. Wer ihn auf der Straße treffe, möge sich doch bitte vor ihm verbeugen. Henscheid hatte dem Fußballer aus Südkorea völlig zu Recht mal ein hymnisches Gedicht gewidmet. Für die „Vollidioten“ ist Tscha-Bum, wie man ihn in Frankfurt ob seiner Torgefährlichkeit bewundernd nannte, allerdings viel zu jung. Das Personal des Romans geht auf die 70 zu oder hat sie auch schon überschritten; Cha ist zarte 60.

Für die Jahrgänge 6 und 7 des Lesefestes sind die Bücher bereits gefunden und beschlossene Sache, verriet Klaus Schöffling am Montag; verriet aber nicht, welche das sein würden. Beim geselligen Ausklang in der DNB überlebte das Geheimnis freilich den Abend nicht. So geht das mit Geheimnissen im Nordend. Öffentlich geplaudert wird an dieser Stelle nicht – aus Respekt vor den Gesetzen des Marketings.